Sonntag, April 27

Ultraschnelle Mode aus China hat Shein gross gemacht – und in die Kritik gebracht. Nun drohen auch noch hohe Zölle. Der Strategiechef Peter Pernot-Day wählt im Gespräch eine erstaunliche Taktik, um diese Probleme anzugehen.

Die Turnschuhe für 15 Franken 98 erinnern an eine bekannte deutsche Sportmarke, nur dass sie statt drei Streifen eben zwei haben. Ein Sommerkleid kostet 8 Franken 99, noch günstiger ist ein Pyjama. Zu finden gibt es all dies bei Shein, dem weltgrössten Online-Basar für Billigmode.

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Hinter den Schnäppchen steckt ein Konzern mit einer dunklen Seite. Shein kommt wie Temu aus China – und steht ähnlich in der Kritik: für die schlechte Qualität der Produkte, für widrige Arbeitsbedingungen, für aggressive Verkaufsstrategien und für eine verheerende Umweltbilanz. Nun will Shein seinem ramponierten Ruf entgegenwirken. Ein Gespräch mit Peter Pernot-Day, dem Strategiechef für Europa und Nordamerika.

Herr Pernot-Day, Shein wächst schnell, auch in der Schweiz. Trotzdem gilt das Unternehmen vielen als chinesischer Ramschhändler. Stört Sie das?

Diese Zuschreibung trifft auf unser Unternehmen nicht zu. Wir wären heute nicht so erfolgreich, wenn wir nur billige Wegwerfartikel verkaufen würden.

Warum hat Shein dann ein Imageproblem?

Wir waren in der Vergangenheit nicht gut darin, unsere Geschichte selbst zu erzählen. Das hat Raum für Missverständnisse geschaffen. Wir bemühen uns, das nun zu ändern.

Gibt es ein chinesisches Unternehmen, das Sie sich in Europa oder der Schweiz zum Vorbild nehmen?

Wir sehen uns nicht als chinesisches Unternehmen, sondern als ein internationales Unternehmen mit Teams auf der ganzen Welt. Unser Geschäftsmodell ist einzigartig. Deshalb vergleichen wir uns auch nicht mit anderen Firmen aus China.

Aber Shein wurde in China gegründet und produziert bis heute fast alles in dem Land.

Es stimmt, wir lassen einen Grossteil unserer Produkte in China fertigen, wie viele andere globale Unternehmen auch. Doch der Hauptsitz von Shein ist in Singapur, und wir haben Standorte in den USA und der EU. Unser Ziel ist es, Kunden weltweit zu bedienen.

Shein, 2008 im chinesischen Nanjing gegründet, ist in kurzer Zeit zum globalen Fast-Fashion-Giganten aufgestiegen. In der Schweiz liegt das Unternehmen zwar noch weit hinter Temu und Amazon, aber es wächst schnell: Laut Schätzungen hat Shein im vergangenen Jahr 250 Millionen Franken umgesetzt – viermal so viel wie noch zwei Jahre zuvor. Besonders beliebt ist die Plattform bei den unter 35-Jährigen und auf dem Land.

Das Herzstück des Unternehmens ist China, Shein arbeitet dort mit mehr als 5000 Zulieferern zusammen. Der Standort garantiert billige Produkte dank tiefen Löhnen. Doch das Land wird zunehmend zum Risiko. Die USA belegen Importe aus China inzwischen mit Strafzöllen von bis zu 145 Prozent. Zudem schafft Donald Trump die Zollfreigrenze für Sendungen mit einem tiefen Warenwert ab.

Die USA sind der wichtigste Absatzmarkt von Shein. Wie stark treffen Trumps Zölle Ihr Geschäft?

Es wird zwar oft behauptet, aber wir sind nicht aufgrund von Zollrichtlinien erfolgreich. Die gelten für alle gleich. Entscheidend ist unser Geschäftsmodell. Wir produzieren nur das, was unsere Kunden auch nachfragen.

In den USA gibt es die sogenannte De-minimis-Klausel. Sie erlaubt zollfreie Lieferungen bis 800 Dollar. Trump will das Schlupfloch schliessen und stattdessen 90 Prozent Zoll auf Kleinsendungen erheben. Das zielt doch direkt auf Ihr Geschäftsmodell.

Wir fordern schon seit langem eine Reform der De-minimis-Regelung und setzen uns für faire Wettbewerbsbedingungen ein.

Im Durchschnitt kauft ein Kunde bei Shein für 80 Dollar ein. Künftig ist darauf ein Zoll von 72 Dollar fällig. Das ist massiv. Können Sie garantieren, dass Shein in einem Jahr noch auf dem US-Markt ist?

Nach meiner Erfahrung müssen Unternehmer immer mit Unsicherheit arbeiten. Wir beobachten die weltweiten Entwicklungen und bleiben flexibel.

Trump will die USA reindustrialisieren. Wäre es für Shein denkbar, künftig dort zu produzieren?

Es gibt in den USA durchaus eine Textilproduktion, die aber stärker auf technische Stoffe und hochwertige Nischenprodukte ausgerichtet ist. Ob das für uns wirtschaftlich und logistisch machbar wäre, hängt von vielen Faktoren ab. Unser Ziel bleibt es, die Kunden bestmöglich zu bedienen.

Shein betont, in China keine eigenen Fabriken zu betreiben, sondern mit unabhängigen Produzenten zusammenzuarbeiten. Die Produkte gehören dennoch dem Unternehmen und werden nach dem On-demand-Prinzip gefertigt: Ein neues T-Shirt-Design etwa wird zunächst nur etwa hundert Mal hergestellt. Erst bei guter Nachfrage folgt eine grössere Bestellung.

Die Online-Plattform von Shein erfüllt zwei Funktionen: Einerseits verkauft Shein dort eigene Marken, die es selbst entwirft, produzieren lässt und vertreibt. Andererseits dient sie auch als Marktplatz für unabhängige Anbieter, ähnlich wie bei Amazon.

Ein zentrales Element im Geschäftsmodell von Shein ist der Direktversand per Flugzeug. Das Unternehmen schickt täglich Tausende von Kleidungsstücken nach Europa und in die USA. Ökologisch ist das fragwürdig; laut dem ESG-Report von Shein lagen die CO2-Emissionen im Jahr 2023 bei 16 Millionen Tonnen, ein Plus von mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Preispolitisch ist der Direktversand jedoch clever: Mehr als vier Milliarden solcher Kleinsendungen gelangten im vergangenen Jahr in die EU. Liegt ihr Warenwert unter 150 Euro, fällt kein Zoll an.

In der Schweiz werfen etablierte Detailhändler Plattformen wie Temu und Shein irreführende Werbung und mangelhafte Produktesicherheit vor. Es laufen Gespräche mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft. Was sagen Sie zu Ihrer Verteidigung?

Wir sind nicht perfekt, aber viele dieser Vorwürfe basieren auf Missverständnissen. Im Jahr 2024 haben wir mehr als zwei Millionen Produktesicherheitstests nach EU-Standards durchgeführt. Wir beauftragen unabhängige Firmen, chemische und sicherheitstechnische Tests durchzuführen – und zwar vor Markteinführung, nicht erst beim Verkauf.

Trotzdem gibt es regelmässig Tests in der Schweiz, bei denen Ihre Produkte durchfallen. Wie passt das zu Ihrer Darstellung?

Einige NGO testen nach strengeren Kriterien als gesetzlich vorgeschrieben. In Einzelfällen betrafen die Mängel zudem Artikel von Drittherstellern, nicht unsere Eigenmarken.

Sie produzieren seit einiger Zeit auch in der Türkei und in Brasilien. Warum entfernen Sie sich von China?

Wir verfolgen seit 2022 eine Lokalisierungsstrategie. Ziel ist es, in unseren Kernmärkten eigene Strukturen für Logistik und Auftragsfertigung aufzubauen. In der EU haben wir den Hauptsitz in Dublin, dazu Teams in Polen und in der Türkei. Es geht um kürzere Lieferzeiten und geringere CO-Emissionen.

Wie viele Produkte für den Schweizer Markt stammen inzwischen aus der Türkei?

Dazu nennen wir keine konkreten Zahlen.

Warum so wenig Transparenz? Die Kunden wollen doch wissen, woher die Kleider kommen, die sie auf Shein bestellen.

Wie andere Unternehmen in privater Hand geben wir solche Informationen nur begrenzt weiter. Aber unsere Kunden in Europa können sicher sein, dass ein Teil der Produkte in der Türkei hergestellt wird.

Seit Monaten gibt es Gerüchte über einen Börsengang in London. Der würde aber mehr Transparenz erfordern, etwa bei den Arbeitsbedingungen in Ihren Fabriken. Immer wieder ist die Rede von 75-Stunden-Wochen.

Wir besitzen keine eigenen Fabriken, sondern arbeiten mit externen Zulieferbetrieben zusammen. Diese sind vertraglich verpflichtet, unseren Verhaltenskodex einzuhalten. Dazu gehören Vorgaben zum Arbeitsschutz sowie ein Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit. Im Jahr 2024 haben wir 4200 Audits durchgeführt, darunter auch unangekündigte Kontrollen. Natürlich gibt es Raum für Verbesserungen, aber wir arbeiten daran, die Einhaltung unserer Richtlinien zu überwachen und durchzusetzen.

Können Sie ausschliessen, dass für Shein jemand 75 Stunden pro Woche arbeitet oder Kinder beschäftigt werden?

Es sind nicht unsere Fabriken, wir besitzen sie nicht. Aber wir können sagen: Wir prüfen die Arbeitsbedingungen regelmässig und ergreifen bei Verstössen die notwendigen Massnahmen. Das Vorgehen legen wir in unserem ESG-Report offen.

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