Dienstag, November 26

Das Luxuslabel Hermès stellt Handtaschen her, die selbst gebraucht noch zehntausend Franken und mehr kosten. Warum die Preise so hoch sind und weshalb nicht jeder eine Birkin kaufen kann, erklärt der Hermès-Erbe Guillaume de Seynes.

Handtaschen, die wie vor hundert Jahren von Hand genäht werden, und Seidentücher, die in 42 Arbeitsschritten entstehen: willkommen in der Welt von Hermès, Luxusmarke und Statussymbol für die Reichen und Superreichen. Die Queen trug die Foulards von Hermès als Kopftuch, Grace Kelly und Jane Birkin machten die Handtaschen weltberühmt. Wer heute eine Kelly- oder eine Birkin-Bag möchte, wartet oft Monate, manchmal Jahre – und nicht alle haben das Glück, eine zu bekommen.

Warum ist es so schwer, eine dieser Taschen zu ergattern? Und weshalb sind Menschen bereit, Tausende von Franken für ein solches Accessoire auszugeben? Das wollen wir vom Hermès-Erben Guillaume de Seynes wissen. Er eröffnete diese Woche in Zürich die Ausstellung «Hermès in the Making», mit der das Unternehmen seit einigen Jahren um die Welt tourt.

Herr de Seynes, Sie sind in Zürich, um zu zeigen, wie die Produkte von Hermès entstehen. Was ist daran so speziell?

Wir stecken viel Handarbeit in unsere Produkte. Was Sie hier sehen, ist echt. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte: An einer früheren Ausstellung in Paris arbeitete eine unserer Handwerkerinnen an einer Kelly-Bag. Da kam ein Besucher und sagte, das sei ja alles schön und gut, aber er wolle wissen, wie wir die Taschen in der Fabrik herstellten. Sie erklärte ihm, dass es bei Hermès keine Fabriken gebe, und dass sie ihre Taschen von A bis Z selber fertige.

Was ist das Besondere an einer Kelly, einem Ihrer ikonischsten Produkte?

An der Kelly, die mein Grossvater im Jahr 1939 entworfen hat, bilden wir heute noch unsere Lederhandwerker aus. Nicht nur, weil die Tasche zu unseren meistverkauften Produkten gehört, sondern weil ihr Griff schwer herzustellen ist. Wenn unsere Handwerker untereinander diskutieren, fragen sie: «Wie viele Griffe hast du gebraucht, bis es gut war?» Es ist eine Art Reifeprüfung.

Und wenn mir gefällt, was ich sehe: Wie komme ich an eine Kelly?

Nun, wir schaffen nicht absichtlich Knappheiten, aber die Nachfrage übersteigt unser Angebot. Jedes Jahr eröffnen wir eine neue Produktionsstätte und stellen 300 bis 500 Handwerker ein, aber schneller sind wir einfach nicht. Die Ausbildung zum «artisan» dauert 18 Monate, eine Kelly stellen Sie in fünfzehn bis zwanzig Stunden her.

Nach welchen Kriterien wählen Sie aus, wer eine der begehrten Taschen erhält?

Anders als oft behauptet, versuchen wir, die meisten Kunden zufriedenzustellen. Allerdings gibt es einen Schwarzmarkt, auf dem unsere Taschen zu hohen Preisen gehandelt werden. Wir möchten verhindern, dass wir eine Kelly oder eine Birkin an jemanden verkaufen, der damit nur Geld machen will.

Wie erkennen Sie diese sogenannten Flipper?

Es ist nicht einfach. Einige Leute gehen sehr raffiniert vor. Sie behaupten, die Tasche sei ein Geburtstagsgeschenk für die Mutter oder für die Verlobte. Unsere grösste Herausforderung ist es, die echten Kunden zu erkennen.

Im besten Fall verhindern Sie so den Weiterverkauf. Überwachen Sie auch den Zweitmarkt, indem Sie schauen, wer Ihre Taschen dort verkauft?

Nein. Wir sind nicht die Polizei, wir führen keine Ermittlungen durch.

In den USA wird Hermès von Kundinnen verklagt, weil sie keine Birkin kaufen konnten. Sie behaupten, dass man an die begehrte Handtasche nur herankomme, wenn man zuerst Zehntausende von Dollar für andere Produkte ausgebe. Was ist an diesem Vorwurf dran?

Dazu können wir nichts sagen. Wir kommentieren keine Gerichtsverfahren.

Eine Birkin in klassischem Leder kostet bei Hermès um die 10 000 Franken, auf dem Zweitmarkt sind Preise von 20 000 Franken oder mehr keine Seltenheit. Warum sind Leute bereit, so viel Geld für eine Tasche auszugeben?

Mein Grossvater sagte jeweils: «Hermès-Produkte sind nicht teuer, sondern kostbar.» Schauen Sie, wir sind Handwerker. Unsere Preise ergeben sich aus den Kosten für das beste Leder, die besten Handwerker und aus der Tatsache, dass wir fast alles in Frankreich herstellen.

Und doch verdienen Sie damit gutes Geld. Ihre Nettomarge liegt bei beeindruckenden 33 Prozent. Das bedeutet, dass Ihnen nach Abzug aller Kosten 33 von 100 Euro als Gewinn bleiben.

Ja, wir haben schöne Margen. Trotzdem gibt es bei uns einen Zusammenhang zwischen dem Preis und der Qualität. Wir machen keine Marketingpreise.

Sie betonen immer wieder das Handwerk, das hinter Ihren Produkten stecke. Die Armbänder, die Sie für die Apple Watch herstellen, sind die auch von Hand gefertigt?

Nein, das ist eine maschinelle Naht. Wenn wir diese Armbänder von Hand nähen würden, müssten wir einen Preis verlangen, der für diese Art von Artikel nicht angemessen wäre. Und wir könnten auch gar nicht so grosse Stückzahlen produzieren wie nötig.

Geschäftlich könnte es für Hermès nicht besser laufen. Im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 13,4 Milliarden Euro, was einem Wachstum von fast 16 Prozent entsprach. Auch jetzt sieht es danach aus, als steuerten Sie auf ein weiteres Rekordjahr zu. Ihre Konkurrenten wie LVMH oder Kering hingegen schwächeln. Was machen Sie anders?

Die wirtschaftlichen Bedingungen sind für alle gleich. Ich kann es mir nur so erklären, dass in schwierigen Zeiten die Qualität wichtiger wird, die hinter einem Preis steht.

Mehr als die Hälfte Ihres Umsatzes kommt aus Asien. Seit Monaten heisst es jedoch, dass die Chinesen weniger Luxusgüter kauften. Wie läuft Ihr Geschäft in China?

Die Einkaufszentren haben eindeutig weniger Besucher. Aber wir haben sehr treue Kunden.

Viele Luxusmarken arbeiten mit Prominenten zusammen, Louis Vuitton zum Beispiel kleidet die Schauspielerin Emma Stone für den roten Teppich ein. Die Marken hoffen, so eine jüngere Zielgruppe anzusprechen. Warum macht Hermès das nicht?

Wir freuen uns natürlich, wenn jemand Berühmtes etwas von Hermès trägt, aber wir verschenken keine Produkte. Wenn Sie einen Star in Hermès sehen, dann wissen Sie, dass es seine oder ihre Entscheidung war. Als Carla Bruni und Nicolas Sarkozy heirateten, trug sie ein Kleid von uns. Wir wussten nichts davon.

Hermès ist ein Familienunternehmen in sechster Generation. Ihr Cousin Axel Dumas führt den Konzern, ein anderer, Pierre-Alexis Dumas, ist der Kreativdirektor. Welche Vorteile hat eine solche Struktur?

Hermès hat eine klare Philosophie und konnte sie über Jahrzehnte wahren. Jede Generation hat sich dem Handwerk, der Kreativität und der Qualität verschrieben. Niemand drängte plötzlich auf mehr Wachstum. Diese Kohärenz ist unsere Stärke.

Vor einigen Jahren musste Ihre Familie zusammenstehen, als Bernard Arnault, der CEO Ihres Konkurrenten LVMH, versuchte, Hermès zu übernehmen.

Ja, das hat unseren Zusammenhalt zementiert. Wir waren uns einig, dass wir das Unternehmen nicht verlieren wollten. Deshalb haben 52 Familienmitglieder ihre Aktien in einer Holding gebündelt und sich so die Mehrheit für die nächsten Jahrzehnte gesichert.

Gibt es Dinge, die in einem Familienunternehmen schwierig sind?

Wir sind eigentlich eine sehr diskrete Familie, aber durch den Erfolg von Hermès bekommen auch wir mehr Aufmerksamkeit. Viele Menschen schreiben viele Dinge über uns. Da ist es nicht immer einfach, ein normales Leben zu führen.

Sie begannen Ihre Karriere bei der Modefirma Lacoste. Wann wussten Sie, dass Sie zu Hermès wechseln würden?

Es gab keinen konkreten Plan, falls Sie das meinen. Und es wäre wohl auch in Ordnung gewesen, wenn ich woanders geblieben wäre. Aber ich war sehr glücklich, als mein Onkel mir sagte, dass es an der Zeit sei, in die Firma einzusteigen.

Ist die nächste Generation schon aktiv?

Einige von ihnen sitzen in Gremien, aber niemand arbeitet Vollzeit für Hermès. Es ist nicht gut, wenn sie zu früh in das Familienunternehmen einsteigen. Sie müssen zuerst ihre eigenen Erfahrungen machen.

Gibt es einen Anforderungskatalog für Familienmitglieder, die eintreten wollen?

Ein Standardverfahren gibt es nicht, aber sie müssen natürlich eine gute Ausbildung haben. Dann sollten sie mindestens zehn Jahre lang erfolgreich Karriere ausserhalb des Unternehmens machen. Das ist wichtig, denn es wird zunehmend schwieriger, eine Führungsrolle zu übernehmen. Hermès ist an der Börse und beschäftigt mehr als 23 000 Mitarbeiter.

Was bedeutet Ihnen mehr: die Familie oder das Unternehmen?

Wenn man in einem Unternehmen wie Hermès arbeitet, wird man automatisch zum Familienmenschen. Ich habe selbst keine Kinder, aber es macht Spass, mit meinen Cousins oder mit meinem Bruder zu arbeiten. Man hat vieles gemeinsam. Wir sind ein bisschen wie ein Stamm.

Ein Urururenkel des Gründers Thierry Hermès

Imago

Guillaume de Seynes

Guillaume de Seynes heisst wie alle Vertreter der sechsten Generation nicht Hermès. Sein Urgrossvater Émile Hermès hatte vier Töchter, die ihren Nachnamen bei der Heirat alle ablegten. De Seynes, Jahrgang 1957, ist Absolvent der ESSEC Business School und arbeitete unter anderem bei Lacoste und Champagne Mumm. Im Jahr 1997 stieg er in das Familienunternehmen ein. Heute ist er Executive Vice President von Hermès International und Mitglied des Aufsichtsrats. Der CEO von Hermès, Axel Dumas, ist sein Cousin.

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