Mittwoch, März 12

Selbstbewusst, eloquent, kompetent: Als Gegenpol zu Trump ist der Aussenseiter Carney an die Spitze Kanadas katapultiert worden. Leider war er nie in der Politik.

Es gibt nicht viele Zentralbanker, die gut aufgelegt vor einem Millionenpublikum über eine lockere Beziehung nach dem Prinzip «friends with benefits» reden können. Mark Carney tut es – und spricht sich klar dafür aus. Trotz allen Vorteilen müsse man nicht zusammenziehen, erklärte er Mitte Januar in der amerikanischen Comedy-Sendung «The Daily Show». Das ist ein Grund, warum Carney jetzt Premierminister von Kanada ist.

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Die Beziehung, von der Carney sprach, ist jene von Kanada und den USA. Carney verteidigte Kanadas Unabhängigkeit. Als er das vor zwei Monaten im US-Fernsehen mit eloquenten Witzchen tat, schien der Gedanke, die Regierung von Donald Trump könnte den nördlichen Nachbarn annektieren, noch absurd. Heute zeigt der heftig lodernde Zollstreit zwischen den engen Handelspartnern: Die Zeit für Witze ist vorbei.

Nur redegewandt oder schon selbstverliebt?

Carneys lockere Art ist dem staatstragenden Auftritt gewichen. «Amerika ist nicht Kanada, und Kanada wird nie Teil Amerikas sein», versprach er am Sonntag in seiner Siegesrede. Die Liberale Partei hat Carney mit 86 Prozent der Stimmen zum Vorsitzenden und damit zum Nachfolger von Premierminister Justin Trudeau bestimmt. Spätestens im Oktober werden die Kanadier das in einer Wahl bestätigen können.

Es ist die vorläufige Krönung einer politischen Karriere, die bis dahin überhaupt keine war: Carney ist nie zuvor in ein politisches Amt gewählt worden. Stattdessen machte der 59-Jährige sein Glück in der Finanzwelt und war Chef von gleich zwei Zentralbanken – Institutionen, bei denen die Distanz zur Politik zentral ist. Politische Ambitionen wurden dem Kanadier allerdings immer wieder nachgesagt, der auch die irische Staatsbürgerschaft besitzt und die britische hinzuerwarb.

Doch es brauchte Donald Trump, um den Aussenseiter Carney politisch salonfähig zu machen. Wo Trump das Chaos ist, steht Carney als ehemaliger Gouverneur sowohl der kanadischen wie auch der britischen Zentralbank für Stabilität, Wirtschaftskompetenz und die Fähigkeit, Krisen zu meistern. Dass er dies mit einer Lockerheit und Redegewandtheit verbindet, die vielen Währungshütern abgeht, öffnet ihm politische Türen.

Manche Kritiker bezeichnen sein Auftreten als selbstverliebt, aber das wird in der Politik weit weniger als Makel gelten als in der Welt der Notenbanken. Dort liegen Carneys Wurzeln auch gar nicht: Geboren 1965 in einer Kleinstadt im Nordwesten Kanadas, studierte er Wirtschaft und Philosophie in Harvard und Oxford – und startete seine Karriere bei der Investmentbank Goldman Sachs. In dreizehn Jahren lernt man dort viel, aber nicht zuvorderst Bescheidenheit.

Gestählt von der Finanzkrise

Doch in Krisen braucht es Selbstbewusstsein. 2003 stiess Carney zur Bank of Canada und übernahm Anfang 2008 die Leitung der Notenbank. Pünktlich zur globalen Finanzkrise. Nur wenige Wochen im Amt, leitete er früh Zinssenkungen ein, während andere Notenbanken den Ernst der Lage noch nicht erkannt hatten. Als sich die Schockwellen des Kollapses am US-Immobilienmarkt ausbreiteten, kam Kanada recht gut davon. Keine grosse Bank musste gerettet werden.

Schon damals zeigte sich ein Wesenszug Carneys, der bei einem Zentralbanker ebenso wie bei einem Politiker wichtig sein kann: Er kommuniziert gern und will Sicherheit geben. So versprach er während der Finanzkrise, das Leitzinsniveau für ein Jahr so tief wie möglich zu halten. Das sollte der Wirtschaft Vertrauen geben – und funktionierte, obgleich es der Zentralbank in einer höchst unsicheren Lage die Hände band.

Die Taktik erinnert an einen anderen Notenbanker, der den seltenen Sprung in ein hohes politisches Amt schaffte: Mario Draghi, den früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Als die Euro-Schuldenkrise im Jahr 2012 die Existenz der Währungsunion gefährdete, versprach Draghi, die EZB werde alles tun, um den Euro-Raum zu erhalten – «whatever it takes». Der Ruf als Retter blieb haften. Fast zehn Jahre später wurde Draghi zum Ministerpräsidenten Italiens berufen, um als Technokrat das Land aus einer politischen und wirtschaftlichen Schieflage zu führen.

Brexit-Kritik machte Carney zur Zielscheibe

Carney musste nicht lang auf die nächste Krise warten. 2013 übernahm er die Rolle als Gouverneur der Bank of England – als erster Ausländer in der über 300-jährigen Geschichte der Zentralbank. 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt des Landes aus der EU. Das hatte noch kein Land versucht; der Insel wurde eine Rezession vorausgesagt.

Dieses Schreckensszenario ist nicht eingetreten, aber die Stimmung war jahrelang polarisiert und aufgeheizt. Der kommunikationsfreudige Carney unterstrich immer wieder die wirtschaftlichen Nachteile des Brexits – und weil die Worte eines Zentralbankchefs stets auf die Goldwaage gelegt werden, warfen ihm Kritiker vor, politischen Einfluss zugunsten des «Remain»-Lagers zu nehmen.

Doch eigentlich wollte Carney, ähnlich wie in Kanada, vor allem für Erwartungssicherheit sorgen. Er führte bei der Bank of England das Konzept der «forward guidance» ein: das Versprechen, die Zinsen nicht zu erhöhen, solange die Arbeitslosigkeit über 7 Prozent liegt. Doch dieses Korsett erwies sich bald als zu starr für die wirtschaftliche Realität. Über die Jahre musste er die Kriterien mehrmals ändern und das Konzept flexibler machen.

Weil Carney viel redete, lockten manche Aussagen die Marktteilnehmer auf eine falsche Fährte zur Zinsentwicklung. Bald hatte der Kanadier einen Ruf als «unreliable boyfriend» erworben – verteidigte sich aber zum Glück nicht als «friend with benefits». Nach sieben Jahren bei der Bank of England wechselte er in die private Finanzwelt, engagierte sich aber auch für Klimaschutz und Emissionshandel sowie nachhaltige Anlagepolitik.

Der grösste Test steht noch bevor

Zuletzt führte Carney den Vorsitz des kanadischen Vermögensverwalters Brookfield Asset Management – der 2024 unter seiner Ägide entschied, den Sitz von Toronto nach New York zu verlegen. Das war vor der Wahl Trumps. Was aus unternehmerischer Sicht Sinn ergeben mag, ist zum Politikum geworden, seit der Finanzexperte Regierungschef werden und bleiben will und dezidiert auf die Unabhängigkeit Kanadas pocht.

So betritt der alte Hase Neuland: Carney musste noch nie um die Zustimmung von Wählern kämpfen. Beim vielbeachteten Besuch der «Daily Show» witzelte der Moderator Jon Stewart, dass Carneys Gegner, Pierre Poilievre von der Konservativen Partei, wie der Bösewicht aus einem «Karate Kid»-Film aussehe. Das sei nahe an der Realität, kommentierte Carney. Trotzdem muss er Poilievre erst noch besiegen.

Mark Carney - Canada Not Interested in Trump’s Offer & Liberal Leadership Prospects | The Daily Show

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