Ausländerinnen und Ausländer begehen zwar deutlich mehr Delikte als Personen mit Schweizer Pass. Doch trotz Zuwanderung steigt die Kriminalität weniger stark, als es auf den ersten Blick erscheint.

Ein Thema dominierte die Berichterstattung über die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2023, die Ende März veröffentlicht wurde: die starke Zunahme der durch Ausländerinnen und Ausländer begangenen Straftaten. Vor allem die Vielzahl der Massendelikte von Asylsuchenden aus den Maghrebstaaten beschäftigte die Öffentlichkeit. Weil die krasse Zunahme insbesondere der Vermögensdelikte mit der wachsenden Zuwanderung zusammenfällt, scheint die Schlussfolgerung auf der Hand zu liegen: Die Zuwanderung erhöht das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden.

Doch trifft dies wirklich zu – oder wird die Ausländerkriminalität überbewertet? Ein neues Papier des Kriminologen Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften deutet genau darauf hin. Baiers These lautet, dass die Kriminalität ausländischer Personen überschätzt werde. Dies unter anderem deshalb, weil die polizeiliche Kriminalstatistik so aufgebaut sei, dass Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit überrepräsentiert seien. Die Untersuchung erschien in der Zeitschrift «Risiko und Recht».

Vor zehn Jahren waren Einbrüche häufiger

Ganz neu sind solche Erklärungsansätze nicht – und es ist umstritten, inwiefern sie für die Kriminalitätsbekämpfung wirklich relevant sind. Delikte müssen schliesslich so oder so bekämpft werden. Dass Ausländerinnen und Ausländer statistisch gesehen häufiger kriminell werden als Schweizerinnen, bestreitet zudem auch Baier nicht. Doch er verweist auf mehrere Faktoren, die das Bild verzerrten:

• So ist umstritten, ob und wie stark Straftaten überhaupt zugenommen haben. Die PKS weist die Zahl der angezeigten Delikte aus, jedoch ohne das Bevölkerungswachstum zu berücksichtigen. Wird die Anzahl der Straftaten auf 1000 Einwohner berechnet (Häufigkeitszahl), fällt die Zunahme von 2022 auf 2023 leicht tiefer aus (13 statt 14 Prozent). Das ist wenig. Doch betrachtet man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum, so hat die Häufigkeit bei zahlreichen Delikten sogar abgenommen, beispielsweise bei Körperverletzungen, Raub, Sachbeschädigungen oder Diebstählen. So gab es 2012 neun Einbruch- und Einschleichdiebstähle auf 1000 Einwohner – gegenüber vier im letzten Jahr. Es ist also keineswegs eindeutig, dass die Zuwanderung die Zahl der Delikte pro Kopf erhöht.

• Aber selbst wenn man die Straftaten zur Wohnbevölkerung ins Verhältnis setzt, resultieren Verzerrungen. Dies, weil in der PKS auch Delikte mitgezählt werden, die gar nicht von Personen mit Wohnsitz in der Schweiz begangen wurden, sondern beispielsweise durch Kriminaltouristen. Von 90 403 beschuldigten Personen hatten 2023 55,7 Prozent eine ausländische Herkunft – dies bei einem Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung von 26 Prozent. Mitgezählt sind dabei aber auch Personen mit Wohnsitz im Ausland sowie Personen aus dem Asylwesen, die statistisch beide nicht zur Wohnbevölkerung zählen. Zieht man diese Gruppen ab, beträgt der Anteil der beschuldigten Nichtschweizerinnen und -schweizer noch 41,3 Prozent.

• Über eine längere Phase betrachtet, bleibt der Anteil der Beschuldigten mit ausländischer Herkunft gemessen an der ausländischen Bevölkerungszahl (Beschuldigtenbelastungszahl) konstant. Die neu Zugewanderten sind also nicht krimineller. Das Jahr 2023, in welchem nordafrikanische Kleinkriminelle für Schlagzeilen sorgten, ist gemäss den Berechnungen von Baier nicht einmal ein Ausreisserjahr. So sei die Belastungszahl bei der ausländischen Wohnbevölkerung vor zehn Jahren sogar höher gewesen.

Belastungszahl im Asylbereich hat sich fast verdoppelt

• In der PKS würde überdies die soziodemografische Struktur nicht berücksichtigt, so Baier: Personen der ausländischen Bevölkerung seien häufiger männlich, etwas jünger und kämen aus unteren Einkommens- und Bildungsschichten – alles Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit von Delinquenz unabhängig von der Nationalität erhöhen.

• Die PKS ist deshalb laut Baier nur sehr bedingt geeignet, um die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung abzubilden. Sie basiert auf Strafanzeigen, die nicht immer nach gleichem Muster erstattet werden. So führt die Sensibilisierung für häusliche Gewalt zu mehr Anzeigen in diesem Bereich. Ähnlich verhält es sich laut Baier auch in Bezug auf die mögliche Täterschaft. Verschiedene Studien zeigten, dass die wahrgenommene Herkunft der Tatperson die Bereitschaft zur Anzeige beeinflusse. Eine Befragung aus der Schweiz zeigt, dass zweieinhalbmal so häufig Anzeige wegen Körperverletzungen erstattet wird, wenn der Täter als Person mit Migrationshintergrund wahrgenommen wird.

• Massiv grösser geworden ist die Belastungszahl allerdings im Asylbereich. Sie sei innerhalb eines einzigen Jahres von 2,9 auf 4,4 gestiegen, so Baier. Hier gehe sie über das Ausmass der Bevölkerungsentwicklung hinaus. Bei mehreren Formen des Diebstahls wurden deutlich mehr als doppelt so viele Personen beschuldigt wie vor einem Jahr. Das gilt in reduziertem Mass auch für andere Delikte – mit Ausnahme der sexuellen Nötigung.

Baiers Analyse kann nicht die Tatsache relativieren, dass Ausländerinnen und Ausländer deutlich häufiger delinquieren als Personen mit Schweizer Pass. Insbesondere im Asylbereich bestätigt sie die Beobachtungen, dass es zu deutlich mehr Delikten gekommen ist und Handlungsbedarf besteht. Unterschiedliche statistische Betrachtungsweisen dürfen auch nicht davon abhalten, Ursachen für die Kriminalität deutlich zu benennen. Doch die Zahlen mildern das Bild etwas ab, nach dem sich die Schweiz wegen der Zuwanderung in einer kriminalstatistischen Ausnahmesituation befinde.

Exit mobile version