Sonntag, März 16

Die Mitte-Ständerätin gehört zu den Urheberinnen des 15-Milliarden-Deals für die Armee und die Ukraine. Sie rechtfertigt die Umgehung der Schuldenbremse – und kritisiert SVP und FDP.

Genial oder illegal? Im Bundeshaus finden diese Woche letzte diskrete Vorgespräche über einen brisanten Deal statt: Der Bund soll einen Spezialfonds schaffen, über den er zusätzliche Ausgaben für die Armee und die Unterstützung der Ukraine tätigen kann. Zehn Milliarden soll das Militär erhalten, fünf Milliarden die Ukraine. Der Vorstoss stammt von der Sicherheitskommission des Ständerats, dahinter steht eine Mitte-links-Allianz. Sie will die Schuldenbremse lösen, damit der Bund das viele Geld überhaupt auszahlen kann. Zu den treibenden Kräften gehört Marianne Binder, Mitte-Ständerätin aus dem Aargau.

Frau Binder, am Montag entscheidet der Ständerat über Ihren Vorschlag. Das Echo ist vorwiegend negativ bis vernichtend. Halten Sie trotzdem daran fest?

Ja. Unsere Armee braucht die Mittel, um schnell verteidigungsfähig zu sein. Unser Vorschlag ermöglicht das. Ich verstehe den Aufstand nicht. Wer einen besseren Vorschlag hat, soll ihn bitte bringen. Unserer ist momentan der einzige, der auf dem Tisch liegt. Bis anhin habe ich nur gehört, was nicht geht, aber nie, was geht. Diese ganze Empörung, so geballt sie auch ist, schiesst keine einzige Rakete ab. Die Schuldenbremse übrigens auch nicht.

Ihr Vorschlag würde die Schuldenbremse aushebeln. Das wäre verfassungswidrig. Da sind sich alle einig: Bundesrat, Bundesamt für Justiz, Finanzverwaltung, Finanzkommission . . .

. . . es gibt auch andere Ansichten. Das Verteidigungsdepartement zum Beispiel erachtet die gegenwärtige Lage als ausserordentlich. Im Übrigen besteht die Verfassung nicht nur aus der Schuldenbremse. Vielmehr steht im übergeordneten Zweckartikel, dass der Bund die Sicherheit wahren und unsere Armee Land und Leute verteidigen muss. Wir alle wissen, dass sie dazu heute nicht in der Lage wäre. Die Schuldenbremse ist sehr wichtig – aber die Sicherheit ist grundlegend. Die Schuldenbremse ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Oder wurde die Eidgenossenschaft etwa gegründet, um keine Schulden zu machen?

Wie und mit welchem Aufwand der Bund die Sicherheit wahren soll, ist eine politische Frage. Das Wachstum des Armeebudgets lässt sich steuern. Also ist eine ausserordentliche Finanzierung nicht erlaubt.

Das sehe ich anders. In Europa herrscht Krieg, Russland rüstet massiv auf, China ebenfalls, niemand weiss, wann und wie die Konflikte eskalieren. Wenn das keine ausserordentliche Situation ist, was dann? In der Botschaft zur Schuldenbremse sind «kriegerische Ereignisse» ausdrücklich als Grund für eine ausserordentliche Finanzierung genannt, weil sie nicht steuerbar sind.

Damit sind doch nicht Kriege in anderen Ländern gemeint, sondern in der Schweiz . . .

. . . wo steht das? Der Krieg in der Ukraine betrifft Europa und damit die Schweiz.

Was hindert das Parlament daran, das Armeebudget auf ordentlichem Weg aufzustocken? Statt einfach die Schuldenbremse auszuhebeln, müsste es halt in anderen Bereichen sparen und notfalls auch die Steuern erhöhen.

Theoretisch ist alles möglich. Wenn jemand einen praxistauglichen Vorschlag präsentiert, unterstütze ich ihn. Allerdings bezweifle ich, dass eine Steuererhöhung heute mehrheitsfähig wäre. Und uns läuft die Zeit davon. Die Sicherheitslage in Westeuropa verschlechtert sich massiv. Einen Panzer oder anderes Militärgerät kauft man nicht einfach in der Migros. Die Armee braucht Vorlaufzeit. Sie muss heute wissen, wie viel Geld sie bis 2030 zur Verfügung hat, damit sie die dringendsten Beschaffungen auslösen kann. Am schnellsten geht das, wenn wir wie bei Corona die Schuldenbremse lösen.

Bei Corona musste der Bund innert weniger Tage enorme Summen aufbringen. Hier aber sprechen wir von mehreren Jahren. Die Armee kann ja nicht alle Beschaffungen auf einen Schlag tätigen.

Entscheidend ist die Planungssicherheit. Die ist heute nicht gegeben. Es ist nicht einmal sicher, ob der zurzeit geplante Anstieg des Armeebudgets bis 2035 – der völlig ungenügend ist – wirklich umgesetzt wird. Deshalb ist die Situation eben doch vergleichbar mit Corona. Es pressiert extrem.

Sie wollen den kommenden Generationen zusätzliche Schulden hinterlassen, aus Angst, dass das Parlament nicht sparen kann und das Volk eine Steuererhöhung für die Armee ablehnt. Ist das nicht etwas billig?

(Überlegt.) Wenn wir unserer Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen gerecht werden wollen, sollten wir ihnen eine funktionierende Armee hinterlassen. Vermutlich interessiert man sich in ein paar Jahren mehr dafür, weiterhin in einem freien und sicheren Land leben zu können, als für die Höhe der Schuldzinsen. Die Schweiz gehört zu den Ländern mit den tiefsten Schulden gemessen am Bruttoinlandprodukt. Trotz Corona ist die Schuldenquote heute tiefer als 1990. Gleichzeitig gehören wir aber zu den Ländern, die am wenigsten in die Verteidigung investieren. Sprechen wir es offen aus: Die Schweiz stellt heute innerhalb von Europa ein Sicherheitsrisiko dar. Zur Nato wollen wir nicht gehören, selber schützen können wir uns aber auch nicht. Das ist prekärer als ein paar Milliarden Schulden mehr.

SVP und FDP wollen das Armeebudget ebenfalls stärker erhöhen. Wieso haben Sie nicht mit diesen Parteien eine Lösung gesucht, sondern mit der SP?

Leider ist der Entscheid, das Armeebudget stärker zu erhöhen, im Dezember knapp gescheitert. Aber die SP ist bereit, darauf zurückzukommen, wenn wir gleichzeitig der Ukraine helfen, ohne andere Projekte der Entwicklungshilfe zu streichen. Mit unserem Vorschlag servieren wir der Armee die fehlenden Milliarden sozusagen auf dem Silbertablett. Ich kann SVP und FDP nicht verstehen: Auf der einen Seite malen sie düstere Bedrohungsszenarien und wollen deshalb das Armeebudget schnellstens stärker aufstocken. Auf der anderen Seite wollen sie weder eine ausserordentliche Finanzierung noch eine Steuererhöhung. Also was jetzt? Langsam frage ich mich, ob SVP und FDP das Armeebudget wirklich stärker erhöhen wollen.

Die beiden Parteien wollen die Aufstockung bei der Armee über Einsparungen in anderen Bereichen finanzieren. Was spricht dagegen?

Es ist politisch aussichtslos, in dieser kurzen Zeit die notwendigen Summen zu generieren. Ich selbst bin für jeden mehrheitsfähigen Vorschlag offen. Aber schauen wir die Sparideen an, welche die beiden Parteien in letzter Zeit dargelegt haben: ein bisschen sparen im Asylbereich, bei der Entwicklungshilfe, bei der Kultur, beim Personal. Mit Verlaub: Das ist in der Summe lächerlich. Damit können wir niemals die notwendigen Milliardenbeträge einsparen. Wenn die beiden Parteien das Armeebudget bis 2030 wirklich stärker erhöhen wollen, müssen sie sich endlich bewegen. Sonst ist es zu spät.

Haben Sie versucht, mit SVP und FDP einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten?

Wir sind im Gespräch. Bis anhin sehe ich keine Kompromissbereitschaft. Solange das so ist, gibt es wenig Spielraum für eine bürgerliche Lösung. Wer partout die Schuldenbremse einhalten will und gleichzeitig jede Steuererhöhung ausschliesst, wird nicht schnell genug eine ausreichende Lösung für die Armee finden. Also haben wir mit Ständerätinnen und Ständeräten der SP einen Kompromiss erarbeitet, der die Unterstützung der Ukraine umfasst.

Auch dies sorgt für heftige Kritik: Ihr Vorschlag verstösst gegen das Prinzip der Einheit der Materie . . .

. . . falsch. Der sachliche Zusammenhang ist sonnenklar: Über allem steht die Sicherheit. Beides gehört zusammen, die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der Schweizer Armee und die Unterstützung der Ukraine dienen ein und demselben Ziel. Beide Massnahmen sind Antworten auf diesen schrecklichen Krieg; beide helfen, die Sicherheit in der Schweiz und ganz Europa zu verbessern. Indem wir den Ukrainern vor Ort helfen, leisten wir einen Beitrag, dass sie diesen Konflikt durchstehen können, dass weniger Menschen fliehen müssen. Das entlastet auch das Asylsystem bei uns.

Es gibt Stimmberechtigte, die ein höheres Armeebudget wollen, mehr Entwicklungshilfe aber ablehnen. Und umgekehrt. Bei einem Referendum können sie ihre Meinung nicht frei ausdrücken. Ist das legitim?

Das ist Teil des politischen Handwerks. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Leuten den Zusammenhang erklären können. Es gab schon gewagtere Verknüpfungen wie die Steuer-AHV-Vorlage, die deutlich angenommen worden ist.

Sie könnten beide Geschäfte parallel behandeln, aber separat beschliessen. So wäre eine differenzierte Volksabstimmung möglich.

Wir könnten vieles. Wenn das klappt, bin ich dabei. Aber es braucht immer Mehrheiten. Zum vorliegenden Kompromiss gehört, dass das vereinbarte Paket als Ganzes kommt. Sonst funktioniert es nicht.

Funktioniert es überhaupt? Die Finanzkommission lehnt Ihren Vorstoss fast geschlossen ab. Haben Sie noch Hoffnung?

Auch wenn der Vorstoss scheitert, werde ich mich weiterhin für die Armee einsetzen. In einem Punkt haben wir bereits gewonnen: Wir konnten eine breite Debatte auslösen. Die Einsicht, dass wir die Finanzierung der Armee rasch klären müssen, ist gewachsen. Darum kommt niemand mehr herum.

Gilt das auch für die Unterstützung der Ukraine?

Ich hoffe es. Bis anhin leistet die Schweiz gemessen an ihrem Wohlstand einen sehr bescheidenen Beitrag. Da wir als neutrales Land keine Waffen liefern, sollten wir die Ukraine humanitär und wirtschaftlich umso stärker unterstützen. Diese Hilfe ist dringend. Die von den Russen angerichteten Schäden müssen fortlaufend repariert werden, vitale Infrastrukturen wie die Wasser- oder die Stromversorgung müssen erhalten werden. Leider ist das Engagement der Schweiz bis heute ungenügend, obwohl die Unterstützung in unserem eigenen Sicherheitsinteresse ist. Gleichzeitig haben wir die Armee so stark heruntergespart, dass wir nicht imstande sind, unseren Beitrag an die europäische Sicherheit zu leisten. Unser Land gibt gerade kein sehr gutes Bild ab.

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