Donnerstag, April 24

Sie haben die Schweizer Uhrengeschichte mitgeschrieben: Rolf Portmann kämpfte gegen das bürokratische Uhrenstatut, Ulrich Herzog stellte in der Quarzkrise als einer der Ersten wieder auf mechanische Uhren um.

Wer Uhrengehäuse aus Stahl herstellte, durfte ohne explizite Erlaubnis nicht plötzlich auch solche aus Gold fertigen, wer Rohwerke fabrizierte, dem war es untersagt, auch die regulierenden Bestandteile des Werks – sprich Anker, Unruh und Spirale – zu produzieren. Als Rolf Portmann im Jahr 1956 seine Stelle bei der Uhrenmanufaktur Oris antrat, war die (Uhren-)Welt noch eine andere. Wer in der Schweiz was und wie viel produzieren und exportieren durfte, das war streng geregelt im sogenannten Uhrenstatut.

Das Bürokratiemonster wurde im Jahr 1934 erschaffen, um die Schweizer Uhrenindustrie zu schützen. Für den damaligen Direktor von Oris war es jedoch vor allem ein Hindernis. Denn laut dem Statut durfte sein Unternehmen nur günstige Uhren mit Stiftankerhemmung herstellen.

Der Direktor wollte mehr: Er wollte frei sein in seinen unternehmerischen Entscheiden. Er wollte Uhren mit einer hochwertigen Schweizer Steinankerhemmung bauen und damit neue Marktsegmente erobern. Bei dieser Art von Hemmung, die bis heute verwendet wird, werden für die Steuerung des Uhrwerks verschleissarme Rubine oder andere Edelsteine eingesetzt; beim Stiftanker ist es eine einfache Konstruktion mit Metallstiften.

Der gelernte Jurist Portmann machte es sich zur Aufgabe, sich für die Abschaffung des Uhrenstatuts einzusetzen. Dieses galt jeweils für zehn Jahre und stand im Jahr 1960 im Parlament zur Erneuerung an.

Herr Portmann, warum war das Uhrenstatut für Oris ein Problem?

Portmann: Die europäischen Märkte haben Stiftanker überhaupt nicht goutiert, weil sie als weniger präzise galten. Das Commonwealth war unser Hauptmarkt, plus ein paar weitere afrikanische und lateinamerikanische Länder.

Wie kämpften Sie für die Abschaffung?

Ich habe in Bern lobbyiert und unter Pseudonymen unzählige Artikel publiziert, um die Nachteile dieser Regelung aufzuzeigen, unter anderem in der liberalen NZZ. Der Durchbruch kam, als ich endlich erwirken konnte, dass eine Delegation von Beamten aus dem Volkswirtschaftsdepartement bei uns vorbeischaute. Wir konnten ihnen zeigen, was das Uhrenstatut in der Praxis bewirkt: dass wir vieles nicht produzieren dürfen, obschon wir bestens dafür geeignet wären. Wegen des Berichts dieser Delegation, die den protektionistischen Charakter des Uhrenstatuts durchschaute, wurde dieses ab 1961 schrittweise abgebaut.

1961 wurde das Uhrenstatut aber noch einmal erneuert. Weshalb?

Die Angst, dass Billiguhren aus der Schweiz den Markt überschwemmen und dem Ruf der Schweizer Uhr im Ausland schaden könnten, war immer noch da. Aber das Uhrenstatut wurde 1961 immerhin stark abgespeckt. Statt Verbote gab es neu eine staatliche Qualitätskontrolle. Da war ich natürlich ebenfalls dagegen.

Eine staatliche Qualitätskontrolle für Uhren – wie muss man sich das vorstellen?

Der Staat hat an verschiedenen Orten Büros mit Uhrenkontrolleuren aufgemacht. Das von uns aus nächste war in Liestal. Die Uhrmacher, die dort arbeiteten, traten als Polizisten auf und entschieden, ob die Qualität der Uhren genügte. Ich fand das absurd: Um zu verhindern, dass die Uhrenindustrie sich aufbläht und zu viele Uhren produziert, baute man einen riesigen Kontrollapparat auf.

1966 wurde das Uhrenstatut dann vorzeitig abgeschafft. Wie kam es dazu?

Irgendwann sah man ein, dass es einfach nicht funktionierte. Die öffentliche Meinung verkehrte sich dann auch rasch ins Gegenteil: Nun war plötzlich das Uhrenstatut schuld, dass die Schweizer Uhrenindustrie nicht innovativer war und den Anschluss an die Quarztechnologie verloren hat.

Mit der Abschaffung des Uhrenstatuts standen Oris zwar neue Türen offen, und das Unternehmen begann, Uhrwerke mit Steinanker zu entwickeln. Aber die neue Freiheit währte nur kurz: Die sich verbreitende Quarztechnologie, die deutlich genauere Uhren erlaubte, verbreitete sich rasant. Dies führte zu grosser Unsicherheit. «Wir haben realisiert, dass wir die Entwicklung eigener Quarzwerke selber niemals würden stemmen können», sagt Portmann.

Oris begann deshalb, mit anderen Firmen über ein mögliches Zusammengehen zu sprechen. 1970 schliesslich folgte der Verkauf an die Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG (Asuag). Dieser Grosskonzern, der 80 Prozent aller Schweizer Rohwerke herstellte, wollte ins Geschäft mit Fertiguhren einsteigen und baute dafür eine Holding aus Uhrenfirmen auf: die General Watch Company (GWC). Diese umfasste neben Oris auch andere Marken wie Longines, Certina, Eterna, Mido oder Rado.

Rolf Portmann war zu Beginn begeistert. Aber bald stellte sich heraus, dass auch unter dem Dach der GWC überzeugende Konzepte fehlten. Zunächst hiess es, Oris solle seine Position als Anbieter günstiger Stiftankeruhren behalten und die untersten Marktsegmente abdecken. Aber die Rentabilität der Gruppe war schwach, der starke Franken setzte ihr zu. Dann begann aus Japan heraus der Siegeszug der Quarzuhr, und plötzlich hiess es, Oris solle die Stiftanker aufgeben und sich vermehrt im Quarzbereich engagieren. Die Werkelieferantin Ebauches AG konnte aber gar nicht rasch genug preiswerte Quarzuhrwerke liefern.

Die Probleme spitzten sich zu. Als GWC 1981 beschloss, die mittlerweile rote Zahlen schreibende Oris zu liquidieren, zog Portmann einen Plan aus der Schublade, den er bereits einige Jahre zuvor ausgeheckt hatte: Zusammen mit Freunden und dem Direktor von Oris, Ulrich Herzog, führte er ein Management-Buyout durch.

Die Gruppe konnte allerdings nicht die ganze Firma übernehmen, denn Oris war viel zu gross. Gehäusefabrik, Zifferblattfabrik, Rohwerke usw., das alles wäre laut Portmann nur Ballast gewesen. Erworben wurden nur das gesamte Lager an Uhren, Werken und Gehäusen, dazu die Marke und die Markenrechte in allen Ländern.

Es war ein eigentlicher Neustart unter (fast) gleichem Namen: Statt Oris Watch Co. hiess man nun Oris SA. Fortan würde man mit zugekauften Komponenten nur noch Fertiguhren assemblieren. Für das Zusammenbauen der Uhren und den Nachverkaufsservice behielt man rund 30 Mitarbeiter, die übrigen 216 Mitarbeiter wurden entlassen.

Herr Portmann, Herr Herzog, wie präsentierte sich Ihnen die Lage nach dem Management-Buyout?

Portmann: Zunächst einmal schwierig. Wir hatten diesen riesigen Berg an mechanischen Werken, die nicht mehr so begehrt waren, denn alle wollten Quarz. Dieses Lager im Wert von rund 5 Millionen Franken mussten wir übernehmen und das Geld der GWC zurückzahlen, wobei sie uns einige Jahre Zeit gaben. Unsere Idee war, die alten Werke nach den angestammten Märkten in Südamerika, Afrika und dem Nahen Osten zu verkaufen und uns dann auf Quarz zu konzentrieren.

Aber es kam anders.

Herzog: 1985 passierte etwas Entscheidendes. Unser japanischer Vertreter entdeckte ein altes Handaufzug-Modell von uns mit einem Zeigerkalender. Er kaufte in Asien einige dieser Uhren zusammen, und als er sie in Japan vorstellte, realisierte er, dass er einen Hit gelandet hatte. Die jungen Japaner, die zeitlebens nie etwas anderes gesehen hatten als Quarzuhren, begeisterten sich für diese mechanische Uhr, die ohne Batterie lief.

Portmann: Das waren Uhren, die wir noch für Afrika produzierten, aber sonst gar niemandem mehr zeigen wollten.

Was löste das bei Ihnen aus?

Herzog: In dem Moment war bei uns eine neue Vision geboren. Wenn sich ausgerechnet die jungen Japaner plötzlich wieder für mechanische Uhren interessieren, müssen wir dies zu unserer Zukunft machen. 1987 haben wir entschieden, dass wir der weltweit führende Hersteller von mechanischen Uhren sein wollen, mit eigenem Gesicht und mit erschwinglichem Preis.

Quarzuhren waren ab sofort kein Thema mehr?

Herzog: Die Umstellung ging relativ rasch. 1987 lag der Anteil mechanischer Uhren an unserem Umsatz noch bei 8,1 Prozent. Sieben Jahre später waren es 90 Prozent. 1994 haben wir Quarz ganz aufgegeben.

War das ein schwieriger Entscheid?

Herzog: Wir wurden ausgelacht und als Spinner bezeichnet.

Waren die Uhrenhändler an den mechanischen Uhren von Oris interessiert?

Herzog: Nein, die Juweliere wollten lieber Quarzuhren verkaufen. Alle glaubten, Quarz sei die Zukunft. Zudem sind Quarzuhren für die Händler weniger aufwendig, weil sie wartungsärmer sind. Aber es gab andere Läden, die sich für unsere Uhren interessierten.

Welche Art von Läden?

Herzog: Heute würde man von Concept-Stores sprechen. Avantgarde-Geschäfte wie Comme des Garçons in Japan, Chaise Longue in Frankreich oder Paul Smith in England nahmen unsere Uhren in ihr Sortiment. Das ging, weil wir nicht allzu teuer waren. Unsere Uhren kosteten 500 bis 600 Franken.

Zahlte sich die Strategie aus?

Herzog: Absolut, ab dann ging es rasant aufwärts, mit Zuwachsraten von 20 bis 25 Prozent pro Jahr. Eigentlich bis ins Jahr 2008, bis zur Finanzkrise. Es brauchte jedoch auch grosse Marketinganstrengungen, um die Marke bekannt zu machen.

Was passierte in der Finanzkrise?

2008 war ein rechter Rückschlag – nicht nur für uns, sondern für die ganze Uhrenbranche. Nach der Finanzkrise ging es zwar wieder aufwärts, aber die Dynamik von vorher haben wir nicht mehr erreicht. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Konkurrenz viel härter geworden ist. Inzwischen hat auch der Hinterste und Letzte gemerkt, dass die Zukunft der Schweizer Uhren in der Mechanik liegt.

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