Dienstag, November 26

Der Stein im Zentrum von Stonehenge kommt ganz aus dem Norden von Schottland. Das deutet laut einer neuen Studie darauf hin, dass die damalige Gesellschaft vernetzter war als bisher angenommen.

Seit Jahrhunderten gibt Stonehenge, der wohl berühmteste Steinkreis der Welt, Besuchern und Wissenschaftern Rätsel auf. Wer hat die Steine im Süden von England aufgestellt, zu welchem Zweck – und wie wurden sie transportiert?

Auf die Frage, woher die Steine stammen, liefert eine Studie neue Erkenntnisse. Ein Stein, der sogenannte Altarstein im Zentrum des Steinkreises, stammt aus dem nördlichsten Zipfel von Schottland, einer Entfernung von mehr als 700 Kilometern.

Die Entdeckung eines Teams von britischen und australischen Forschern wurde am Mittwoch in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert. Laut dem Artikel wurde Stonehenge mit Steinen aus England, Wales und Schottland gebaut. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Menschen in Grossbritannien in der Jungsteinzeit, in der Zeit von 5500 bis 2400 v. Chr., enger vernetzt waren als bisher angenommen.

Nick Pearce ist Geologe an der Universität Aberystwyth in Wales und Co-Autor der Studie. «Es hat uns aus den Socken gehauen, als wir entdeckten, dass der Stein aus dem Nordosten Schottlands stammt», sagte er der BBC.

Steine aus ganz Grossbritannien

Stonehenge liegt in der Nähe der Stadt Salisbury im Süden von England. Der Steinkreis wurde in mehreren Phasen errichtet. Damit begonnen wurde um 3000 v. Chr., vor 5000 Jahren. Um 1500 v. Chr. wurde die Anlage aufgegeben. Viele Fragen rund um den Steinkreis bleiben bis heute ungeklärt. Im Mittelalter glaubte man, dass der Magier Merlin die Steine hierher transportiert habe. In der Forschung wird angenommen, dass Stonehenge als Kultstätte diente.

Die grössten Steine wiegen bis zu 30 Tonnen. Sie stammen aus der Umgebung mit einer maximalen Entfernung von 25 Kilometern. Eine Reihe von kleineren Steinen, die sogenannten Blausteine, stammen aus den Preseli-Bergen in Wales, 225 Kilometer entfernt. Das geht aus früheren Steinanalysen hervor.

Der Altarstein, eine sechs Tonnen schwere Platte aus ursprünglich grün gesprenkeltem Sandstein, konnte bisher nicht zugeordnet werden. Er liegt im Zentrum des Steinkreises, teilweise begraben unter zwei grossen, umgefallenen Steinen. Seinen Namen erhielt der Altarstein im 17. Jahrhundert. Ob er tatsächlich als Altar benutzt worden war, ist allerdings nicht gesichert. Er ist anders als die anderen Steine flach und nicht Teil des Ringes, in dem die anderen Steine angeordnet sind. Bei der Sonnenwende beleuchtet die Sonne den Stein. Wissenschafter sind sich daher einig, dass der Stein bedeutsam gewesen sein muss.

Lange wurde angenommen, dass er wie die Blausteine aus Wales stamme. Doch in den letzten Jahren wuchsen die Zweifel an dieser Theorie. 2023 bestätigte ein Team, schon damals mit Beteiligung des Geologen Nick Pearce, dass der Stein nicht aus Wales komme. Die Herkunft blieb jedoch weiterhin unklar.

Ein Team der Curtin-Universität im australischen Perth hat nun Proben des Altarsteins untersucht. Dabei hatten die Forscher Zugriff auf fortschrittliche Analysemethoden aus dem Bergbau sowie auf eine der weltweit umfassendsten Datenbanken von Gesteinsproben.

Das Team analysierte die Zusammensetzung der Altarstein-Proben. Aus den chemischen Bestandteilen und dem Alter der darin enthaltenen Mineralien lässt sich ein einzigartiger Stempel erstellen, wie bei einem Fingerabdruck oder einer DNA. Die Untersuchung ergab, dass der Stempel des Altarsteins eine Übereinstimmung mit Gestein im Orkney-Becken im Nordosten von Schottland hat.

Der Archäologe Robert Ixer vom University College London, der ebenfalls an der neuen Studie beteiligt war, bezeichnete die Ergebnisse in der BBC als «schockierend». Sie würden zwei neue Fragen aufwerfen: «Wie wurde der Altarstein aus dem hohen Norden Schottlands über 700 Kilometer nach Stonehenge transportiert, und, was noch interessanter ist, warum?»

Transport über Seeweg wahrscheinlich

Von keinem anderen Monument aus dieser Zeit ist bekannt, dass ein Stein über eine solche Entfernung transportiert worden wäre. Der Transport deutet auf einen für jene Zeit unerwarteten Grad an gesellschaftlicher Organisation unter den neolithischen Gemeinschaften Grossbritanniens hin.

Laut den Studienautoren ist angesichts des bergigen und bewaldeten Geländes zwischen Ursprung und Ziel ein Transport über Land wenig wahrscheinlich. Sie halten den Seeweg für die realistischere Möglichkeit.

In der Studie nennen sie Gründe, die dafür sprächen. So gebe es Hinweise auf Tiertransporte von Kontinentaleuropa in den Nordosten Schottlands um 5000 v. Chr. Erforscht sei auch ein maritimes Handelsnetz für Steinbruchwerkzeug im Neolithikum, das Grossbritannien, Irland und Kontinentaleuropa umfasst habe. Der Transport von bearbeiteten Sandsteinblöcken über Flüsse sei in Grossbritannien zudem ab 1500 v. Chr. nachgewiesen.

Die Wissenschaft mag Stonehenge eine Antwort abgerungen haben – der Steinkreis birgt jedoch noch viele weitere Geheimnisse.

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