Mittwoch, Januar 15

An der Berlinale ist die AfD offiziell nicht eingeladen. Hingehen darf man trotzdem. Ein Kinoabend mit Beatrix von Storch.

Die Berlinale will AfD-freie Zone sein. Von der Eröffnungsgala hat man die Partei nach Protesten wieder ausgeladen. Auch bei der Abschlussfeier am Samstagabend ist sie nicht willkommen.

Reguläre Berlinale-Vorführungen kann aber jeder besuchen. Selbst in Deutschland ist das Kaufen von Kinokarten nicht parteipolitisch reglementiert. Was also passiert, wenn man mit der AfD zur Berlinale geht?

Kino International auf der Karl-Marx-Allee: Beatrix von Storch, 52 Jahre alt, AfD-Bundestagsabgeordnete, schliesst ihr Fahrrad etwas abseits ab. Die Kapuze des Parkas hat sie tief ins Gesicht gezogen.

«Bei der Berlinale war ich ja überhaupt noch nie», sagt die AfD-Frontfrau, die ihr halbes Leben schon in Berlin lebt. Früher sei sie aber sehr gerne ins Kino gegangen. «Herr der Ringe» ist ein Lieblingsfilm. «Zu Hause haben wir danach auf DVD sogar das Making-of geschaut!»

Drama über eine Palliativ-Pflegerin

Im Kino International wird an diesem Abend kein Blockbuster gezeigt. Sondern ein Film aus der anspruchsvollen Berlinale-Nebenreihe «Encounters»: «Ivo», ein deutsches Drama über eine Palliativ-Pflegerin, die eine Affäre mit dem Mann einer Sterbenden hat (Regie: Eva Trobisch). Die Filmauswahl ist Zufall, der Termin passte von Storch gerade am besten in den Kalender.

Zugesagt hat Beatrix von Storch schnell: «Wir von der AfD haben kein Problem damit, wenn Linke ins Kino gehen», sagt sie. «Aber die Linken haben ein Problem, wenn wir ins Kino gehen.»

Gerade von der versuchten Ausgrenzung profitieren Populisten. Vielleicht muss man sich die AfD vorstellen wie die Comicfigur Hulk: Drängt man sie in die Ecke, wird sie hässlich und gross. Tanzt man ihr aber nicht hysterisch vor der Nase herum, schrumpft sie auf Normalmass.

Nun ist die Versuchsanordnung natürlich kompliziert. Beatrix von Storch kann sich dank dem Bumerang der Berlinale als aufgeschlossen präsentieren. Totalitär sind die andern. Von Storch steht gut da. Für den Kinoabend hat die Profi-Politikerin zwei Möglichkeiten: Entweder sie findet alles ganz unerträglich und woke und links. Sie kann Krawall machen und die Berlinale als progressiv-versifften Kultur-Event attackieren. Oder sie gibt sich interessiert und differenziert. Dann stehen die Kulturmenschen, die sie geschnitten haben, erst recht engstirnig da. Win-win. Was macht sie aus der Situation?

Beatrix von Storch hat sich warm angezogen, weil Berlin auch kalt ist, wenn es gar nicht so kalt ist. Aber vor allem: Für von Storch ist das hier kein Heimspiel. Unter der Kapuze kommt ein Stirnband zum Vorschein, auf der weissen Hose, die in braunen, «slouchy» Stiefeln steckt, zeichnet sich ein Blumenmuster ab. Von Storch, das wird sie jetzt ungern hören, könnte auch als links-grün-alternativ durchgehen. Aber vielleicht ist genau das die Idee.

Sie will unerkannt bleiben.

Beatrix von Storch ist für halb Deutschland eines der ultimativen Feindbilder. Unlängst wurde sie von einem Mann in einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz mit Hundekot angegriffen. Personenschützer des Bundeskriminalamts sind informiert über den Kinobesuch. Selbst wenn die AfD in manchen Bundesländern laut Umfragen die stärkste Partei ist: Im Kino dürften die Sympathien für von Storch sehr überschaubar sein.

Den Einlass ins Kino übersteht die Politikerin unerkannt. Erst als es dunkel wird im Saal, nimmt sie die Kapuze ab. Den sozialrealistischen, sich einem klassischen Spannungsbogen verweigernden Film schaut sie konzentriert. Am Ende applaudiert sie verhalten. Für die Fragerunde möchte sie gerne noch bleiben. Nach zwei Stunden im Kino mit der AfD-Abgeordneten lautet die erste Erkenntnis (die sich bitte für nächstes Jahr auch die Berlinale und alle aufgeregt Protestierenden merken sollten): AfD im Kino kann man aushalten. Alles ist dunkel, keiner quatscht. Gibt Schlimmeres.

Mit dem Thema Tod setze man sich viel zu wenig auseinander, sagt von Storch, als wir wieder draussen sind. Sie hat den Kinobesuch unbehelligt überstanden, der Film hat sie berührt. Aber die politische Stossrichtung stört sie: «Themen wie Suizidbeihilfe sind mir wichtig, ich bin ganz klar dagegen. Hilfe beim Sterben, ja, aber nicht zum Sterben.» In der Palliativ-Geschichte im Film gehe es um «Töten auf Verlangen oder eben Beihilfe zum Suizid». Da wird «alles einfach irgendwie beendet, Reissverschluss zu, Krematorium, danach isst man eine Nudelsuppe. Ohne Segen. Ohne Kreuz, einfach nur tot. Ende. Feuer. Vorbei.»

Berlinale ist nicht christlich genug

Beatrix von Storch hätte lieber einen christlicheren Film gesehen. Denn: «Wie wir Christen wissen, geht das Leben nach dem Tod weiter, und nur das irdische Leid ist zu Ende.» Aber solche Filme fänden ja auf einer Berlinale nicht statt. Nach «Ivo» hat sie deshalb nicht das drängende Bedürfnis, sich weitere Festivalfilme anzuschauen. Als AfD könne man «ganz gut überleben, ohne Filme wie diesen zu sehen», sagt von Storch. Ihr Netflix-Abo habe sie auch gekündigt, weil es beim Streamingdienst eine fiktionale Serie über einen Mann gab, der plötzlich schwanger ist. Dass es noch Hunderte andere Serien auf Netflix gibt, ist für sie kein Argument. «Das wollte ich nicht bezahlen.»

Bei der Berlinale-Eröffnungspressekonferenz hatte sich der deutsche Regisseur Christian Petzold gegen das AfD-Verbot geäussert. Es sei doch kein Problem, fünf Personen von der AfD im Publikum zu haben. Seine Jurykollegin Jasmine Trinca aus Italien pflichtete ihm bei: «Stellen Sie sich vor, diese fünf Faschisten schauen sich die Filme auf der Berlinale an; vielleicht hilft ihnen das ja, ihren Horizont zu erweitern.»

Was der Kinobesuch bei Beatrix von Storch bewirkt hat, kann nur sie sagen. Wirkte sie unmittelbar nach der Vorführung fast ein bisschen erweicht, meldet sich danach der Trotz der Politikerin zurück: «Es fehlt einem ja nichts, wenn man so einen Film nicht gesehen hat», sagt sie zum Abschluss über «Ivo». Das ist selbstredend genau der Punkt: Es fehlt die andere Perspektive. Nun kann man natürlich niemanden zwingen, sich einen Film anzuschauen.

Aber man kann zumindest jemanden dazu einladen.

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