Montag, September 30

Wirtschaftswissen ist essenziell – nicht nur für die Volkswirtschaft, sondern auch für das demokratische Miteinander. Die Schweiz steht vergleichsweise gut da, doch es gibt Verbesserungspotenzial.

Meine Mitarbeiter und ich waren begeistert, als wir kürzlich gemeinsam mit rund hundert angehenden Maturandinnen und Maturanden der Kantonsschule Menzingen Themen wie Einkommensverteilung, Steuerprogression und Krankenkassenprämien erarbeiten durften. Es wurden Daten analysiert, Quellen recherchiert und Diskussionen geführt. Damit wollten wir zur «Economic Literacy» beitragen. Ein Schlagwort der Stunde, bei dessen Nennung sofort alle anerkennend nicken. Auch ich habe in meiner Kolumne zur Jugendverschuldung geschrieben, dass finanzielle Bildung zentral sei, um den Umgang mit Geld zu lernen. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter solch gehypten Schlagworten wie Economic oder Financial Literacy? Höchste Zeit für eine Tiefenbohrung!

Economic Literacy beschreibt die Fähigkeit, ökonomische Konzepte im Alltag anzuwenden – vom Verständnis der Opportunitätskosten bei unseren persönlichen Entscheidungen bis hin zur Bildung einer Meinung über die Wirksamkeit der Wirtschaftspolitik. Financial Literacy ist ein Teilbereich dieser Economic Literacy und befasst sich mit spezifischen Finanzkompetenzen, die erforderlich sind, um fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen. Während eine finanziell gebildete Person versteht, was ein Zinssatz ist und welche Auswirkungen er auf ihre Finanzen hat, begreift ein wirtschaftlich Gebildeter auch, warum Zinssätze geändert werden und wie sich diese Änderungen auf die Gesamtwirtschaft auswirken.

Die Schweiz gehört zu den Klassenbesten unter schlechten Schülern

Finanzwissen wird klassischerweise durch Fragen zu Zinssätzen, Inflationsraten und Risikodiversifizierung erfasst. Diese Studien zeigen, dass die Schweiz im internationalen Vergleich im Bereich Finanzwissen gut abschneidet. Dennoch beantworten nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten die grundlegenden Fragen korrekt. Dabei gibt es innerhalb der Schweiz deutliche Unterschiede. So ist die Finanzkompetenz in der Deutschschweiz höher als in der Romandie. Ausserdem ist sie bei Haushalten mit tieferem Einkommen geringer als bei Gutverdienern. Auch wenn die Schweiz vergleichsweise gut dasteht, besteht erhebliches Potenzial zur Verbesserung – und dieses gilt es zu adressieren.

Die Vorteile einer verbesserten Wirtschaftskompetenz sind nicht nur auf individueller Ebene offensichtlich. Ökonomisch gebildete Bürgerinnen und Bürger verstehen die Komplexität der Finanzmärkte besser und können informierte Entscheidungen treffen, was zu einer stabileren und effizienteren Wirtschaft führt. Ein vertieftes Verständnis ökonomischer Zusammenhänge fördert zudem das Vertrauen in kluge wirtschaftspolitische Massnahmen und ermöglicht es den Menschen, die Auswirkungen von Gesetzen und Reformen besser abzuschätzen.

Besonders zentral in einer direkten Demokratie

Der Nobelpreisträger George J. Stigler plädierte bereits in den 1970er Jahren für eine breitere Vermittlung ökonomischen Wissens. Laut Stigler müssen die Bürger in der Lage sein, wirtschaftliche Fragestellungen, die sie direkt angehen, auch selbst zu beurteilen, um die eigenen Interessen wahrzunehmen. Diese Einschätzungen und Äusserungen müssen häufig und ohne die Möglichkeit erfolgen, sich jedes Mal von Experten beraten zu lassen. Eine solche Wirtschaftskompetenz sei entscheidend, da die Öffentlichkeit über wirtschaftliche Probleme abstimme. Viele Gesetze, die scheinbar andere Themen wie Sozialpolitik, Raumplanung oder Bildung betreffen, haben erhebliche volkswirtschaftliche Auswirkungen.

Dies gilt besonders in der Schweiz: In einer direkten Demokratie ist ökonomisches Know-how wichtig, um sich eine fundierte Meinung zu Abstimmungsvorlagen zu bilden. Studien belegen, dass das politische Wissen in einer direkten Demokratie erhöht ist. Zudem geht ein höheres Wirtschaftswissen mit einer stärkeren Wahlbeteiligung einher. Wird die Wirtschaftsbildung der Jungen gestärkt, können wir erwarten, dass sie besser informiert abstimmen und ihr politisches Engagement zunimmt. Gegeben das hiesige Medianwähleralter von rund 57 Jahren, wäre dies ein erfreuliches Ergebnis einer verbesserten Wirtschaftsbildung.

Doch wie soll die Wirtschaftskompetenz gesteigert werden? Durch die Einführung eines neuen Schulfachs? Der Blick auf die umfangreichen Stundentafeln aller Schulstufen zeigt, dass dies keine praktikable Lösung ist. Finanz- und Wirtschaftswissen ist ohnehin bereits Teil der Lehrpläne in der Schweiz. Gemäss dem Pisa-Bericht ist die Finanzkompetenz ausserdem nicht nur von der formalen Bildung abhängig. Es muss auch zu Hause über Geld gesprochen werden.

Bezug zur eigenen Lebensrealität ist entscheidend

Und es gilt – sowohl durch die Eltern als auch die Lehrer –, das Interesse an Geld und verwandten Themen zu wecken. Zum Beispiel, indem Schülerinnen und Schüler zu Hause und in der Schule über die Themen debattieren und eigene praktische Erfahrungen im Umgang mit Geld sammeln – angefangen beim ersten Taschengeld im Kindesalter. Übertragen auf die Wirtschaftskompetenz im Allgemeinen bedeutet das: Vermeintlich abstrakte Themen wie Steuerprogression und Krankenkassenprämien müssen greifbar gemacht werden. Es braucht den direkten Bezug zur eigenen Lebensrealität.

Umso mehr freuen wir uns darauf, auch in Zukunft zur Entwicklung der Economic Literacy beizutragen, indem wir Forschung anschaulich ins Klassenzimmer bringen, die Schüler praktisch mit Daten arbeiten und sie so einen eigenen Zugang zur Thematik finden lassen. Denn je mehr wir das Wissen und Verständnis der nächsten Generation stärken, desto besser kann sie unsere direkte Demokratie mitgestalten.

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