Freitag, Oktober 25

Die Mehrheit der Wähler wird immer älter. Damit das nicht in einer kurzsichtigen Herrschaft der Alten endet und die Gesellschaft verkrustet, braucht es politisch aktivere Junge und Ältere, die an die nächsten Generationen denken.

Die Schweiz ist in Europa nicht allein, was die Alterung der Gesellschaft angeht. Mit ihrer ausgeprägten direkten Demokratie bietet sie aber besonders interessanten Anschauungsunterricht. Was passiert, wenn Gesellschaften zusehends überaltern? Geraten dann die Interessen der Jüngeren unter die Räder? Und bleiben solche Länder überhaupt noch innovativ und zukunftsfähig?

In der Schweizer Bevölkerung wächst fast nur noch die Gruppe der Pensionäre

Bevölkerungsprognosen des Bundesamts für Statistik, Index 2020 = 100

In der Schweiz ist die durchschnittliche Geburtenrate in den 1960er und 1970er Jahren von 2,5 auf 1,5 Kinder pro Frau gesunken und seither trotz Zuwanderung nicht mehr angestiegen. Seit 2020 wächst in der Schweiz praktisch nur noch die Gruppe der Rentner, das dafür kräftig. Laut dem Referenzszenario des Bundesamts für Statistik wird sie bis 2050 um knapp zwei Drittel zunehmen.

Das Stimmvolk, das hierzulande regelmässig über wirtschafts- und sozialpolitische Vorlagen urteilt, altert noch schneller als die Bevölkerung. Denn erstens gibt es wegen der vom Arbeitsmarkt geprägten Zuwanderung unter den 18- bis 40-Jährigen am meisten Ausländer: Ein Drittel darf in dieser Altersgruppe nicht wählen. Und zweitens haben die 65- bis 75-Jährigen die höchste Wahlbeteiligung; viermal mehr gehen immer wählen als unter den 18- bis 25-Jährigen.

Die Schweizer Wähler sind deutlich älter als die Bevölkerung

Verteilung nach Alter, in Prozent

Das Resultat ist eindrücklich: Das Medianalter, bei dem die eine Hälfte der Wähler älter und die andere jünger ist, hat in der Schweiz 57 Jahre erreicht. Schätzungsweise 64 Prozent der Abstimmenden sind 50-jährig und älter, 34 Prozent gar über 65-jährig. Tendenz steigend.

Die Lasten werden immer grösser

Dass die Menschen länger leben, ist erfreulich. Doch die Alterung der Gesellschaft stellt unter anderem die Finanzierung der Altersvorsorge vor Probleme. Bei Einführung der schweizerischen AHV standen vollen 44 Erwerbsjahren im Durchschnitt 13 Bezugsjahre gegenüber. Inzwischen sind es 24 Bezugsjahre geworden – beim zwar demnächst vereinheitlichten, aber für die Männer immer noch gleichen Pensionsalter von 65 Jahren. Den gesamten Zugewinn an Lebenserwartung geniesst man somit als Freizeit.

Das führt zu einer zunehmenden Belastung der Erwerbstätigen und zu einer Unterfinanzierung der Altersvorsorge. Laut den neusten Prognosen des Bundes dürfte das Umlageverfahren der AHV 2029 defizitär werden und ohne Gegensteuer bis 2050 Defizite in der Grössenordnung von ungefähr 120 Milliarden Franken anhäufen.

Will man den nächsten Generationen nicht bloss Schulden hinterlassen, gilt es, das Rentenalter anzuheben, die Rentenansprüche zu kürzen und/oder die Beiträge zu erhöhen. Doch was tun die Gewerkschaften? Sie verlangen eine 13. AHV-Zahlung pro Jahr und argumentieren, man müsse damit etwas gegen Altersarmut tun.

Stimmen die Wähler dem zu, würde sich das Defizit der AHV bis 2050 um geschätzt zusätzliche mehr als 100 Milliarden Franken erhöhen. Rentner erhielten Einnahmen, die sie nicht finanziert haben und die die meisten nicht zwingend brauchen (laut einer Umfrage des Bundesamts für Statistik haben gerade einmal 6,4 Prozent der Rentner Schwierigkeiten, finanziell über die Runden zu kommen). Zahlen müssten das die Jüngeren über höhere Lohnabzüge und steigende (zukünftige) Steuern, die ihre Kaufkraft schmälern.

Die 13. AHV-Rente sollte deshalb abgelehnt und Altersarmut, wo nötig, mit gezielten Ergänzungsleistungen gelindert werden statt mit der Giesskanne. Doch was geschieht, wenn der Medianwähler 57-jährig ist und die Hauptlast der erhöhten Renten auf die Jungen abwälzen kann?

Verantwortung statt purer Eigennutz

Interessant ist die Frage auch deshalb, weil gleichzeitig die Renteninitiative der Jungfreisinnigen zur Abstimmung gelangt. Sie will das Referenz-Rentenalter in den nächsten zehn Jahren schrittweise auf 66 Jahre erhöhen und danach jeweils um 80 Prozent der zusätzlich gewonnenen Lebenserwartung ansteigen lassen. Das würde die Altersvorsorge ohne Rentensenkungen oder zusätzliche Beiträge weitgehend stabilisieren.

Es ist ein Automatismus, den die nordischen Länder längst beschlossen haben: Dänemark und Estland erhöhen das Rentenalter um die zusätzlich gewonnene Lebenserwartung, Finnland und Schweden um zwei Drittel davon. Unter den OECD-Ländern haben volle zwei Drittel das Naheliegende bereits getan und eine Erhöhung des Rentenalters beschlossen. Dänemark hat das Referenzalter bereits auf 67 Jahre erhöht, Portugal und Deutschland auf 66.

Wird das nun endlich auch der Schweiz gelingen?

Es dürfte davon abhängen, ob die Wähler bloss ihre kurzfristigen Eigeninteressen verfolgen und ob sie sich der Problematik bewusst sind. Denken sie rein eigennützig, wird die Mehrheit einer 13. Rente zustimmen, für deren Finanzierung sie nicht geradestehen muss. Und zu einer Erhöhung des Rentenalters wird es dann erst in etwa einem Dutzend Jahren kommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden pensioniert ist oder von einer geplanten Erhöhung nicht mehr betroffen sein wird. Das Land würde zur erstarrenden Gerontokratie.

Doch dem muss nicht so sein. Zum Glück haben die Schweizer immer wieder bewiesen, dass sie das Gesamtwohl in ihre Entscheide einbeziehen, wenn sie vom Sinn dahinter überzeugt wurden. So haben sie sich gegen eine Erbschaftssteuer ausgesprochen, die nur einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung belastet hätte, gegen eine obligate sechste Ferienwoche und auch gegen rigide Lohnvorschriften wie einen nationalen Mindestlohn oder die 1:12-Initiative.

Leider aber scheinen sich viele nicht dessen bewusst zu sein, wie sehr sie künftige Generationen belasten. So nehmen die meisten an, ihnen stünde zu, was sie in der beruflichen Vorsorge angespart haben. Dabei verdrängen sie, dass wegen des zu hohen Umwandlungssatzes von 2014 bis 2022 45,1 Milliarden Franken von den Erwerbstätigen zu den Rentnern umverteilt worden sind.

Vom Mangel an Kindern profitiert

Wenigen scheint auch bewusst zu sein, dass die älteren Generationen von einer demografischen Dividende profitierten, weil sie zu wenig Kinder hatten, um die Bevölkerung konstant zu halten. Sie konnten mehr arbeiten und Steuern zahlen; das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Nichterwerbstätigen war hoch und förderte den Wohlstand. Nun kehrt sich das um.

Benachteiligt sind die Jungen auch in anderen Politikbereichen. Glaubt man dem gegenwärtigen Stand der Klimaforschung, so führen zu günstige Energie und zu hohe Emissionen zu einer Klimaerwärmung, die für die Menschheit bedrohlich ist. Die Folgen sollen nun die nächsten Generationen mit einer Dekarbonisierung in den Griff bekommen. Das wird immens teuer.

Bereits wollen deshalb manche die Schuldenbremse lockern. Dabei ist diese die beste Vorkehrung gegen eine weitere unfaire Einschränkung des Handlungsspielraums künftiger Generationen. In der Schweiz macht der Schuldendienst derzeit weniger als 2 Prozent aller Ausgaben des Bundes aus. In den USA, wo das Schuldenmachen fröhliche Urständ feiert, sind es bereits 13 Prozent.

Auch sonst fragt sich, wie zukunftsgerichtet und innovativ eine direktdemokratische Gesellschaft mit zunehmender Alterung noch ist. Während Jüngere in einer Integration im gemeinsamen europäischen Binnenmarkt die Chancen des Studentenaustausches, der Forschungszusammenarbeit und des Rechts auf gleichberechtigte Erwerbstätigkeit in einem anderen EU-Staat erkennen, mögen Ältere sich eher vor zusätzlichem Wettbewerb und Einschränkungen ihrer Souveränität fürchten.

Gemeinsam gegen das Verknöchern

Besonders fatal ist dabei die Haltung, «die anderen» hätten zu viel und man selber erhalte vom Staat zu wenig. Pandemiehilfen und Rettungsaktionen für Banken und Stromkonzerne haben einer solchen Anspruchsmentalität Vorschub geleistet, auch wenn zumindest die Rettungsschirme den Steuerzahler keinen Franken gekostet haben. Die nordischen Länder sind der Schweiz bei der Reform der Altersvorsorge vielleicht auch deshalb voraus, weil sie Ende der 1990er Jahre bereits spüren mussten, wie Staat und Wirtschaft an die Wand gefahren werden, wenn alle nur noch möglichst viel öffentliche Leistungen herausholen wollen.

Beunruhigend ist, dass dies und die beiden AHV-Initiativen die Jungen wenig zu kümmern scheinen.

Jüngere und verantwortungsbewusste Ältere, wacht auf, wenn die Schweiz nicht verknöchern soll! Jüngere müssen sich ihrer Interessen stärker bewusst werden und diese aktiver in den politischen Prozess einbringen. Und die Älteren sollten in einer direkten Demokratie wie der Schweiz nicht nur an sich selbst denken, sondern an das Wohlergehen ihrer Töchter, Söhne und Enkel. Damit die Schweiz eine dynamischere Zukunft hat, als es ein rein egoistischer Blick auf die Alterung der Wählerschaft befürchten lässt. Hoffentlich überrascht der Abstimmungssonntag vom 3. März positiv!

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