Esprit startete als Hippie-Marke und wurde in den 2000er Jahren immer biederer. Heute weiss das Unternehmen selbst nicht, was es eigentlich sein will.

«Esprit ist ein zerklüfteter Klamottenladen ohne Handschrift. Das tut einem weh.»

Heinz Krogner, heute 82 Jahre alt, war während der 1990er und 2000er Jahre Geschäftsführer der Modemarke Esprit. In einem Gespräch mit der Plattform textilwirtschaft.de rechnete er vor zwei Jahren mit seinen Nachfolgern ab. Man müsse die Marke wieder mit Leben füllen – aber dafür brauche es die richtige Person.

Tatsächlich läuft es nicht gut für Esprit. Anfang Februar hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass man für 2023 einen Nettoverlust von umgerechnet 225,9 Millionen Euro erwarte. Auch der Umsatz erreichte mit umgerechnet 700 Millionen Euro ein Tief, das seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr gesehen worden war.

Diese Woche zeigten sich in der Schweiz die Konsequenzen der schlechten Zahlen: Die Esprit Switzerland Retail AG teilte am Dienstag mit, dass man ein Konkursverfahren beantragt habe und zahlungsunfähig geworden sei. Die Türen der 23 Läden sind seitdem geschlossen, Esprit-Kleidung kann nur noch online und in den verbleibenden 19 Franchise-Filialen gekauft werden.

Der Konkurs zeichnet sich schon lange ab

Der Konkurs hatte sich abgezeichnet. In Deutschland, wo Esprit bis zum Jahr 2020 seinen Hauptsitz hatte, kündigte das Unternehmen bereits vor vier Jahren für mehrere seiner Tochtergesellschaften ein Insolvenzverfahren an. Ein Drittel der Mitarbeiter wurde entlassen, hundert Filialen geschlossen. Weil Deutschland mit Abstand der wichtigste Markt der Modemarke ist, brachte der Schritt den ganzen Konzern ins Taumeln.

Angefangen hatte alles aber schon viel früher. Irgendwo zwischen Expansionsplänen, Führungswechseln und Machtkämpfen zwischen Europa und Hongkong hat die Marke Esprit ihren Esprit verloren.

Dabei liest sich ihre Gründungsgeschichte wie eine wahre Hippie-Romanze: In den sechziger Jahren fuhren Susie und Douglas Tompkins mit einem Kombi durch Kalifornien und verkauften selbstgenähte Kleidungsstücke. Die offizielle Gründung der Firma erfolgte 1968 in San Francisco. Sowohl der Name als auch die Mode passten perfekt in die Zeit: bunte Farben, fröhliche Muster, eine junge Zielgruppe.

Ein Hongkonger wird zum starken Mann

Doch von diesen Wurzeln entfernte Esprit sich schnell. Das Unternehmen wollte wachsen, darum holte das Ehepaar Tompkins 1971 den Hongkong-Chinesen Michael Ying an Bord, der eine Niederlassung in seiner Heimat gründete. Die deutsche Niederlassung folgte 1976, die amerikanische löste sich auf. Ying wurde zum starken Mann bei Esprit. Die Firma begann, günstige Mode aus Fernost zu bestellen, und mauserte sich rasch zu einer der gefragtesten Modemarken der Zeit.

Die neunziger Jahre verliefen turbulent: Zuerst stieg Douglas Tompkins, inzwischen von Susie Tompkins geschieden, aus und wurde Umweltaktivist. Daraufhin leitete Susie Tompkins eine fremdfinanzierte Übernahme ein, die ihr die Kontrolle über das Unternehmen verschaffte. Esprit war danach so hoch verschuldet, dass es in weniger als zwei Jahren mit den ausstehenden Krediten in Verzug geriet. Der Streit artete so weit aus, dass Jay Margolis, der damalige CEO, Susie Tompkins und allen Mitgliedern ihrer Familie im Jahr 1997 den Zutritt zum Hauptsitz von Esprit verwehrte. Daraufhin verkaufte Tompkins den Grossteil ihrer Anteile und reichte Klage gegen das Unternehmen ein.

Schwarz, Weiss, Beigetöne, Blautöne und Grautöne

Ebenfalls 1997 wurde Heinz Krogner CEO von Esprit. Krogner sollte das Unternehmen wieder auf Kurs bringen und neu ausrichten. Mit dem Textilmanager aus Nordböhmen kam ein Stück deutsche Biederkeit: «Bei Esprit geht es um Geschmack und Stil, es geht nicht um Fashion. Die Sekretärin und die Zahnarzthelferin sind als Kundin wichtig, ich will doch die Frau nicht verkleiden», sagte Krogner zu textilwirtschaft.de.

Einer seiner vielzitierten Grundsätze lautet: «Es gibt nur fünf Farben: Schwarz, Weiss, Beigetöne, Blautöne und Grautöne.» Mit allen anderen könne man Akzente setzen, aber nicht reich werden. Er sei nicht da, um Mode zu machen, sondern um Geld zu verdienen, betonte Krogner immer wieder. Und das funktionierte: Die Zahnarzthelferin und die Sekretärin kauften ein, Esprit wuchs Jahr für Jahr. Unter Krogner machte die Marke zeitweise mehr als 3 Milliarden Euro Umsatz, der Aktienkurs erreichte 2007 sein Hoch bei 110 Hongkong-Dollar.

Esprit als Fashion-Brand?

Dann kam die Finanzkrise. Banken drehten dem Einzelhandel den Geldhahn zu, und die Kunden kauften weniger ein. Ronald van der Vis, der Nachfolger von Krogner, sollte Esprit ab November 2009 erneut zurück auf Kurs bringen. Van der Vis wollte Esprit als moderne Fashion-Brand etablieren und heuerte dafür sogar das Topmodel Gisele Bündchen und den H&M-Designer Jan Nord an, der die Designabteilung nach Paris verlagerte.

Die goldenen Zeiten sind lange vorbei

Aktienkurs von Esprit, in Hongkong-Dollar

Esprit sollte Hochglanz werden – doch für viele Kundinnen und Kunden stimmte das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr, die Stücke waren zu teuer, die Qualität zu schlecht. Um rückläufige Umsätze im Franchise-Geschäft zu kompensieren, investierte van der Vis in eigene Läden, aber diese erwiesen sich als nicht profitabel genug.

Unterdessen zog die Konkurrenz an Esprit vorbei: Marken wie Zara, H&M und Primark boten schnellere und günstigere Mode. Aber auch klassische Mainstreamer wie der Konkurrent S. Oliver überholten Mitte der 2010er Jahre Esprit. Die beiden wetteiferten schon lange miteinander, zwischen Krogner und dem S.-Oliver-Inhaber soll eine «wunderbare Feindschaft» geherrscht haben. Als Esprit den Wholesale, also das Geschäft in den grossen Warenhäusern, vernachlässigte, stiess S. Oliver in die Lücke.

Die Verluste kennen kein Ende

2013 war das letzte erfolgreiche Geschäftsjahr für Esprit, seitdem häufen sich die Verluste. Der ehemalige Zara-Manager Jose Martínez, der van der Vis ablöste, sollte aus Esprit ein Fast-Fashion-Unternehmen nach dem Vorbild des spanischen Modehauses machen. Von Hippie zu hip zu gewinnorientiert zu Hochglanz zu Fast Fashion – welches Unternehmen würde das überleben? 2018 kam Anders Kristiansen, der wiederum den Wholesale wiederbeleben sollte. Doch die Corona-Pandemie machte ihm einen Strich durch die Rechnung, Esprit musste Läden schliessen und in Deutschland Einsparungen vornehmen.

2020 wurde schliesslich eine Investorin aus China zur neuen Hauptaktionärin. Karen Lo besetzte die Führungsriege neu, mehrheitlich mit Personen aus ihrem Umfeld. Der Hauptsitz wurde zuerst nach Hongkong, dann nach Bermuda verlegt, die Kleider werden jetzt in New York entworfen. Als neuer CEO kam 2021 der Amerikaner Mark Daley, der sich nicht einmal ein Jahr an der Spitze des Unternehmens hielt.

Seit März 2022 ist William Pak CEO von Esprit. Auch er tritt wieder mit einer gegenteiligen Strategie zu jener seiner Vorgänger an und will Esprit zu einer hippen, trendigen Marke machen, mit Flagship-Läden an den teuersten Einkaufsstrassen der Welt.

Wieder einmal scheint es, als wisse Esprit nicht, was es eigentlich sein will. Kurz vor seinem Abtritt brachte Anders Kristiansen das Dilemma auf den Punkt: «Wir sind uns einig, dass die Marke Esprit für nichts steht.»

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