Freitag, Oktober 18

Weil Partygäste zu seinem Techno-Hit «L’amour toujours» rassistische Parolen grölen, ist Hitproduzent Gigi D’Agostino in die Schlagzeilen geraten. Dass das Lied an deutschen Festen verboten werden soll, macht ihn wütend.

Einen Satz sagt Gigi D’Agostino im Gespräch mit der NZZ mehrmals: «Non capisco», «Ich verstehe das nicht». Der exzentrische italienische DJ (eines seiner Markenzeichen: Kapitänskluft und üppiger Schmuck) lebt seit einigen Jahren in Lugano, wo er es normalerweise ruhig und friedlich hat. Doch seit sich in einer Bar auf Sylt eine Gruppe vornehm gekleideter Gäste dabei gefilmt hat, wie sie zu D’Agostinos Techno-Hymne «L’amour toujours» tanzt und «Ausländer raus» grölt, ist er ein gefragter Mann.

Denn der Missbrauch seines Liedes hat in Deutschland eine Art Staatskrise ausgelöst, die auch international Wellen schlägt. Der Bundeskanzler, Udo Lindenberg, die Medien – sie alle zeigen sich schockiert und angeekelt über die «Schnöseldorfer Schickimicki Schleicher» (Lindenberg). Bands kündigen spontane Konzerte «gegen rechte Strukturen» an, und das Magazin «Stern» fragt: «Wie rassistisch sind die Reichen?» Fast täglich werden neue Fälle von Partys vermeldet, an denen D’Agostinos Lied ebenfalls für fremdenfeindliche Provokationen missbraucht wurde.

In der Schweiz, wo «20 Minuten» kürzlich Tipps gab, «wie man nach dem Skandal-Video von Sylt einen hartnäckigen Ohrwurm wieder loswird», soll es in Gunzwil (LU) zu ähnlichen Szenen gekommen sein wie in Sylt. In Österreich verzichten Klubs und grosse Radiostationen gemäss Medienberichten darauf, «L’amour toujours» zu spielen. Dies, nachdem mehrere Veranstalter in Deutschland erklärt haben, man werde den Song infolge «rechtsradikaler Konnotation» und zwecks «Verhinderung von Sylter Verhältnissen» verbannen – unter anderem am Oktoberfest.

Herr D’Agostino, Ihr Name ist seit einigen Tagen überall zu lesen. Wie viele Journalisten wollen mit Ihnen reden?

Tantissimi! Normalerweise gebe ich keine Interviews. Aber bei dieser unerfreulichen Sache kann ich nicht schweigen.

Was haben Sie gedacht, als Sie erfahren haben, wie Ihr Lied missbraucht wird?

Ich habe mir die Videos nie angeschaut. Was ich gehört habe, hat mich jedoch sehr beunruhigt und erschüttert. Rassismus ist in jeder Form etwas Schreckliches, er kann gefährlich werden. Aber ich habe keine Macht, etwas dagegen zu tun. Wenn jemand Lust hast, etwas Hässliches zu meinem Lied zu singen, kann ich das nicht verhindern. Nur wenn jemand mein Lied verzerrt und entstellt und im Internet publiziert, kann ich dagegen vorgehen. Das macht mich wütend. Ich fühle mich ohnmächtig.

Die deutschen Behörden, darunter der Staatsschutz, ermitteln gegen drei Personen wegen Volksverhetzung, Ihr Lied soll an mehreren Anlässen nicht mehr gespielt werden.

In meinem Lied geht es um die einigende Kraft der Liebe, um Zusammengehörigkeit – und dann singen das Leute, die die Gesellschaft spalten wollen. Der totale Widerspruch! Mein Lied hat doch nichts mit Rassismus zu tun. Es ist eine Hymne an die Liebe. Ich verstehe nicht, welches Problem das lösen soll, wenn man ein Lied zensuriert, das die Liebe feiert. Wenn die Veranstalter des Oktoberfests das wirklich planen, müssen sie sich bewusst sein, was sie damit für eine Botschaft verbreiten: gegen die Liebe und gegen die Musik.

Die Befürchtung ist, dass Festbesucher erneut «Deutschland den Deutschen, Ausländer raus» singen, wenn «L’amour toujours» gespielt wird.

Da muss ich lachen. Selbst wenn sie es verbieten, können die Leute ihr hässliches Zeug singen. Sie können es ohne mein Lied singen, sie können ein anderes aussuchen und wieder ein anderes. Die Musik ist etwas vom Schönsten, was wir haben. Wenn wir anfangen, zu verbieten, siegt das Schlechte über das Schöne. Statt über Verbote zu diskutieren, müssten die Behörden das wahre Problem angehen.

Nämlich?

Sie müssen verhindern, dass Musik als Vehikel für rassistische Botschaften missbraucht wird, besonders in den sozialen Netzwerken. Wenn sie nichts unternehmen, werden auch Kinder zunehmend mit rassistischen Botschaften konfrontiert. Das wird gefährlich. Ich finde es auch falsch, dass die Medien den Leuten, die solche Slogans verbreiten, derart viel Raum geben.

Ihr Track «L’amour toujours» wurde 1999 veröffentlicht und über zwei Milliarden Mal gestreamt. Wie ist der Song entstanden?

Um das zu erklären, würde ich mehrere Tage brauchen. Es geht um das wunderbare, grossartige Gefühl, das die Menschen verbindet. Die Liebe zu meinem Partner und meiner Familie, die Liebe, die ich für die Musik, für den Tanz empfinde. Aber ich möchte nicht über etwas so Grossartiges in Kurzform sprechen, das würde ihm nicht gerecht werden.

Sie sind derzeit wieder unterwegs als DJ. Werden Sie «L’amour toujours» weiterhin spielen, auch in Deutschland?

Ich beginne meine Tournee am 21. Juni in Mailand, am 7. September werde ich in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen auftreten. Certo, das Lied spiele ich überall, auch in Deutschland.

Wie und wann «L’amour toujours» zur fremdenfeindlichen Hymne umkomponiert wurde, ist unklar. Gemäss Medienberichten soll die modifizierte Version seit einigen Jahren in Neonazi-Kreisen kursieren. Erstmals für grösseres Aufsehen sorgte das Lied, nachdem es junge Leute an einem Dorffest in Mecklenburg-Vorpommern gesungen hatten. Die Melodie des Liedes ist zudem in einem Video von Martin Sellner zu hören, dem Vordenker der rechtsextremen identitären Bewegung.

Dennoch bleibt in vielen Fällen offen, ob die Leute auf den bisher bekannt gewordenen Videos Gesinnungstäter sind oder ob es mehr um Provokation geht. In München und Stuttgart sollen sogar Fans des türkischen Vereins Galatasaray Istanbul «Ausländer raus!» gerufen haben. Ob der Ausruf «Ausländer raus» den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt, ist juristisch umstritten.

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