Die Bauern haben in der Schweiz viel mehr politische Macht als ihre Kollegen in Deutschland oder Frankreich. Dafür gibt es eine einfache Erklärung.

In der Schweiz könnten bald fünf von sieben Bundesräten einen bäuerlichen Hintergrund haben. Kommenden Mittwoch wird ein neues Mitglied der Schweizer Regierung gewählt.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Intakte Chancen kann sich Markus Ritter ausrechnen. Er ist seit zwölf Jahren Präsident des Bauernverbands und hat einen Hof im St. Galler Rheintal. Im Bundesrat stiesse er zu Guy Parmelin (Winzer), Beat Jans (gelernter Landwirt), Albert Rösti (Ingenieur-Agronom) und Elisabeth Baume-Schneider (Züchterin von Schwarznasenschafen).

Im In- und Ausland reibt man sich die Augen. Wirtschaftlich gesehen haben die Bauern eine geringe Bedeutung. Die Landwirtschaft stellt nur 2,3 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz. Sie trägt 0,6 Prozent zur Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandprodukt) bei. Wie kann es sein, dass die Bauern politisch einen so grossen Einfluss geniessen?

Starke Vertretung im Parlament

Ein einfaches Mass für die politische Bedeutung einer Gruppierung ist, wie stark sie im nationalen Parlament vertreten ist. Die Schweizer Bauern stechen in dieser Hinsicht heraus, wie ein NZZ-Vergleich mit den Nachbarländern zeigt.

Im Schweizer Nationalrat sitzen laut einer Auswertung der Universität Lausanne gegenwärtig 20 Bauern. Sie machen 10 Prozent aller Abgeordneten aus. Dabei werden nur Personen gezählt, die als ihren Beruf Land- oder Forstwirt angeben; der Bauernschaft nahestehende Personen wie beispielsweise Agronomen werden nicht berücksichtigt.

Im österreichischen Nationalrat ist die Vertretung der Landwirte auch relativ stark. Knapp 8 Prozent der Abgeordneten sind Bauern, wie aus Angaben des Parlaments hervorgeht. Dies dürfte mit der traditionell engen Verbindung zwischen der Landwirtschaft und der Kanzlerpartei ÖVP zu tun haben.

Deutlich schlechter sind die Bauern in den anderen Nachbarländern vertreten. Im gerade neu gewählten Deutschen Bundestag sitzen nur 6 Personen, die sich als Land- oder Forstwirt bezeichnen (1 Prozent aller 630 Abgeordneten). In der französischen Assemblée nationale gehören 2 Prozent aller Parlamentarier dem Nährstand an. Nur eine einzige Bäuerin gibt es in der italienischen Camera dei deputati (Anteil 0,3 Prozent).

Politischer Einfluss läuft auch noch über andere Kanäle als über die Einsitznahme im Parlament. Wichtig ist etwa auch, wie gut die Interessenvertretung durch die Bauernverbände funktioniert oder wie gross das Verständnis für bäuerliche Anliegen in der Bevölkerung ist. In Deutschland und Frankreich machen die Bauern zudem oft mit Demonstrationen Druck auf die Politik. Dennoch ist auffällig, dass die Bauern in der Schweiz besonders häufig an den Schalthebeln der Macht sitzen.

Gut organisierte Interessengruppe

Wie lässt sich das erklären? Ein Grund ist, dass sich die Landwirte besonders gut organisieren können. Die Interessengruppe ist relativ klein. Für den Einzelnen geht es um viel. Wenn das Parlament beispielsweise eine Erhöhung von Subventionen beschliesst, steigen dadurch direkt das Einkommen eines Bauern und der Wert seines Landes. Das macht es attraktiv, sich politisch zu engagieren.

Im Gegensatz dazu haben beispielsweise die Steuerzahler und Konsumenten oft Mühe, ihre Interessen wirksam zu organisieren. Es handelt sich um grosse Gruppen. Der Einzelne spürt die Folgen politischer Entscheidungen relativ wenig im Portemonnaie. Deshalb haben diese Interessengruppen in der Politik meist wenig Gewicht – obwohl sie etwa die Direktzahlungen und den Grenzschutz für die Schweizer Landwirtschaft bezahlen.

In der Schweiz ist auch die Verankerung der Landwirtschaft in der Bevölkerung gross. Die Verbundenheit rührt aus der Zeit der geistigen Landesverteidigung in den 1930er Jahren her, als der legendäre Bauernführer Ernst Laur der Bevölkerung einbleute: «Schweizer Art ist Bauernart.»

Doch auch die Franzosen oder die Italiener sind stolz auf ihre Bauern. Und das Argument, bäuerliche Interessen liessen sich gut organisieren, gilt auch für andere Länder. Überall in Europa sind die Bauern eine kleine Gruppe mit einem grossen Anreiz, politisch etwas für sich herauszuschlagen.

Hohe Abhängigkeit vom Staat

Warum ist denn gerade die politische Vertretung der Bauern in der Schweiz so stark? Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Es geht für sie wirtschaftlich um besonders viel.

Die Schweizer Bauern sind im internationalen Vergleich stark von staatlicher Unterstützung abhängig. Das zeigen Daten des Ländervereins OECD. In den vergangenen Jahren waren jeweils 40 bis 50 Prozent der Gesamteinnahmen der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe auf staatliche Massnahmen zurückzuführen.

Rund die Hälfte davon stammt von den Direktzahlungen und anderen Subventionen. Die andere Hälfte rührt vom Grenzschutz her: Die Zölle für Landwirtschaftsprodukte treiben die Preise in der Schweiz nach oben und damit die Einnahmen der Bauern.

In den Nachbarländern sind die staatlichen Hilfen für die Bauern geringer. In Österreich schätzt sie der Think-Tank Center for Global Development auf rund 23 Prozent der Gesamteinnahmen. In Frankreich dürften es 19 Prozent sein, in Italien 16 Prozent und in Deutschland 14 Prozent. Kurz: Für die Schweizer Bauern lohnt sich politisches Engagement, weil sie besonders viel zu verlieren haben.

Grossteil der Bauern macht am Markt Verlust

Wie wichtig der Staat für die Schweizer Bauern ist, zeigt sich auch aus einer anderen Perspektive. Ohne staatliche Unterstützung könnte ein Grossteil der Bauernbetriebe nicht überleben.

Das macht eine Auswertung von Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt des Bundes, deutlich, die jüngst in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» erschienen ist. Betrachtet werden dabei nicht die Gesamteinnahmen (die Umsätze) der Bauernbetriebe, sondern die Nettoeinkommen – also, wie viel Geld ein Betrieb unter dem Strich für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung hat.

Laut Agroscope haben 70 Prozent der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe ein negatives Markteinkommen. Das heisst, dass die Bauern mit dem Verkauf ihrer Produkte Verlust machen. Dies ist ein ernüchternder Befund, zumal die Absatzpreise in der Schweiz durch den Grenzschutz künstlich nach oben gedrückt werden. Dennoch kommen sieben von zehn Betrieben mit ihrer Tätigkeit am Markt nicht auf einen grünen Zweig.

Mithin können diese Betriebe nur überleben, weil sie noch andere Einkommensquellen haben. Ein Faktor sind ausserlandwirtschaftliche Einkünfte, beispielsweise wenn ein Familienmitglied einen Bürojob ausserhalb des Bauernhofs hat.

Die wichtigste Einkommensquelle für die Bauern sind allerdings die Direktzahlungen des Bundes. Sie machen bei den meisten Bauernbetrieben den grössten Teil des Einkommens aus.

Faktisch sind also die meisten Bauern Staatsangestellte. Insofern wäre es nur konsequent, wenn künftig der oberste Bauer an der Spitze des Staates stünde.

Exit mobile version