Das Belohnungssystem im Gehirn beschert uns gute Gefühle und den Anreiz, überhaupt etwas zu tun. Doch es kann aus dem Gleichgewicht geraten. Ein Beitrag aus der Rubrik «Hauptsache, gesund».
Vor und hinter mir liegt ein graues Geröllfeld, durchzogen von Blumen und Grasbüscheln. Der Gipfel ist weit, die Kinder schimpfen über die Wanderlust der Eltern, die Sonne brennt herab, und einen kurzen Moment frage ich mich, warum ich mir das antue. Warum quäle ich mich 1000 Höhenmeter den Berg hoch, um danach mit schmerzenden Knien wieder runterzulaufen?
Es ist mein internes Belohnungssystem, das mich diese Mühen auf mich nehmen lässt. Es gibt mir ein gutes Gefühl, sagen zu können: «Ich war da oben.» Nur schon die Erwartung dieses Gefühls führt dazu, dass Nervenzellen in meinem Gehirn den Botenstoff Dopamin ausschütten.
Dasselbe gilt übrigens für Essen, ein gutes Gespräch, Sex, aber auch für unterschiedliche Drogen. All das aktiviert dasselbe interne Belohnungssystem – ein Netzwerk aus Nervenzellen in verschiedenen Hirnregionen.
Die Erwartung treibt uns an
Ohne das neuronale Belohnungssystem wären wir nicht lebensfähig. Wir würden nichts essen, nichts trinken und uns auch nicht fortpflanzen. Es braucht die Belohnung auf der Ebene der Nervenzellen. Der Gedanke fasziniert mich: Ohne Belohnung läuft nichts im menschlichen Körper.
Allerdings produziert das Dopamin selbst weder Freude noch andere gute Gefühle. Es gibt uns lediglich die Energie und den Willen, etwas zu tun. Es macht uns bereit dafür, einen Berg hochzulaufen, lange Arbeitstage durchzustehen oder die ganze Nacht wach zu bleiben.
Für Genuss und Freude sind andere Botenstoffe im Belohnungssystem zuständig: Endorphine und Endocannabinoide. Neurowissenschafter unterscheiden zwischen den Hirnaktivitäten, die das «Wollen» oder das «Geniessen» hervorrufen. Man könnte auch vom Anreiz- und vom Genusssystem sprechen. Nicht immer sind sie gleichzeitig aktiv.
Fehlen die Endorphine, so fehlt der Genuss
Der Mensch kann etwas auch dann unbedingt wollen, wenn es ihm keine Freude bereitet. Er kann etwa den Drang verspüren, einen Gipfel zu erklimmen oder sehr viel zu arbeiten, ohne dass es ihm Spass macht. Dopamin löst diesen Drang aus. Solange aber die Endorphine fehlen, bleibt der Genuss aus.
Besonders ausgeprägt ist das, wenn das Dopaminsystem krankhaft aus dem Ruder läuft. Das geschieht beispielsweise bei einer Sucht. Anfangs bereitet es noch Freude, Wein oder Kokain zu konsumieren oder shoppen zu gehen. Doch dann kommt der Genuss zum Erliegen. Es bleibt nur ein starker Drang, die Droge zu konsumieren.
Auch ohne Sucht kann es passieren, dass die Motivation gross ist, aber die Freude fehlt. Nach anstrengenden Arbeitswochen habe ich zu Beginn dieser Ferien einen starken Drang, die Berge hochzurennen. Aber warum eigentlich, wenn es doch so anstrengend ist?
Der Gedanke verfliegt schnell wieder. Mit zunehmender Entspannung finde ich einen guten Laufrhythmus, erzähle den Kindern eine Geschichte und freue mich über die Sicht auf die Berge. Mein Anreiz- und das Genusssystem arbeiten wieder zusammen. Oben angekommen, bewundern wir die Aussicht auf das weite Gipfelmeer.
In der wöchentlichen Rubrik «Hauptsache, gesund» werfen die Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin, Gesundheit, Ernährung und Fitness. Bereits erschienene Texte finden sich hier.
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