Samstag, April 26

Die amerikanische Regierung macht es Wissenschaftern zunehmend ungemütlich. Wie Deutschland jetzt mehr Spitzenforscher anlocken kann und ob Europa insgesamt von der Situation profitiert, erklärt Walter Rosenthal, der den Zusammenschluss der deutschen Hochschulen leitet.

Die amerikanische Regierung stoppt Studien, friert Gelder ein und macht Druck auf die renommiertesten Universitäten des Landes. In Europa kommt derweil die Hoffnung auf, dass man von diesem Chaos profitieren könnte, indem man Spitzenforscher ins eigene Land lockt. Der Arzt und Pharmakologe Walter Rosenthal hat lange die Universität Jena geleitet. Heute steht er als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz mit den Leitern der meisten deutschen Hochschulen in direktem Austausch.

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Herr Rosenthal, wie reagieren Forscher an deutschen Universitäten auf die Ereignisse in den USA?

Zunächst einmal sind deutsche Hochschulen ganz direkt betroffen. Kooperationen mit amerikanischen Partnern stehen plötzlich unter Vorbehalt oder fallen weg, zum Teil ist die Finanzierung von Forschungsprojekten unsicher, die von den USA gefördert wurden. Aber wir sprechen auch darüber, ob wir Forschern aus den USA nun verstärkt Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland eröffnen sollten oder sogar gezielt Spitzenforscher aus den USA abwerben könnten.

Hofft man, aus der geschwächten Lage der amerikanischen Forschungswelt einen Vorteil ziehen zu können?

Es gibt in erster Linie viel Solidarität mit den amerikanischen Kollegen, denn wir verstehen uns als Wertegemeinschaft. Aber natürlich waren wir schon immer auch Konkurrenten um die Spitzenkräfte. Und ich denke, es liegt auf der Hand, dass wir jetzt einen gewissen Vorteil haben und vielleicht mehr Talente zu uns kommen. Aber unsere Hochschulen rekrutieren schon lange international, dieses Werben, von dem man jetzt spricht, ist eigentlich Alltagsgeschäft.

Eine Gruppe von Wissenschaftern hat kürzlich gefordert, das Meitner-Einstein-Programm zu starten. Mit zusätzlichem Geld sollen schnell etwa hundert neue Professorenstellen geschaffen werden, um gezielt Forscher aus den USA einzustellen. Was halten Sie davon?

Wir sollten uns durchaus auf einen Ansturm von Forschern aus den USA vorbereiten, und dafür sind sicher auch zusätzliche Gelder erforderlich. Aber ich glaube nicht, dass wir dafür unbedingt etwas ganz Neues aus dem Boden stampfen müssen, wir haben bereits viele attraktive Formate.

Gehen bei den Universitäten bereits mehr Bewerbungen von amerikanischen Forschern ein?

Ich höre sowohl von Universitäten als auch von ausseruniversitären Forschungseinrichtungen, dass sie momentan sehr viel mehr Anfragen und Interessensbekundungen von amerikanischen Kollegen bekommen. Das passt gut zu dem, was eine Umfrage im Wissenschaftsjournal «Nature» kürzlich ergeben hat: 75 Prozent der Wissenschafter in den USA, die die Umfrage beantwortet haben, überlegen sich, das Land zu verlassen. Viele sind aber noch in der Überlegungsphase, konkrete Bewerbungen sind das noch nicht.

Wie lockt man denn einen Spitzenforscher an die eigene Uni?

Es gibt zwei Punkte, die besonders wichtig sind. Erstens sollte man ein gutes Netzwerk bieten können, also andere herausragende Kollegen auf dem jeweiligen Gebiet an der Hochschule oder in der Umgebung haben. Dann ergeben sich fruchtbare Zusammenarbeiten. Und zweitens braucht es eine gute Infrastruktur und eine gute Ausstattung. Da geht es darum, wie viel Geld der Professor für Material, Experimente und sein Team zur Verfügung hat.

Um welche Summen geht es da?

Die Skala ist nach oben offen. Um einen Anhaltspunkt zu geben: Ein einziges gutes Kryoelektronenmikroskop, das man in der Physik oder der Biologie benutzt, kann schon 10 Millionen Euro kosten. Aber die Kosten für die Ausstattung hängen stark von der Disziplin ab, da kann ich keine allgemeingültigen Zahlen nennen. Es geht jedenfalls um Dutzende Millionen und auch um langfristige Verpflichtungen.

Kann man auch Top-Wissenschafter aus Fachbereichen gewinnen, in denen wir hierzulande noch nicht stark sind und kein grosses Netzwerk zu bieten haben?

Dann ist die Schwelle sicherlich höher. Aber man kann trotzdem ein attraktives Angebot schaffen, indem man kräftig in die Infrastruktur investiert und einem Spitzenwissenschafter viel Gestaltungsspielraum bietet – beispielsweise durch die Mitwirkung bei der Besetzung weiterer Professuren oder der Einrichtung von Nachwuchsgruppen.

Ist Deutschland denn attraktiv genug für Wissenschafter?

Ja, denn in vielen Bereichen ist die deutsche Wissenschaft international führend. Aber es gibt auch Wettbewerbsnachteile. Bei der Visa-Erteilung haben wir immer wieder Probleme, das ist nicht besonders einladend. Und wir sind weltweit berühmt für unsere Bürokratie. Die Genehmigung von Tierversuchen zum Beispiel ist in Deutschland sehr aufwendig und langwierig. Das kann Wissenschafter abschrecken, die solche Versuche für ihre Forschung brauchen.

Die ETH in der Schweiz hält sich bis jetzt zurück und will nicht speziell Forscher aus den USA anwerben.

Das ist mir eigentlich sympathisch. Aber die ETH sticht auch im internationalen Ranking hervor, das macht sie sehr sichtbar und nachgefragt. In Deutschland sprechen wir eher von verteilter Exzellenz, haben also viele Hochschulen, die zwar insgesamt im Ranking nicht auf einem Top-Platz landen, aber die in einem bestimmten Gebiet sehr gut sind. Um die besten Leute dahin zu kriegen, müssen wir aktiv rekrutieren, also die Leute direkt ansprechen, sie einladen, sie kennenlernen.

Haben wir im Moment eine einmalige Gelegenheit, Europa in Sachen Forschung nach vorne zu bringen?

Ich bezweifle, dass das jetzt der grosse Moment ist, der die Wissenschaft in Deutschland oder Europa an die Weltspitze katapultieren wird. Wir konkurrieren schliesslich auch noch mit anderen starken Forschungsnationen, wie zum Beispiel China. Generell lebt Wissenschaft vom globalen Austausch, und der Schaden, der in den USA gerade angerichtet wird, ist viel grösser als der mögliche Nutzen durch eine personelle Stärkung der deutschen Wissenschaft. Trotzdem sollten wir jetzt versuchen, mit mehr Mitteln als üblich sehr gute Leute aus den USA nach Europa zu holen. Dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Qualität der Forschung und der wissenschaftliche Output hier steigen werden. Aber ich rechne eher mit einem inkrementellen Anstieg.

Welche Faktoren machen Deutschland für Forscher grundsätzlich interessant?

Die Rahmenbedingungen stimmen und sind stabil. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich die politische Situation hier. Die Wissenschaftsfreiheit wird respektiert und ist vom Grundgesetz garantiert. Dass die deutsche Regierung in die Selbstverwaltung der Universitäten eingreift, wie die amerikanische Regierung das zum Beispiel gerade bei der Harvard-Universität versucht, ist ausgeschlossen. Solange man sich an Recht und Gesetz hält jedenfalls.

In den Forderungen, Wissenschafter nach Europa zu rekrutieren, schwingt oft ein historischer Vergleich mit der Nazizeit mit, etwa der Verweis auf Albert Einstein und Lise Meitner, die damals aus Deutschland geflohen sind. Was halten Sie davon?

Ich würde es vermeiden, diese Parallelen zu ziehen. Ich denke nicht, dass wir da stehen, wo wir zur Zeit des Nationalsozialismus gestanden haben. Trotzdem, die Gedanken kommen auf. In den USA spielen sich gerade Dinge ab, die ich mir nie hätte vorstellen können. Die Wissenschaftsfreiheit einzuschränken, halte ich für im höchsten Masse bedenklich und gefährlich für eine liberale Demokratie. Dass das ausgerechnet in den USA passiert, ist eine Katastrophe.

Sehen Sie weitreichende Folgen für den wissenschaftlichen Fortschritt weltweit?

Die USA waren bisher das zentrale Land der Wissenschaft. Sie haben riesige Forschungsbudgets, allein die National Institutes of Health steckten bislang 50 Milliarden Dollar im Jahr in die Gesundheitsforschung. Das ist zweieinhalbmal das Budget des gesamten deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Dadurch gab es in den USA bisher eine sehr freie, sehr erfolgreiche Wissenschaft, die weltweit prägend war. Wenn dieses Land nun die Wissenschaft herunterfährt, bevormundet und einschränkt, dann fügt das dem globalen Wissenschaftssystem enormen Schaden zu.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass das, was wir gerade erleben, ein vorübergehender Zustand ist. Trump ist sehr sprunghaft, und vielleicht erkennt die Regierung wie bei den Zöllen, dass ihre Aktionen nach hinten losgehen und dem eigenen Land massiv schaden. Ich hoffe, dass die USA wieder zu einer wissenschaftsfördernden Haltung kommen. Denn den Schaden, der momentan angerichtet wird, können wir in Europa nicht kompensieren.

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