Freitag, März 14

Die wichtigsten Antworten nach dem aufsehenerregenden Urteil des Bundesgerichts zur Zürcher Kantonsrätin, die kurz nach den Wahlen von der GLP zur FDP wechselte.

Der Fall einer Zürcher Parlamentarierin sorgt landesweit für Schlagzeilen. Isabel Garcia wechselte wenige Tage nach den letzten kantonalen Wahlen von der GLP zur FDP. Der Übertritt wurde erst zum Polit-Skandal und dann zum Gerichtsfall. Nun hat das Bundesgericht am Mittwoch gegen Garcia entschieden. Durch ihren Parteiwechsel seien möglicherweise die politischen Rechte ihrer Wählerinnen und Wähler verletzt worden.

Was entscheidet nun darüber, ob Garcia ihr Amt behalten kann?

Gemäss dem Bundesgericht lautet die alles entscheidende Frage, ob Isabel Garcia ihren Wechsel von der GLP zur FDP schon vor dem Wahltag plante – und ihre Wählerinnen so über ihre wahren Absichten getäuscht hat. Grünliberale Politik versprechen, aber gleichzeitig ein freisinniges Engagement planen: Das geht laut einer Mehrheit der zuständigen Richterkammer nicht. Es würde den verfassungsmässig garantierten Grundsatz der freien Willensbildung der Wählerinnen und Wähler verletzen.

Garcia hat stets betont, sich erst kurz nach der Wahl zum Wechsel entschieden zu haben. Das stellten ihre Gegner vor Gericht – aber auch eine Mehrheit der Bundesrichter – stark infrage. Bisher gibt es für diese Täuschungshypothese allerdings nur Indizien: der Umstand etwa, dass Garcia am Wahltag nicht an der Wahlfeier ihrer Kreispartei aufgetaucht sein soll. Oder ein Streit über Garcias Doppelmandat als Kantons- und Gemeinderätin im Vorfeld der kantonalen Wahlen.

Eine abschliessende Antwort auf die Frage nach Garcias Absichten – und damit auch über ihren Verbleib im Amt – wird nun das Zürcher Verwaltungsgericht finden müssen. Dorthin hat das Bundesgericht den Fall zur weiteren Beurteilung verwiesen.

Was würde mit dem Sitz passieren, wenn ihn Garcia abgeben muss?

Tritt Isabel Garcia zurück oder wird ihre Wahl vom Verwaltungsgericht für ungültig erklärt, geht ihr Sitz an die GLP zurück – die Partei, für die sie gewählt wurde.

Das war nicht nur im Bundesgericht unbestritten, es steht so explizit auch im Zürcher Wahlgesetz: «Scheidet während der Amtsdauer ein Mitglied aus dem Kantonsrat aus, erklärt der Regierungsrat den Kandidaten als gewählt, der unter den Nichtgewählten der gleichen Liste am meisten Stimmen erzielt hat.»

Auf dem ersten Nachrückplatz ist im betroffenen Wahlkreis GLP-Mann Thomas Hug.

Wird der Fall nun neu aufgerollt?

Ja. Eine Mehrheit der Bundesrichter fand, dass die Sachlage – besonders bezüglich Garcias Motivation und mutmasslichen Täuschungsabsichten – noch nicht genügend geklärt sei. Da das Bundesgericht selbst jedoch keine neuen Beweise erhebt, übergibt es den Fall an das kantonale Verwaltungsgericht. Dieses wäre ohnehin von Beginn weg die zuständige Instanz gewesen, so die Lausanner Richter.

Das Verwaltungsgericht wird nun den offenen Fragen im Fall Garcia nachspüren müssen. Insbesondere soll es nach dem Willen des Bundesgerichts weitere Beweise erheben.

Wie soll so eine Ermittlung funktionieren?

Wie genau die Beweiserhebung ablaufen und wie weit sie gehen soll, ist noch eher nebulös. Es handelt sich nicht um ein Strafverfahren, bei dem die Ermittlungsgrundsätze klar geregelt sind, sondern um ein sogenanntes Verwaltungsverfahren.

Dabei gelten andere Regeln als im Strafrecht, wie Andreas Glaser erklärt, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich. Am wichtigsten: Da es nicht um Schuld oder Unschuld geht, gibt es auch keine Unschuldsvermutung. «Für beide Seiten gelten die gleichen Regeln: Sie müssen ihre Version der Geschichte von sich aus erklären und belegen», sagt Glaser. «Am Ende setzt sich die überzeugendere Variante durch.»

Für Garcia heisst das: Sie wird kaum wie bisher schweigen können, sondern die Hintergründe ihres Parteiwechsels genauer erklären müssen.

Dazu komme der sogenannte Untersuchungsgrundsatz, sagt Glaser. «Die Behörde – in diesem Fall das Gericht – muss den Sachverhalt klären und dafür Erkundigungen anstellen.» Das könne die Auswertung öffentlicher Dokumente bedeuten, aber auch die Befragung von Zeugen oder gar die Sicherung bisher unbekannter Beweise.

Vor Bundesgericht sorgte dieser Aspekt für heftige Diskussionen unter den Richtern. Klar schien, dass eine Mehrheit eine Befragung Garcias durch das Verwaltungsgericht befürwortet. Kontrovers diskutiert wurden andere Massnahmen wie die Befragung des Stadtzürcher FDP-Präsidenten Përparim Avdili oder gar die Durchsicht privater Chat-Verläufe.

Laut Glaser sind all diese Massnahmen grundsätzlich denkbar. Allerdings müsse in jedem Einzelfall abgewogen werden, ob deren Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zu einem allfälligen Grundrechtseingriff stehe. Für ein einschneidendes Vorgehen wie die Sichtung privater Korrespondenz ist die Hürde entsprechend hoch.

Was genau das Bundesgericht vom Verwaltungsgericht erwartet, wird erst die schriftliche Urteilsbegründung zeigen, die noch aussteht. Eine «Mission impossible», wie ein unterlegener Bundesrichter behauptete, sei das geplante Vorgehen jedoch nicht, findet Glaser.

Würden Isabel Garcia und der Stadtzürcher FDP-Präsident Përparim Avdili vor Gericht bezeugen, dass es vor dem Wahltag keine Absprache über den Parteiwechsel gab?

Bekannt ist, dass Garcia und Avdili seit langem befreundet waren und gemeinsam im Vorstand des Vereins Secondas Zürich sassen. Garcias Unzufriedenheit mit der GLP war zwischen den beiden schon vor den Wahlen ein Thema. Avdili betonte aber stets, dass sie den ernsthaften Wechselwillen gegenüber der FDP erst eine gute Woche nach Wahltermin bekundete.

Vor einem Gericht hat Avdili bisher nie eine entsprechende Aussage gemacht. Er sei nie vorgeladen worden, sagt er. Garcia selbst spricht öffentlich nicht mehr über den Fall. Am Bundesgericht liess sie sich durch einen Anwalt vertreten. Aus den Ausführungen der Richter ging hervor, dass sie die Vorwürfe an ihre Adresse zwar zurückwies, ihren Parteiwechsel aber auch gegenüber dem Gericht nicht genauer erläutert hatte.

Offen bleibt, ob die beiden vor Verwaltungsgericht bei ihrer Version der Geschichte bleiben würden, falls sie dazu befragt würden. Avdili will dazu wegen des laufenden Verfahrens keine Stellung nehmen. Er lässt auch die Frage unbeantwortet, ob er garantieren könne, dass keinerlei schriftlicher Verkehr existiert, aus dem hervorgeht, dass die FDP schon vor den Wahlen von Garcias konkreter Wechselabsicht wusste.

Wie reagieren politische Gegner und Verbündete auf das Urteil`?

Die FDP, Garcias neue Partei, ist der Ansicht, dass das Urteil einen «kompletten Richtungswechsel» in der Rechtsauslegung bedeute und einen «gefährlichen Präzedenzfall» schaffe. Gewählte Politikerinnen und Politiker seien dadurch nicht mehr frei, ihre Entscheidungen ausschliesslich nach eigenem Ermessen zu treffen.

Die SVP findet den knappen Bundesgerichtsentscheid aus ähnlichen Gründen falsch. Richter müssten sich mit der Einhaltung der Gesetze befassen, und ein Parteiwechsel sei legal. Der Fall Garcia sei nicht eine rechtliche Frage, sondern eine moralische.

Die GLP nimmt das Urteil zur Kenntnis, ohne konkrete Forderungen zu stellen. Man wolle nichts überstürzen, noch sei die Justiz am Zug. Sollte das Verwaltungsgericht aber entscheiden, dass Garcias Sitz an die Grünliberalen gehen muss, wäre die Partei vorbereitet. Auch die SP und die Mitte wollen abwarten, zu welchem Schluss das Verwaltungsgericht kommt.

Weniger zurückhaltend sind die Grünen, die letztes Jahr mit der AL im Kantonsrat den Antrag gestellt hatten, das Wahlergebnis von Isabel Garcia nicht formell zu bestätigen. Durch den Bundesgerichtsentscheid sehen sie sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass die Rechte der Wählerinnen und Wähler durch den Parteiwechsel verletzt wurden. Solange aber kein Urteil des Verwaltungsgerichts vorliegt,
müsse Isabel Garcia selbst entscheiden, ob sie weitermachen wolle.

Wird der Kantonsrat nun neue Regeln für Parteiwechsel erlassen?

Ein Vorstoss der EDU, der aufgrund des Falls von Isabel Garcia klare Regeln für Parteiwechsel unmittelbar nach Wahlen forderte, ist im Kantonsrat fallengelassen worden. Dies allerdings auf Grundlage einer inzwischen überholten Rechtsprechung des Bundesgerichts.

Dennoch ist aktuell keine der grossen Parteien daran interessiert, einen neuen Anlauf für eine entsprechende Gesetzesänderung zu nehmen. Kein akuter Handlungsbedarf, lautet der Tenor. Die SVP findet Parteiwechsel so kurz nach den Wahlen zwar fragwürdig und für die Wähler ärgerlich. Ein absolutes Verbot würde ihrer Ansicht nach aber die Freiheit gewählter Politiker zu stark beschneiden. Ein zeitlich beschränktes Verbot sei dagegen «nicht praktikabel».

Auch die Mitte sieht die Schwierigkeit bei der Frage, wo die Grenze zu ziehen wäre. Und die Grünen, die sich ausführlich mit dieser Frage befasst haben, kommen zum Schluss, dass jede Regel wieder neue Probleme mit sich bringe. Ihr Fazit: «Am Schluss ist es einfach so, dass man Anstand nicht gesetzlich regulieren kann.»

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