Freitag, Oktober 4

Düstere Konjunkturaussichten, eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit und zu hohe Schulden trüben die Stimmung in Österreich. Was die künftige Regierung tun müsste.

Die negativen Schlagzeilen aus der österreichischen Wirtschaft häufen sich. Nach Berechnungen der Statistik Austria war die Konjunktur im ersten Halbjahr entgegen den Erwartungen rückläufig. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) wie auch das Institut für Höhere Studien (IHS) rechnen deshalb damit, dass die Wirtschaftsleistung 2024 erneut schrumpfen wird – erstmals seit 1950 das zweite Jahr in Folge.

Gleichzeitig verliert das Land weiter an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Im World Competitiveness Report des Lausanner Instituts IMD liegt es nur noch auf Platz 26 von 67 Ländern. Die EU stellt in einem Bericht vom Juli eine nachlassende Unternehmensdynamik fest, die Quote der Firmengründungen gehöre zu den niedrigsten der Union. Auch die OECD kommt in ihrem jüngst veröffentlichten Economic Survey zu dem Schluss, das Produktivitätswachstum habe sich verlangsamt und es mangle an Innovationstätigkeit.

Entlassungen und ein Viertel mehr Konkurse als im Vorjahr

Am alarmierendsten ist jedoch die Berechnung des liberalen Think-Tanks Agenda Austria, wonach das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf – und damit der Wohlstand – in den vergangenen fünf Jahren um 1,7 Prozent zurückgegangen ist. Damit ist Österreich das Schlusslicht der gesamten EU. Die Periode war geprägt von der Pandemie und den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, doch offenbar hat das Land diese Krisen schlechter bewältigt als andere Volkswirtschaften.

Es brauche jetzt ein Rendez-vous mit der Realität, erklärte der Wifo-Chef Gabriel Felbermayr diesen Sommer. Und diese sieht so aus: Der Zweiradhersteller Pierer Mobility (ehemals KTM) baut wegen eines Umsatzeinbruchs insgesamt rund 500 Arbeitsplätze ab, bei Infineon Österreich sollen es in den kommenden zwei Jahren knapp 400 sein, und beim Fahrzeughersteller Steyr Automotive wurden kürzlich 200 Beschäftigte zur Kündigung angemeldet. Die Zahl der Konkurse ist im ersten Halbjahr um mehr als 26 Prozent auf 3300 gestiegen.

Vor allem die Industrie – das Rückgrat von Österreichs Wirtschaft – kommt nicht aus der Krise. Das hat teilweise strukturelle Gründe. Wegen des im Vergleich etwa zu Deutschland hohen Anteils energieintensiver Industrie war das Land von den Preissteigerungen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stark betroffen, wie Christoph Badelt erklärt, langjähriger Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien und heute Präsident des Fiskalrats.

Doch viele Probleme sind hausgemacht. Die expansive staatliche Ausgabenpolitik gegen die multiplen Krisen befeuerte die Inflation. In Österreich lag diese in den vergangenen zwei Jahren über dem Durchschnitt des Euro-Raums. Damit stiegen die Löhne stärker als andernorts. Das hat auch damit zu tun, dass die Saläre in Österreich nicht dem freien Markt unterliegen. Rund 98 Prozent der Beschäftigten unterliegen einem Kollektivvertrag, und für die Lohnverhandlungen gilt seit Jahrzehnten die Regel, dass die durchschnittliche jährliche Inflation sowie ein Teil des Produktivitätszuwachses abgegolten werden.

Nach Berechnungen des Think-Tanks Agenda Austria sind die Gehälter deshalb seit 2023 fast doppelt so stark gestiegen (laut Prognose um 8,2 Prozent bis Ende Jahr) wie im Euro-Raum (4,4 Prozent). In der Vergangenheit hätten diese Lohnzuwächse durch steigende Produktivität kompensiert werden können, sagt der Direktor des Instituts, Franz Schellhorn. Aber die Produktivität steige seit Jahren kaum noch, weil die Menschen in Österreich immer weniger arbeiteten.

Das Land hat die Teilzeitbeschäftigung zu attraktiv gemacht – oder vielmehr ein Vollpensum zu unattraktiv. Fast ein Drittel der Erwerbstätigen arbeitet mittlerweile nur noch Teilzeit. Das ist der zweithöchste Wert in der EU. Bei den Frauen sind es sogar mehr als die Hälfte. Das liegt vor allem in ländlichen Gebieten oft am unzureichenden Angebot an Kinderbetreuung. Doch auch die hohen Steuern hindern viele daran, ihr Pensum zu erhöhen. Wer seine Wochenstundenzahl von 20 auf 40 verdopple, verdiene netto nur 68 Prozent mehr, rechnet die Agenda Austria vor.

Die Folge sei der höchste Anstieg der Lohnstückkosten aller westeuropäischen Industriestandorte, erklärt Schellhorn. Laut der Wirtschaftskammer betrug er seit 2015 über 30 Prozent, 9 Prozentpunkte mehr als im Rest der EU.

Die EU fordert Einsparungen wegen des zu hohen Defizits

Eine Senkung der Lohnnebenkosten ist aus diesen Gründen eine der dringendsten Forderungen von Unternehmen und Wirtschaftsvertretern. Die Industriellenvereinigung sieht darin die wichtigste Massnahme zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Die konservative ÖVP, die sich als Wirtschaftspartei versteht, verspricht einen solchen Schritt in ihrem Mitte Juli von Bundeskanzler Karl Nehammer präsentierten «Wachstumsplan». Allerdings stellt die Partei dies nicht zum ersten Mal in Aussicht. Sie braucht dafür Mehrheiten im neuen Parlament, das Ende September gewählt wird.

Auch der Fiskalratspräsident Badelt hält eine Senkung der Lohnnebenkosten für sinnvoll. Mit Blick auf das Budgetdefizit im laufenden Jahr, das nach Schätzung seines Gremiums über der Maastricht-Grenze liegen wird, gibt er aber zu bedenken, dass dies entweder eine weitere Belastung des Haushalts oder Leistungskürzungen bedeuten würde. Die EU-Kommission verlangt von Wien im kommenden Jahr Einsparungen von 2,6 Milliarden Euro. Das erschwert auch die Umsetzung des Vorschlages des Kanzlers, die Steuern auf Überstunden abzuschaffen und einen «Vollzeitbonus» von 1000 Euro jährlich zu gewähren.

Solche Massnahmen könnten aber dem Fachkräftemangel entgegenwirken, von dem laut der aktuellsten Untersuchung der Wirtschaftskammer 82 Prozent der Unternehmen betroffen sind. Eines davon ist die Unger Steel Group, ein Familienunternehmen mit weltweit rund 1600 Mitarbeitern, unter ihnen knapp 400 am Hauptsitz in Oberwart im östlichen Bundesland Burgenland.

Man biete attraktive Bedingungen mit einem Bistro, Sportangeboten und flexiblen Arbeitszeiten, findet der Geschäftsführer Matthias Unger. Aber die Ansprüche seien höher geworden, und Arbeitssuchende seien nicht sehr mobil. Vor allem für die Montage werde es immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden, sagt Unger. Die Ausbildung entspreche nicht den Bedürfnissen der Industrie, beklagt er. «Die Vermittlung von Wissen über künstliche Intelligenz oder Wirtschaftsbildung fehlt in den Schulen völlig.»

Auch Unger nennt die hohen Lohnnebenkosten als Hauptgrund dafür, dass viele Unternehmen Standorte ins Ausland verlagerten. Er sieht aber auch Reformbedarf bei der Bürokratie. So wollte er am Hauptsitz in der strukturschwachen Stadt Oberwart eine betriebseigene Kinderbetreuung anbieten, scheiterte jedoch an den räumlichen und hygienischen Auflagen.

Auch die Datenerhebung für die von Brüssel vorgeschriebenen Nachhaltigkeitsberichte bedeute einen hohen Aufwand. Grundsätzlich sieht Unger in den Umweltzielen der EU zwar eine Chance nicht nur für sein Unternehmen, sondern auch für Österreich und Europa. Die Energieversorgung in Oberwart erfolge hauptsächlich über eine neue Photovoltaikanlage und 90 Prozent des Rohmaterials würden per Bahn angeliefert, erklärt der Firmenchef. Vor allem aber biete Unger auch CO2-reduzierten «grünen Stahl» an, mit dem man 70 Prozent der Emissionen einsparen könne. Dieser werde stark nachgefragt und sei bei der Konkurrenz aus China und den USA noch kein Thema.

Unger kritisiert allerdings, dass die Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit in keinem Verhältnis zu den staatlichen Investitionsanreizen in diesem Bereich stünden. Der Standort Österreich brauche ein Alleinstellungsmerkmal, meint der 42-Jährige, der das Unternehmen in dritter Generation führt. «Wir haben auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz gesetzt, was seine Berechtigung hat. Bisher war das aber vor allem mit bürokratischen Massnahmen verbunden. Jetzt geht es darum, zu investieren.» Das betreffe auch die Infrastruktur wie Strassen und Schienen. Viele seiner Mitarbeiter in Oberwart seien mangels konkurrenzfähiger Verbindungen des öffentlichen Verkehrs auf das Auto angewiesen.

Mehr Geld für Technologie und Bildung

Christoph Badelt teilt diese Forderung. Für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit seien mehr Investitionen in die technologische Entwicklung und die Transformation nötig. Österreich habe zwar eine sehr hohe Forschungsquote, aber keine besonders guten Ergebnisse. Darüber hinaus brauche es zur Linderung des demografisch bedingten Fachkräftemangels eine bessere Qualifizierung, insbesondere von Kindern mit Migrationshintergrund. Die Regierung komme aber nicht um eine nachhaltige Sanierung des Staatshaushalts herum, um die Ressourcen für diese Massnahmen aufbringen zu können.

Es ist das Rendez-vous mit der Realität. «In Österreich fehlt das Verständnis, wie kompetitiv die Weltwirtschaft ist und wie schnell man einen Auftrag verlieren kann», findet der Industrielle Matthias Unger. Bundeskanzler Nehammer sprach Ende August bei der Präsentation seiner Pläne zur Steuerentlastung gleichwohl von Österreich als einem der attraktivsten, innovativsten und produktivsten Standorte Europas. Das sei derzeit nicht ganz richtig, sagt Christoph Badelt.

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