Zwei deutsche Kriegsschiffe fahren im Rahmen des Indo-Pacific Deployment 2024 rund um die Welt. Für den Vizeadmiral Jan Christian Kaack, den Inspekteur der deutschen Marine, ist das mehr als Diplomatie.
Herr Admiral Kaak, mal ehrlich: Was hat die deutsche Marine im Indopazifik verloren?
Die Frage wird mir sehr oft gestellt. Das Indo-Pacific Deployment der Marine ist Ausdruck der sicherheitspolitischen Ausrichtung der Bundesregierung. Diese ist in der nationalen Sicherheitspolitik und den Indopazifik-Leitlinien festgelegt. Sichere maritime Verbindungswege weltweit sind die Grundlage unseres Wohlstandes. Das haben wir gesehen, als vor drei Jahren der Suezkanal blockiert war. Man fragt sich: «Was wäre, wenn die Strasse von Malakka hier bei Singapur unterbrochen wäre, die meistbefahrene Seestrasse der Welt?» Dazu kommt, dass die internationale, regelbasierte Ordnung in verschiedenen Teilen der Welt infrage gestellt wird. Wir setzen uns für diese Regeln ein.
Das war eine politische Antwort. Was bringt so ein Deployment militärisch?
Als Militärs führen wir natürlich den Auftrag der Politik aus. Aber operativ können wir viel mitnehmen. Der Höhepunkt in dieser Hinsicht war Rimpac, das weltgrösste multinationale Seemanöver unter Führung der USA bei Hawaii. 29 Länder waren daran beteiligt. Wenn wir mit Partnern üben, die keinem Bündnis angehören, dann sehen wir, wie diese ihr Seegebiet schützen. Bei bilateralen Manövern mit Japan oder Singapur können wir uns hinterfragen: Machen wir operativ gesehen das Optimale? Was können wir lernen? Das gibt neue Impulse.
Aber am regionalen Machtverhältnis verändern die zwei deutschen Kriegsschiffe herzlich wenig . . .
Wenn Sie die chinesische Marine mit 350 Schiffen sehen und ihr zwei deutsche Schiffe gegenüberstellen, dann ist es vermessen zu glauben, dass wir am Machtverhältnis etwas ändern. Gleichwohl behaupte ich, dass viele Steine auch eine Mauer machen. Wir setzen für unsere Partner im Indopazifik ein wichtiges Zeichen, wenn wir hier präsent sind. Ich habe im Vorfeld viele Gespräche mit Politikern, Experten und Militärs in der Region geführt. Und dabei immer wieder gehört: «Bitte kommt und zeigt, dass euch nicht gleichgültig ist, was in dieser Gegend passiert.»
Zur Person
Jan Christian Kaack, Inspekteur der Marine
Vizeadmiral Jan Christian Kaack ist seit März 2022 Inspekteur der Marine. Damit ist er der Chef der deutschen Seestreitkräfte. Der 61-Jährige trat 1982 in die Marine ein. Kaack studierte an der Universität der Bundeswehr Hamburg und am US Naval War College.
Hätte die deutsche Marine auch bei einem Konflikt in der Region eine Rolle zu spielen?
Unser Motto lautet: Regionally rooted but globally committed. Regional verankert bedeutet, dass unser Schwerpunkt die Verteidigung unseres Landes ist. Dazu gehört auch ganz wesentlich die Sicherung der Seewege von Amerika über den Nordatlantik nach Deutschland. Aber in der Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt, dürfen wir das Globale nicht aus den Augen verlieren. Würde ich deutsche Schiffe im Indopazifik in einem Ernstfalleinsatz sehen? Ich sehe uns dann vielmehr in stärkerer Verantwortung, falls andere Partner abziehen.
Mit anderen Worten: Ihre Rolle wäre es, den Amerikanern im Nordatlantik den Rücken freizuhalten, wenn sie in einen Konflikt im Indopazifik verwickelt wären . . .
Wir stellen uns darauf ein, an der Nordflanke, wie wir es nennen, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Wie besorgt sind Sie, dass es in dieser Region zu einem bewaffneten Konflikt kommt, etwa um Taiwan oder im Südchinesischen Meer?
Es ist zu hoffen, dass die internationale, regelbasierte Ordnung hier eingehalten wird. Aber wir können vor den Entwicklungen in der Region nicht die Augen verschliessen. Ich bin zwar Optimist, aber als Soldat muss ich Fähigkeiten und Möglichkeiten abschätzen und mich darauf einstellen.
Es gab auch Zeiten, wo westliche Kriegsschiffe in chinesischen Häfen zu Besuch waren und wo man sich gegenseitig zu Manövern einlud. Das kann man sich kaum mehr vorstellen. Gibt es heute auf militärischer Ebene überhaupt noch Kontakte?
Mein Motto war immer: Dialog ja, Kooperation nein.
Was bringt dieser Dialog?
Zumindest einen Austausch der Wahrnehmung. So haben wir auf der Münchner Sicherheitskonferenz regelmässig ein Panel mit dem Titel «Bridging Troubled Waters». Da geht es um das Südchinesische Meer. Wir hatten schon hohe Vertreter aus Singapur, Indonesien und den Philippinen da. Und wir laden immer zwei, drei Experten aus China ein. Die Diskussion geht dann hoch her – aber ich halte diesen Austausch für sehr wichtig.
Die «Baden-Württemberg» und die «Frankfurt am Main» fuhren durch die Strasse von Taiwan und das Südchinesische Meer. China beansprucht beide Gewässer für sich und setzt seinen Anspruch rabiat durch. Wie erging es Ihren Schiffen?
Wir haben nichts gesehen, was uns überrascht hätte, und nichts, auf was wir nicht vorbereitet gewesen wären.
Die Amerikaner beklagen sich immer wieder über unprofessionelles Verhalten der Chinesen . . .
Ich verweise auf meine Antwort zur letzten Frage.
China hat seine Marine massiv ausgebaut, ebenso seine Küstenwache. Was verändert sich dadurch?
Wenn man militärische Macht so stark aufbaut, dann kippt die Wahrnehmung. Allein durch die schiere Zahl von Schiffen entsteht ein Gefühl der Bedrohung. Und wenn das untermauert wird durch entsprechende Handlungen, dann ist das keine gute Entwicklung.
Das Indo-Pacific Deployment ist auch eine Bewährungsprobe für die neue «Baden-Württemberg»-Fregattenklasse. Sie ist stark automatisiert und kommt mit deutlich weniger Personal aus als ihre Vorgänger. Funktioniert das?
Wir analysieren gerade die gemachten Erfahrungen und machen Anpassungen. So werden wir die Besatzungsstärke in Zukunft wieder etwas erhöhen. Das Schiff wurde in einer Zeit geplant, wo die Bedrohungslage anders war als heute . . .
Sie wurde in den 2000er Jahren entwickelt und ab 2011 gebaut. Da dachte man vor allem an humanitäre Rettungsmissionen, Stabilisierungseinsätze und den Kampf gegen Piraterie. Ein Krieg zwischen industrialisierten Ländern schien unrealistisch, Angriffe mit Drohnen und Raketen weniger wahrscheinlich. Ist die Fregatte der heutigen Zeit überhaupt gewachsen?
Ja. Nehmen wir beispielsweise die Gefahr durch Drohnen, die mit dem Krieg in der Ukraine und den Angriffen der Huthi gegen Schiffe im Roten Meer offensichtlich geworden ist. Die «Baden-Württemberg»-Klasse wird schon Anfang des nächsten Jahres das Flugabwehrsystem Iris-T SLM erhalten. In enger Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie entstand in kürzester Zeit eine containerisierte Version, die auf das Schiff aufgesetzt werden kann.
Die Flugabwehr ist nicht gerade die Stärke dieser Fregatten. Wie andere Kriegsschiffe sollen sie aber 30, 35, gar 40 Jahre im Einsatz bleiben – bei komplett neuer Sicherheitslage. Wie gehen Sie damit um?
Insgesamt ist die Fregatte eine tolle Plattform mit riesigem Potenzial. Wir können problemlos darauf aufbauen, modular wie mit Iris-T SLM. Es ist übrigens das gleiche System, das Deutschland auch an die Ukraine liefert. Wir wollen und müssen die Männer und Frauen, die für Deutschlands Marine zur See fahren, bestmöglich schützen.
Die stärkere Automatisierung und modernere Waffensysteme führen dazu, dass Sie mehr gut ausgebildete Personen brauchen. Und dies bei anhaltendem Fachkräftemangel. Können Sie mit der Privatwirtschaft mithalten?
Uns geht es nicht anders als jedem zivilen Arbeitgeber. Zum einen bilden wir auch selber aus. Und wir versuchen, die Leute möglichst lange für die Marine zu gewinnen. Gleichzeitig wollen wir den Reiz der Seefahrt rüberbringen. Social Media ist da ein wichtiges Stichwort. Wir zeigen die Marine da, wo unsere Zielgruppe ist. Dazu gehören auch einmal die Palmen, die man beim Indo-Pacific Deployment 2024 auf Hawaii gesehen hat.
Das klingt ja fast wie eine Kreuzfahrt. Aber eine Karriere in der Marine bedingt auch lange Abwesenheiten von zu Hause, weit weg von Familie und Freunden, ein Zusammenleben auf engem Raum und manchmal raues Wetter. Ist das wirklich attraktiv?
Wir versuchen, die Dauer der Abwesenheiten zu reduzieren. Und wir haben auf den ersten Schiffen Starlink eingeführt. Das ermöglicht der Besatzung, ständig und kostenlos via Internet mit Familie und Freunden in Kontakt zu sein. Bei langen Fahrten ermöglichen wir auch, dass man zwischendurch einmal nach Hause fliegen oder seine Familie an einen Hafen bringen kann. Wir müssen die persönlichen Bedürfnisse der Männer und Frauen an Bord und jene ihrer Familien berücksichtigen. Ein langer Einsatz in entfernten Regionen hat aber auch seinen Reiz: Viele Soldatinnen und Soldaten wollen unbedingt dabei sein.