Ketamin wird unter jugendlichen Klubbesuchern immer beliebter. Was richten sie damit in ihrem Körper an? Und was ist davon
zu halten, wenn nun ein mächtiger Mann wie Elon Musk erklärt, er verwende Ketamin sogar regelmässig?
Man muss nicht unbedingt Elon Musk zuschauen, um sich zu fragen, was Ketamin mit der Psyche anstellen kann. Er habe schon Menschen erlebt, erzählt der Psychologe Ulrich Ettinger, die im Ketaminrausch plötzlich Dinge gesehen hätten, die mit der Realität nur noch wenig zu tun gehabt hätten. Eine Versuchsleiterin beispielsweise, der plötzlich Flügel wachsen.
Andere Probanden seiner Studie hätten während ihrer Zeit im Kernspintomografen geglaubt, eine Art böse Präsenz wahrzunehmen, erzählt Ettinger. Oder berichteten über Gedanken in ihrem Kopf, die so laut wurden, dass sie meinten, sie hören zu können.
Nach hohen Ketamindosen kann man laut Ulrich Ettinger das Gefühl für Raum und Zeit verlieren. Manche bilden sich auch ein, dass einzelne Teile ihres Körper nicht mehr zu ihnen gehörten.
Der Leiter der Abteilung für allgemeine Psychologie und experimentelle klinische Psychologie an der Universität Bonn untersucht die Wirkungen, die Ketamin auf die Psyche gesunder Menschen hat. Unter intensiver Überwachung, versteht sich, und mit strengen Sicherheitsregeln.
Symptome wie bei einer Schizophrenie
Im Rahmen dieser Forschung schiebt der Wissenschafter Menschen in die Röhren von Kernspintomografen, wo sie dann beispielsweise unter Drogeneinfluss Aufgaben lösen sollen. Ein Ergebnis seiner Untersuchungen steht bereits fest: Wenn man bei Gesunden Symptome auslösen will, wie sie Menschen mit Psychosen oder einer Schizophrenie erleben, ist der Wirkstoff Ketamin ein besonders geeignetes Mittel.
Das Narkosemittel Ketamin macht momentan leider nicht nur in der Wissenschaft Karriere. Eine zunehmende Zahl junger Menschen scheinen psychische Zustände, wie sie Ettinger in seinem Labor beobachtet, nicht abzuschrecken. Bis zu sechs Prozent der europäischen Jugendlichen geben bei Umfragen an, schon einmal in Klubs oder im Nachtleben Ketamin als Droge geschnupft oder geraucht zu haben – mit steigender Tendenz. In Südostasien ist die Droge sogar schon zur am zweithäufigsten konsumierten Substanz aufgestiegen.
Kann das gutgehen? Kann der Konsum einer Droge mit derart eindrücklichen Effekten ohne bleibende Schäden für Gehirn und Körper bleiben? Inzwischen hat die Wissenschaft zu diesem Thema reichlich Daten gesammelt. Das Ergebnis ist ähnlich abschreckend wie das, was Ettinger aus seinem Labor berichtet.
Musk hilft Ketamin bei «negativen chemischen Zuständen»
Elon Musk hat trotzdem keine Hemmungen: Er konsumiere regelmässig die Substanz, erklärte der Unternehmer im vergangenen Jahr dem amerikanischen Moderator Don Lemon. Meist in vierzehntägigen Abständen, manchmal auch seltener.
Als Grund dafür gibt er an: Manchmal befinde sich sein Gehirn «in einem negativen chemischen Zustand». Der Wirkstoff helfe ihm, «da wieder herauszukommen». Musk betonte in dem Interview gleichzeitig, dass ihm das Mittel von einem Arzt verschrieben worden sei und dass er sich durch den Gebrauch bei seiner Arbeit keineswegs beeinträchtigt fühle.
Diese Informationen klingen zunächst einmal plausibel. Denn Ketamin hat neben seinem berauschenden Effekt noch eine weitere Eigenschaft: Es wirkt langfristig stimmungsaufhellend. Dank dieser Wirkung wird die illegale Droge parallel als legales Medikament verwendet. Ärzte nutzen es zur Behandlung von Depressionen.
Einnahme nur unter ärztlicher Überwachung
Der Effekt setzt innerhalb von Stunden bis Tagen ein, flaut jedoch nach wenigen Tagen wieder ab, alle vierzehn Tage muss deshalb in der Therapie erneut zum Nasenspray gegriffen werden. Nimmt man diese Frequenz und die anderen von Musk erhältlichen Informationen zusammen, spricht vieles dafür, dass der Tech-Milliardär das Mittel nur als Antidepressivum und damit in vergleichsweise niedrigen Dosen einsetzt.
Aber auch die sind nicht völlig ungefährlich: In Deutschland und der Schweiz darf Esketamin – so heisst der Ableger, der als Nasenspray verkauft wird – nur in Begleitung eines Arztes eingenommen werden. Ein Grund sind die oben beschriebenen sogenannten dissoziativen psychischen Zustände, ein anderer mögliche Blutdruckabstürze. Bis solche akuten Wirkungen nach rund zwei Stunden wieder abflauen, müssen die Patienten deshalb in der Praxis überwacht werden.
Langfristig seien bei ärztlich kontrolliertem Einsatz nach bisherigem Stand des Wissens in der Depressionstherapie jedoch keine Nebenwirkungen zu befürchten, sagt Erich Seifritz, Direktor der Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. In seiner Klinik werden ebenfalls Patienten mit diesem Medikament behandelt.
Das Gedächtnis beginnt, schlechter zu funktionieren
Wer sich mit Ketamin berauscht, nimmt allerdings Dosen ein, die bis zu 100-mal so hoch liegen. Und hat, anders als die Depressionspatienten, reichlich Grund, sich Sorgen zu machen. Schon ab einer Einnahmefrequenz von mehr als drei- bis viermal im Monat wirken sich solche Mengen negativ auf das Gehirn und seine Funktionen aus.
Die Folge: Arbeits- und Langzeitgedächtnis fangen bei den Usern an, schlechter zu funktionieren. Bei manchen bleibt eine wahnhafte Verzerrung des Denkens zurück, auch nachdem die akute Wirkung der Droge abgeklungen ist. Manche Süchtige verlieren sogar ganz den Realitätsbezug und gleiten in eine Psychose ab.
Die gefürchtetste körperliche Langzeitnebenwirkung ist die sogenannte Ketamin-Blase. Sie entsteht, wenn die Substanz langsam die Blasenwand zerstört. Betroffene leiden häufig unter starken, krampfartigen Bauchschmerzen und dem ständigen Drang, zu urinieren, manche werden inkontinent und beginnen einzunässen. Im Gegensatz zu den meisten anderen unerwünschten Rauschfolgen bleibt die Ketamin-Blase auch dann ein Problem, wenn der Missbrauch eingestellt wird. Das allerdings kann sich als schwierig erweisen: Das Abhängigkeitspotenzial von Ketamin ist ähnlich gross wie das von Cannabis oder Alkohol.
Die Konsumenten wissen oft nicht, dass sie Ketamin nehmen
Ein weiteres Problem: Gerade Ketamin wird gerne gemeinsam mit anderen Drogen eingenommen. Besonders beliebt ist die Kombination mit aufputschenden Drogen wie Amphetaminen oder Kokain. «In einem solchen Fall», sagt der Psychiater Erich Seifritz, «kann alles passieren.» Die Drogen verstärken sich gegenseitig in ihrer zerstörerischen Wirkung. Oft wissen die Konsumenten nicht einmal, welches Zeug sie da in ihre Nase einführen.
Denn verkauft werden Ketamin, Speed und Kokain alle als weisses Pulver. Als «Special K» sind Ketamin und Koks auch in fester Kombination zu haben. Und nur wenige Konsumenten fragen nach der genauen Zusammensetzung des Pulvers, das ihnen im Klub angeboten wird. Vielen sei deshalb gar nicht bewusst, was sie gerade konsumiert hätten, sagt Boris Quednow von der experimentellen und klinischen Pharmakopsychologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Boris Quednow ist deshalb alles andere als begeistert, dass inzwischen eine derart prominente Person wie Elon Musk für den Ketaminkonsum wirbt. Kurz nach dessen Interview, erzählt er, seien die Google-Anfragen zum Stichwort Ketamin explodiert. «Wenn ein Mensch mit einer gewissen Vorbildfunktion einen solchen Wirkstoff gewissermassen als Lifestyle-Mittel propagiert, finde ich das sehr problematisch», sagt Quednow.
Das kann man dem Tech-Milliardär aber vorwerfen, da er das Mittel allem Anschein nach nicht wie medizinisch vorgesehen verwendet. Zugelassen ist Ketamin nur für schwere, therapieresistente Depressionen. Eine solche werde aber bei Elon Musk sicherlich nicht vorliegen, sagt der Pharmakopsychologe. Ein Schwerdepressiver wäre kaum in der Lage, geschweige denn motiviert, mit einer Kettensäge auf einer öffentlichen Bühne herumzuturnen oder ein Geschäftsimperium zu führen. Das klingt eher nach jemandem, dem etwas weniger Ketamin guttun würde.
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