Samstag, Februar 22

Von Kartoffeln, die baden, und Fritten, die singen – auf der Suche nach den besten Pommes frites und ihrer wahren Herkunft.

Am Rande eines Flusses steht ein grau-gelber Imbissstand. Man sieht nur die Rückseite, ein dickes Entlüftungsrohr führt dort zu einer blauen Plastiktonne. «Frituur» steht auf dem Dach – Frittenbude. Einladend sieht das nicht aus. Zweifel kommen auf.

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Hier soll es die besten Pommes der Welt geben?

Dabei sind wir nach Belgien gekommen, um die perfekten Fritten zu finden. In dieses Land, das berühmt ist für seine knusprigen Kartoffelstäbchen. Die Leute sind hier so stolz auf ihre Nationalspeise, dass sie sie offiziell zum kulturellen Erbe deklarierten – und vom Weltkulturerbe träumen.

Ein Zufall hat uns in diese Kleinstadt geführt, zu dieser diskutablen Frittenbude am Rande des Flusses. Wir schöpfen Hoffnung, denn vielleicht ist es ja wie in Italien: Dort bekommt man auch an der hinterletzten Tankstelle den besten Espresso. Warum sollte das hier anders sein?

Der freundliche Imbissbetreiber bohrt nach der Bestellung seine blecherne Kelle in einen grossen Haufen schlaffer, kalter Fritten und lässt den Inhalt ins heisse Öl rutschen. Kurze Zeit später stellt er eine gefüllte Kartonbox auf die Ablage und quetscht aus einer Plastikflasche eine rötliche Sauce drauf. Sorte Samurai, feurig scharf.

«Smakelijk», sagt er, «en Guete».

Bereits beim ersten Bissen wird klar: Weltkulturerbe ist das nicht. Im Mund verteilt sich ein fader Brei, die Geschmacksknospen der Zunge melden: zu weich, zu wenig Salz, und das Frittieröl ist auch nicht mehr das beste. Alles zusammen schmeckt wie die Box: kartonhaft. Da kann der beste Samurai nicht dagegen ankämpfen.

Der Pommes-Minister

Solche Enttäuschungen kennen wir von zu Hause: Man freut sich auf knackige Pommes frites – wie damals als Kind in der Badi. Doch man bekommt in Ketchup ertränkte Kartoffelstengel, die aussehen wie aufgedunsene Regenwürmer.

Kann es denn wirklich so schwierig sein, gute Pommes herzustellen?

Anruf bei einem Mann, den man als Belgiens Fritten-Minister bezeichnen könnte: Bernard Lefèvre. Er ist Präsident der Nationalen Vereinigung der «Frituur»-Betreiber und damit so etwas wie der oberste Pommes-Koch des Landes.

Lefèvre bedauert unser Erlebnis – und sagt, dass die dünnen, labbrigen Stengel, die wir gegessen hätten, nichts mit belgischen Pommes zu tun hätten. «Unsere Fritten sind dicker, und sie werden zwei Mal frittiert.»

Was also ist das Geheimnis der perfekten Pommes? Lefèvre holt tief Luft, dann sagt er: «Sie brauchen natürlich eine gute Kartoffel. Mit einer richtigen Kombination aus Wasser und Stärke.» In Belgien ist das die Sorte Bintje. Doch auch mit einer guten Kartoffel könne man schlechte Fritten machen, erklärt er.

Was also noch? Lefèvre wird mystisch: «Der Koch muss denken wie eine Kartoffel», sagt er. Er müsse sich fragen: Wo würde ich lieber frittiert werden? In einer engen Badewanne oder in einem Jacuzzi? «Es ist wie bei den Menschen: Pommes brauchen Platz beim Schwimmen. Sie müssen Freude daran haben, frittiert zu werden. Dann singen sie im Öl, und der Koch muss ihnen zuhören. Erst wenn ihr Lied zu Ende ist, holt er die Stäbchen raus.»

Schwimmen, singen, Pommes-Lied: Meint Lefèvre das ernst?

«Ich weiss, das klingt wie ein Witz», sagt er, «aber wenn die Kartoffeln fertig frittiert sind, machen sie ein knuspriges Geräusch, eine Reaktion der Kartoffelstärke im Öl.» Auch ein blinder Mensch könne deshalb Pommes machen, erklärt Lefèvre. Doch das Ganze sei schwieriger, als es klinge: «Ich selbst habe ein Jahr gebraucht, bis ich es begriffen habe.»

Wo also in Belgien findet man Köche, die das Pommes-Lied beherrschen?

Lefèvre sagt: «In unserem Land gibt es über 4600 Frittenbuden. Ich versichere Ihnen: Bei den meisten essen Sie hervorragende Pommes – und überall schmecken sie anders.» Belgische Fritten, das sei eben kein Fast Food. «Es ist nicht wie bei McDonald’s, wo man immer dieselben Fries und denselben Big Mac isst, egal ob in Zürich, Miami oder Brüssel.»

Lefèvre ermutigt uns deshalb, es mit der Frituur-Kultur nochmals zu versuchen.

Die Reise geht nach Antwerpen.

Pommes mit Attitüde

Die erste Adresse ist weniger eine Bude als ein edler Take-away. Er hat schwarz lackierte Holztüren, und in goldenen Buchstaben steht «Frites Atelier». Hier werden die Kartoffeln offenbar nicht frittiert, sondern designt.

Schnell wird klar: Das hier sind keine gewöhnlichen Pommes. Das sind Fritten mit Attitüde. Mit Parmesan-Basilikum-Schaum. Mit Rindergulasch, mit sizilianischer Alla-Norma-Tomatensauce.

Im Lokal pumpt ein Elektrobeat. Es ist viel los; dieses «Atelier» hat es offenbar auf zahlreiche Influencer-Profile geschafft. Kein Wunder, hier frittiert ein Sternekoch – oder besser gesagt: lässt frittieren. Sein Foto ziert eine ganze Wand. Attitüde haben da nicht nur die Fritten.

Doch ob man bei dem Lärm das Pommes-Lied überhaupt hört?

Offenbar, ja. Die Designer-Fritten schmecken gut – auch wenn sich die Sauce unten in der Kartonschale mit den Pommes zu einem Kartoffelbrei vermischt. Doch typische Fritten sind das nicht. Und typisch belgisch sind sie wohl auch nicht – nicht zuletzt, da der Sternekoch aus den Niederlanden stammt.

Die Suche geht weiter.

Die perfekten Pommes

Nochmals ein Anruf bei Bernard Lefèvre: Wie schmecken für ihn die perfekten Pommes frites? «Sie sind aussen knackig und innen schön fluffig.»

Dies gelingt, wenn man die Kartoffelstreifen im ersten Durchgang lediglich bei 130 bis 150 Grad im Öl kocht (siehe Rezept unten). «Nach dem ersten Bad müssen die Pommes schlaff sein und gut abkühlen.» Danach kommen sie erneut ins Ölbad. «Hier werden sie geschockt, bei 160 bis höchstens 175 Grad.» Nach dem Verstummen des Pommes-Lieds kann man sie herausnehmen, salzen und essen. Es braucht also keinen Timer, keine fixe Zeitdauer.

Wichtig ist, dass man nicht zu lange wartet, denn sonst bildet sich zu viel des Stoffes Acrylamid, der potenziell krebserregend ist. Acrylamid ist einer der Gründe, warum Fritten einen schlechten Ruf haben.

Man kennt es von anderen Lebensmitteln, die zu sehr geröstet sind – von der schwarzen Bratwurst, dem schwarzen Toast oder der verbrannten Pizza. Bernard Lefèvre empfiehlt darum auch, die Pommes nicht zu heiss zu frittieren – und sie vorher gründlich mit Wasser abzuwaschen, damit sich aussen herum nicht zu viel Stärke bildet.

Der andere Grund für die schlechte Reputation von Pommes: Sie sollen dick machen. Lefèvre wiegelt ab: «Schauen Sie, Fritten bestehen aus 92 Prozent Gemüse, der Rest ist Öl und Salz.» Dennoch rät er: «Essen Sie nicht zu viel Pommes. Essen Sie nur die guten.»

Woher Pommes frites wirklich kommen

Wer die gelben Glücksstäbchen wirklich erfunden hat, darüber gibt es verschiedene Erzählungen – und eine alte Frage, die die Rivalität zwischen Belgien und Frankreich immer wieder aufflammen lässt: Sind French Fries, wie sie im Englischen heissen, wirklich french?

Nachfrage beim belgischen Pommes-Minister Bernard Lefèvre. Er sagt: «Schauen Sie, es gibt gute Fritten, und es gibt French Fries.» Dann lacht er über seinen gelungenen Witz.

Der Begriff stammt angeblich von amerikanischen Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs reichlich Pommes gegessen haben sollen. Umgeben von französischsprechenden Menschen, dachten sie, sie seien in Frankreich – deshalb die Bezeichnung French Fries. Tatsächlich aber befanden sie sich in Wallonien, dem französischsprachigen Teil Belgiens.

Doch der Ursprung der Pommes frites reicht viel weiter zurück. Und auch hier gibt es eine französische und eine belgische Legende.

Die französische Legende: Um 1780 herum sollen Pariser Strassenhändler angefangen haben, Kartoffeln zu frittieren und sie als «Pommes de Terre frites» zu verkaufen. Mit der französischen Revolution entstand sozusagen ein neues Gericht: Aufklärungsfritten.

Die belgische Legende: Im 17. Jahrhundert fror in einem Dorf in Belgien ein Fluss zu. Die Menschen konnten nicht mehr Fische fangen und sie in Öl frittieren, wie sie das sonst taten. Also schnitten sie Kartoffeln in Streifen und warfen diese in die Pfanne. Voilà: Pommes frites.

Was nun stimmt, ist nicht klar. Und laut Bernard Lefèvre auch gar nicht so wichtig. «Die Frittenkultur ist mehr als nur Pommes. Es ist etwas vom Einzigen, worauf sich die zerstrittenen Belgier einigen können.»

Die Suche endet hier

Auf einem kleinen Platz mitten in Antwerpen wird klar, weshalb. Eine ältere Frau steht an einem rot-weissen Stand und fischt mit einer Siebkelle eine Portion aus dem heissen Öl. Sie prüft ihren Fang genau und sortiert zu braune Stücke aus.

Die Fritten sind aussen knusprig, innen weich und zart. Schön kartoffelig, so wie es Bernard Lefèvre beschrieben hat. Die Geschmacksknospen melden: Die Suche nach den perfekten Pommes ist beendet. Wir sind angekommen.

Rezept: So gelingen die perfekten Pommes

Zutaten

  1. Kartoffeln, die der belgischen Sorte Bintje am nächsten kommen. Generell sind das mehligkochende oder festkochende Kartoffeln mit hohem Stärkegehalt. Erhältlich im Supermarkt, oft als Baked Potatoes oder ähnlich.
  2. Ein Kilo Kartoffeln ergeben 300 Gramm Pommes (geschält, grosser Wasserverlust beim Frittieren).
  3. Frittieröl oder Rinderfett. Kann beides auch kombiniert werden.

Zubereitung

  1. Mit kaltem Wasser gründlich abwaschen und abtrocknen (zu viel Stärke ist nicht gut).
  2. Öl in Pfanne oder Fritteuse auf 130 bis max. 150 Grad erhitzen.
  3. Pommes beifügen. Nicht zu viel auf einmal: Die Kartoffeln müssen Platz haben. In einem Frittiergerät von 2 bis 3 Litern nicht mehr als 2 bis 3 Portionen verwenden.
  4. Nach ein paar Minuten Pommes entnehmen. Aber eben: Die Fritten sagen, wenn sie fertig sind. Das muss laut Lefèvre jeder selbst herausfinden.
  5. Zwischen einer halben und einer Stunde abkühlen lassen.
  6. Öl auf 160 bis max. 175 Grad erhitzen.
  7. Pommes fertig frittieren. Der Geschmack sollte schön kartoffelig sein.
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