Montag, November 17

Der deutsche Kanzlerkandidat der Grünen macht Wahlkampf auf besondere Art. Er lässt sich von Menschen in ihr Zuhause einladen, der Besuch wird gefilmt.

Momentan geht ein Ruck durch Deutschland. Zumindest bei den Küchentischbesitzern, die von der Wahlkampfaktion des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck erfahren haben und sich von ihr angesprochen fühlen. Anfang November hatte Habeck nicht nur seine Ambitionen fürs Kanzleramt öffentlich kundgetan, sondern zugleich dazu aufgerufen, ihn für ein persönliches Gespräch an den heimischen Küchentisch einzuladen.

Hunderte Zuschriften soll der amtierende Wirtschaftsminister erhalten haben, so sagte er es selbst in einer Nachricht Ende November. Mittlerweile sind es einige tausend. Denn die Gespräche mit «Robert» kommen nicht nur bei Grünen-Wählern gut an.

Zuletzt besuchte er eine 96-jährige Frau und ihre Tochter in Hannover. Laut einem Bericht des «Spiegels» war es der erste Besuch, der nicht in der persönlichen Küche der Besuchten stattfand, sondern in einem Maleratelier. Der Dreh im Pflegeheim war aus logistischen Gründen nicht möglich.

«Robert Habeck, guten Abend»

Habeck betritt den Raum. Dass Kameras und Studiolichter auf ihn gerichtet sind, merkt man ihm nicht an. «Grüss Sie, Robert Habeck, guten Abend», sagt er freundlich, beugt sich zu der Seniorin im Rollstuhl hinunter und reicht ihr die Hand. Sie antwortet schlicht: «Hallo», und erwidert seinen Händedruck. Ihre Tochter Marie steht dicht hinter ihr.

Habeck bedankt sich für die Einladung, während die pflegebedürftige Rentnerin Anne ihm für seine Zeit dankt. «Ist eine grosse Freude», sagt Habeck, und man ist geneigt, ihm das zu glauben. Es folgt ein Dialog, der die gesamte Nahbarkeit des Küchentisch-Habecks auf den Punkt bringt.

«Wir wollten nochmals fragen, ob wir ‹Du› sagen dürfen?»

«Selbstverständlich können Sie das.»

«Anne.»

«Robert.»

«Ja, das weiss ich.»

Die Seniorin kennt Habeck nämlich schon aus dem Fernsehen. Annes Tochter Marie bedankt sich in den ersten dreissig Sekunden des darauf entstandenen Videos sichtlich bewegt dafür, dass «eine kleine alte Frau» die Möglichkeit hatte, sich «einer breiteren Öffentlichkeit» vorzustellen. «Er ist sehr empathisch», schlussfolgert Marie. Im Hintergrund untermalt sanfte Pianomusik die Szene.

Blumige Worte am Küchentisch

Der vierminütige Clip trägt den simplen Titel «Gespräch am Küchentisch: Anne und Marie». Allein auf Instagram hat er eine halbe Million Aufrufe erzielt, die vorherigen Gespräche erreichten eine ähnliche Reichweite. Zuvor waren es «Robert und Andrea», die zwar beide nicht die Grünen wählen, aber doch am Ende des Besuchs begeistert waren. Habeck sprach auch mit der Erzieherin Isabell, deren Einladung er als Erstes angenommen hat.

Interessanterweise hält sich Habeck sowohl in diesem als auch in den anderen beiden Gesprächen mit politischen Aussagen zurück. Als die Seniorin Anne von Kommunikationsproblemen mit dem Pflegepersonal erzählt, antwortet Habeck: «Wir werden älter, und wir brauchen mehr Menschen in Deutschland.»

Das klingt blumig, Worte wie Migration oder Zuwanderung erwähnt er aber nicht. Konkrete Zusagen vermeidet er offenbar bewusst, wohl um nicht den Eindruck eines Wahlkämpfers zu erwecken, der mit leeren Versprechungen auf Stimmenfang geht.

Auch der Umstand, dass Habeck erst vor kurzem einen Mann mit behinderter Tochter anzeigen liess, weil der ihn im Internet als «Schwachkopf» bezeichnet hatte, wirkt weit entfernt, wenn man den 55-jährigen Kanzlerkandidaten menschelnd im Wollpullover vor Landhausmöbeln sitzen sieht.

Nahbarkeit ist Habecks Trumpf

Ein Kommentar unter dem Video mit der Erzieherin Isabell fasst die Stärke der Videos zusammen: «Nie im Leben würde Friedrich Merz so ein menschliches und sympathisches Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen aufbringen können!» Der Instagram-Nutzer lobt: «Tolles Format und tolles Video, so geht ernstzunehmende Bürgernähe!»

Habeck, der trotz geringen Chancen aufs Kanzleramt für die Grünen ins Rennen geht, spielt in den Besuchen gezielt seine Stärken gegenüber seinen Konkurrenten Olaf Scholz und Friedrich Merz aus. Weder der amtierende sozialdemokratische Kanzler noch der CDU/CSU-Kandidat gilt als besonders nahbar oder zugewandt in Bürgergesprächen.

Habeck hingegen, der sich als Politiker im norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein einen Namen gemacht hatte, bevor er gemeinsam mit Annalena Baerbock die Doppelspitze der Grünen bildete und schliesslich Wirtschaftsminister wurde, setzt bewusst auf Nähe und persönliche Ansprache. Und begeistert damit ein ganzes Milieu von Küchentischbesitzern.

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