Cyprien Sarrazin zeigt in Kitzbühel eine der besten Fahrten, die die Streif je gesehen hat, und schlägt erneut den starken Marco Odermatt. Wie fühlt es sich an, von Erfolg zu Erfolg zu schweben? Ski-Legenden erzählen.
Im Anschluss an das Spektakel, in diesem Gefühlszustand zwischen Enttäuschung und Stolz über den 2. Rang, sagte Marco Odermatt: Nun bleibe ihm immerhin noch ein Ziel für die Zukunft. In einem normalen Jahr hätte seine Fahrt am Samstag für den ersehnten Abfahrtssieg auf der Streif gereicht – aber der entfesselte Franzose Cyprien Sarrazin zeigte wohl eine der besten Leistungen, die es in Kitzbühel je gegeben hat.
Dem Fakt etwas Positives abgewinnen, dass man ein grosses Ziel noch nicht erreicht hat – das kann auch nur einer, der so erfolgsverwöhnt ist wie Odermatt. In den vergangenen 24 Weltcup-Rennen stand er 22 Mal auf dem Podest, darunter 14 Mal als Sieger. Das ist eine unfassbare Konstanz über drei Disziplinen. Auch Sarrazin hat eine kleine Serie: Von seinen letzten sieben Rennen hat er vier gewonnen, zweimal war er Zweiter.
Die beiden scheinen auf einer Welle zu reiten, auf der alles ein wenig einfacher gelingt. Ist das wirklich so? Gibt es den Flow über mehrere Rennen? Und wie fühlt sich das an?
Nun – Sarrazin findet kaum Worte. Und Odermatt sagt, er werde seine Leistungen wohl erst nach der Karriere realisieren. Fragen wir also jene, die es schon erlebt haben. Etwa Kjetil André Aamodt, der vierfache Olympiasieger und fünffache Weltmeister. «Wenn du schnell fährst, verstehst du gar nicht, weshalb die anderen nicht auch so schnell sind. Weil es sich so einfach anfühlt», sagt der Norweger.
Laufe es aber nicht, denke man nur daran, dieses Gefühl wieder zurückzubekommen. In Aamodts Augen könnte Odermatt zu den wenigen Fahrern gehören, die dieses Gefühl gar nicht erst verlieren – und er zählt Lindsey Vonn, Mikaela Shiffrin, Alberto Tomba oder Ingemar Stenmark auf.
«Wo andere kämpfen, kannst du immer noch spielen»
Dass es zwei Arten von Athleten gibt – jene, die mit dem Sieger-Gen geboren worden sind, und andere, die den angestrebten Zustand nur zeitweise finden – , das glaubt auch Ivica Kostelic. 2011 zeigte der Kroate einen unglaublichen Januar: Innerhalb von dreissig Tagen gewann er sieben Weltcup-Rennen in vier verschiedenen Disziplinen und holte 999 Punkte. «Du fühlst dich, als hättest du Superkräfte. Als wärst du unbezwingbar», sagt er nun am Telefon auf die Bitte hin, dreizehn Jahre zurückzublicken.
Er fühlte sich damals in der Zone am Limit pudelwohl. «Doch du merkst das nicht einmal. Dort, wo andere kämpfen, kannst du immer noch spielen.» Für ihn gehört aber nur seine Schwester Janica zu jenen, die das Siegen in sich tragen; ihn selbst habe dieser Monat enorm viel Energie gekostet. Das Puzzleteilchen zum Erfolg sei eine bestimmte Art gewesen, sich zu fokussieren. Diesen Zustand vor jedem Rennen wieder herzustellen, sei an die Substanz gegangen. Und es sei nicht immer gelungen. Kann man etwas finden, kann man es auch wieder verlieren.
Gar nichts wissen von einer Leichtigkeit des Seriensiegens wollte Marcel Hirscher. «Es ist in jedem Rennen wieder eine neue Herausforderung, alles umzusetzen. Da nützen dir die ganzen vorherigen Siege nichts», sagte der achtfache Gesamtweltcup-Sieger während seiner Karriere gerne. Für den Getriebenen war das Besserwerden bloss der Anlass, sich seinem Perfektionismus mit noch mehr Möglichkeiten zu stellen.
Dem widerspricht Didier Cuche. Er ist überzeugt, dass jeder Erfolg Odermatt noch stabiler und stärker macht. In der jetzigen Form stehe dieser am Start und wisse, dass er ohne grosse Fehler sicher in die Top 5 fahre. «Das macht die Sache tausendmal einfacher, auch wenn es da oben immer noch schwierig und gefährlich ist.»
Zu Seriensiegern wie Hirscher oder Odermatt gehörte Cuche zwar nie, «das ist eine andere Liga», doch in Kitzbühel ist er Rekordsieger und kennt das Gefühl, hier anzukommen und zu wissen, dass er die Strecke besser im Griff hat als alle Gegner. Er hat den Zustand nicht vergessen. «Wenn alles haargenau aufgeht, merkst du nicht mehr, dass es schnell ist, dass es krass ist, dass es schwierig wäre.» Dann ist eben alles im Flow.