Der Zuger Regierungsrat Martin Pfister will für die Mitte in den Bundesrat. Im Interview fordert er eine lückenlose Aufklärung der Skandale im VBS, eine vollständig ausgerüstete Armee und weniger Zivildienstabgänge.
Herr Pfister, diese Woche wurde bekannt, dass der Chef der Armee und der Chef des Nachrichtendienstes gekündigt haben. Die Finanzkontrolle veröffentlichte einen vernichtenden Bericht. Wollen Sie immer noch Bundesrat werden?
Ich kommentiere die Berichte der Finanzkontrolle zu den Vorkommnissen in der Ruag nicht, weil ich Kandidat für den Bundesrat bin. Es ist offensichtlich, dass im Verteidigungsdepartement ein grosser Handlungsbedarf besteht – in struktureller und personeller Hinsicht. Desgleichen bei der Führung und Abwicklung von Grossprojekten. Das schreckt mich nicht. Ich bin seit neun Jahren Regierungsrat in Zug. Es ist der richtige Zeitpunkt für eine neue Herausforderung.
Parlamentarier sprechen von einem grossen Imageschaden für das VBS, viele forderten eine Untersuchung, einige eine parlamentarische Untersuchungskommission. Wie würden Sie den Ruf des Verteidigungsdepartements wiederherstellen?
Eine lückenlose Aufklärung ist wichtig. Allenfalls müssen in organisatorischer und personeller Hinsicht Konsequenzen gezogen werden. Der Bundesrat hat bereits im Dezember angekündigt, die Rechtsform der Ruag zu klären. Als neuer Departementsvorsteher müsste ich auch das Vertrauen wiederherstellen: mit Transparenz und mit Entscheidungen.
Schmälern die Negativschlagzeilen der letzten Monate nicht Ihre Lust auf das Amt?
Nein, sie fordern heraus. In jedem politischen Amt gibt es Baustellen. Im VBS sind sie vielleicht besonders offensichtlich. Umso attraktiver ist es für mich, an einen Ort zu kommen, wo ich gestalten kann.
Wie würden Sie das machen?
Als Bundesrat benötige ich vom ersten Tag an ein Kernteam, dem ich vertrauen kann. Dann gilt es, im VBS schnell zu erkennen, was gut läuft, und diese Dinge will ich stärken. Herausforderungen werde ich parallel dazu angehen. Die Mitarbeitenden müssen wissen, wo es hingeht. Ich habe grosse Erfahrung als Regierungsrat und auch von meiner Zeit im Militär.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass noch weitere Skandale im VBS auftauchen könnten?
Ich schliesse das nicht aus. Auch deshalb will ich, falls ich gewählt werde, zuerst eine saubere Analyse machen und auch an den kulturellen Elementen arbeiten. Qualität muss im Zentrum stehen. Ich verlange aber auch Ehrlichkeit und Dynamik.
Stellen Sie sich das nicht zu einfach vor?
Das Schaffen einer erfolgreichen Kultur ist eine Daueraufgabe. Als zentrales Element guter Führung ist entscheidend, dass die richtigen Personen an den richtigen Stellen sind. So können sie diese Kultur vorleben. Und dann braucht es Vertrauen sowie Kontrolle und Klarheit über die gemeinsamen Ziele.
Das VBS war auffallend oft von Indiskretionen betroffen. Wie würden Sie diese verhindern?
Als Departementsvorsteher muss ich deutlich machen, dass Indiskretionen nicht toleriert werden. Dazu gehört, dass gerade in meinem engsten Umfeld keine verursacht werden.
Wurde das aus Ihrer Sicht bis jetzt zu wenig gemacht?
Ich kann im vorliegenden Fall nicht beurteilen, woher die Indiskretionen stammen. Es fällt aber auf, dass sie häufig vorkommen. In der Pandemie habe ich das als Gesundheitsdirektor selbst erlebt. Ich habe mich darüber aufgeregt.
Das Parlament will das Armeebudget bis 2032 auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts erhöhen. Die Armeeausgaben sollen schrittweise von 5,5 auf knapp 11 Milliarden Franken erhöht werden. Würden Sie nach all den Skandalen als Bürger dem VBS noch mehr Geld anvertrauen?
Ich verstehe den Vertrauensverlust, der entstanden ist. Gleichzeitig müssen wir sehen: Die Welt und Europa haben sich mit den Kriegen in den vergangenen Jahren und gerade in der jüngsten Zeit fundamental verändert. Es ist nun eine zentrale Aufgabe des Bundesrates, für eine glaubwürdige Armee zu sorgen, welche die Sicherheit des Landes garantiert. Dazu braucht es auch die nötigen finanziellen Mittel.
Ihr Parteikollege Ständerat Benedikt Würth möchte die Mehrwertsteuer erhöhen, um den Aufwuchs der Armee zu finanzieren. Und Sie?
Es gilt jetzt, das Entlastungspaket abzuwarten und zu schauen, wo Spielraum besteht. Mehr Geld benötigt ja nicht nur die Armee, sondern etwa auch die AHV. Generell müssen wir bei den meisten Ausgaben effizienter werden. Ich vermute allerdings, dass das nicht reichen wird und Mehreinnahmen nötig sein werden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist eine Möglichkeit.
Dafür braucht es eine Volksabstimmung. Wie würden Sie das Volk überzeugen?
Sicherheit wird in den nächsten Jahren noch wichtiger werden. Die geopolitische Entwicklung ist dramatisch, die transatlantischen Beziehungen verändern sich sehr rasch. Es gibt genug Argumente, um die Bevölkerung im Vorfeld einer Abstimmung zu überzeugen.
Sie haben Militärdienst geleistet, als die Armee noch deutlich grösser war und einen Sollbestand von 800 000 Mann aufwies. Heute sind es noch 140 000. Das reicht im Ernstfall nicht.
Die Geschichte zeigt: Im Kriegsfall gibt es nie genug Soldaten. Heute geht es darum, überhaupt die Bestände zu haben, um Übungen in den Wiederholungskursen (WK) glaubwürdig durchführen zu können.
Die Armee versucht attraktiver zu werden und beispielsweise Dienstverschiebungen zu erleichtern. Damit wird der Personalmangel in den WK doch noch verstärkt.
Dienstverschiebungsgesuche finde ich korrekt. Der Armeedienst muss mit dem Berufsleben vereinbar sein. Allerdings ist es problematisch, wenn die Bestände der Einheiten nicht ausreichend sind. Mich stört etwa, wenn ausgebildete Soldaten nach der Rekrutenschule in den Zivildienst wechseln. Diese Möglichkeit muss reduziert oder ganz abgeschafft werden. Und gegenwärtig gibt es weitere Diskussionen.
Sie meinen die Überprüfung der Dienstpflichtmodelle?
Die Zusammenlegung von Zivilschutz und Zivildienst zu einem Katastrophenschutz wird geprüft. Es ist richtig, dass Personen, die aus Gewissens- oder Gesundheitsgründen keinen Dienst in der Armee leisten können, eine Alternative haben. Allerdings wechseln heute zu viele aus anderen Gründen in den Zivildienst.
Wie wollen Sie erreichen, dass weniger Leute in den Zivildienst wechseln?
Es besteht Potenzial, beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Beruf und Studium mit der Armee. Doch es gibt Grenzen. Letztlich ist es weniger attraktiv, draussen im Dreck an Übungen teilzunehmen.
Auf welche Bedrohungen muss sich die Armee einstellen?
Die Armeebotschaft zeigt sie detailliert auf. Die wahrscheinlichsten sind im Bereich der inneren Sicherheit und im Bereich von Cyberangriffen. Das sind also Bedrohungen, bei denen nicht nur die Armee, sondern auch andere Organe wie die Polizei zuständig sind. Dann gibt es weitere Eskalationsstufen bis hin zu einem umfassenden Krieg. Im Moment müssen wir nicht damit rechnen, dass Panzer am Rhein auffahren, aber die Armee muss auch für diese Szenarien bereit sein. In der Ukraine sehen wir, dass dieser «moderne» Krieg Züge vom Zweiten, teilweise sogar vom Ersten Weltkrieg hat. Er wird mit äusserster Brutalität geführt und teilweise mit veralteten Waffen.
Wie würden Sie den Bürgerinnen und Bürgern an einer 1.-August-Rede erklären, wie die Armee der Zukunft aufgestellt sein soll?
Wichtig ist, dass die Verbände vollständig ausgerüstet sind, personell und materiell. Die Ausbildung muss gut funktionieren. Politik und Bevölkerung müssen wieder grosses Vertrauen in die Armee fassen, damit sie ihre verfassungsmässigen Leistungen erfüllen kann. Diese Punkte sind das Minimum. Die Armee braucht aber auch eine Perspektive und eine klare Richtungsvorgabe. FDP-Ständerat Josef Dittli hat zwecks umfassender Strategie ein Zielbild verlangt, das Gliederung, Ziele und Konzepte für die Weiterentwicklung der Armee aufzeigt. Der Bundesrat und das Parlament unterstützen diese Forderung.
Sehr abstrakt für eine 1.-August-Rede . . .
Wenn ich diese Rede dann halten darf, dann werde ich die konkreten Beispiele schon liefern. Der abtretende Chef der Armee, Thomas Süssli, hat das immer gut gemacht mit realitätsnahen Beschreibungen, wo die Armee steht und wohin sie gehen soll.
Sie haben bei der Delegiertenversammlung der Mitte erklärt, Sie brächten Ihre Regierungserfahrung in den Bundesrat ein. Was macht der Kanton Zug besser als der Bund?
Mir ist wichtig, dass das Kollegium harmoniert. Das machen wir im Zuger Regierungsrat sehr gut. Wir verhandeln hart, bringen sehr unterschiedliche Meinungen ein, aber kommen schliesslich auch zu besseren Lösungen. Am Schluss müssen wir gegenüber der Bevölkerung geschlossen erklären können, was wir wollen und warum. Unabhängig davon, was jeder Einzelne denkt.
Markus Ritter tritt als Aufräumer auf, Sie klingen wie ein Mediator. Wäre das Ihre Rolle im Bundesrat?
Wo aufgeräumt werden muss, räume ich auf. Wo ein Beitrag zur Konkordanz und Kollegialität gefragt ist, bringe ich das richtige Sensorium mit.
Ein heikles politisches Thema sind die neuen EU-Verträge. Sie haben jüngst gesagt, diese seien unabdingbar. Wie kommen Sie darauf?
Wir leben in einer unruhigen Zeit mit neuen Machtblöcken. Darum sind stabile Beziehungen mit unseren Nachbarn zentral. Wenn die Schweiz ihre bilateralen Beziehungen nicht aktualisiert, kann sie nur den britischen Weg gehen oder den Weg des EU-Beitritts. Ich glaube nicht, dass diese Optionen in der Schweiz mehrheitsfähig und zum Nutzen unseres Landes sind. Der Bundesrat spricht von einem Stabilisierungspaket. Dieses Paket ist ein Bündel von Verträgen, welche die Schweiz und die Europäische Union auf Augenhöhe abschliessen. Dieses Verhältnis ist geprägt von den konkreten Fragen, die sich im Alltag stellen. Es geht um eine Arbeitsbeziehung mit der EU, nicht um eine Heirat. Wir sollten sie folglich auf Gesetzesstufe und nicht auf Verfassungsebene diskutieren.
Bereits jetzt werden die Verträge sehr emotional diskutiert. Die SVP spricht von einem «Unterwerfungsvertrag». Als Bundesrat müssten Sie dieser Emotionalität bei einer Volksabstimmung etwas entgegenhalten.
Wir haben drei Hauptsorgen, die mit diesen Verträgen verbunden sind: Lohnschutz, institutionelle Fragen und Zuwanderung. Hier muss der Bundesrat gute Antworten haben, sonst wird er die Bevölkerung nicht überzeugen können. Heute liegen zwar Eckpunkte vor, aber die konkrete Ausgestaltung nicht. Der Bundesrat hat also einiges zu tun. Ich bin gerne bereit, daran mitzuarbeiten.
Der Bund muss sparen und das Ausgabenwachstum bremsen. Die steigenden Kosten im Gesundheitswesen machen der Bevölkerung Sorgen. Sie sind seit neun Jahren Gesundheitsdirektor. Was sind Ihre Lösungen?
Die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen ist zu kompliziert. Zu viele Akteure beschäftigen sich mit denselben Fragen. Und die Bürokratie muss abgebaut werden.
Das sagten schon viele Politiker.
Ja, aber im Gesundheitswesen ist das Potenzial besonders gross. Es gibt beispielsweise verschiedene Organisationen, die sich mit Tarifen beschäftigen. Diese könnte man zusammenlegen und das System vereinfachen.
Als Bundesrat würden Sie jedoch höchstwahrscheinlich das Verteidigungsdepartement übernehmen.
Es gab ja bei der Departementsverteilung auch schon Überraschungen. Ich weiss auch nicht, ob jemand anderes im Bundesrat das VBS übernehmen will. Ich würde mich als Bundesrat für mindestens zwei Legislaturen verpflichten und bin bereit, jedes Departement zu führen – mit Freude auch das VBS.
Kürzlich haben Sie noch betont, Sie würden sieben Jahre im VBS bleiben. Was ist passiert?
Ich habe in den letzten beiden Wochen verstanden, wie wichtig es ist, bei dieser Frage eine gewisse Offenheit zu haben. Der Bundesrat muss die Departementsverteilung flexibel handhaben können.
Nervt es Sie, dass die Medien immer fragen, warum Sie überhaupt kandidieren?
Nein, weshalb? Ich habe realistische Chancen. Ich bin eine Alternative zu Markus Ritter, denn ich habe Regierungs- und militärische Führungserfahrung.
Als Historiker haben Sie am Bundesratslexikon mitgearbeitet. Was soll in einer künftigen Ausgabe über Bundesrat Martin Pfister stehen?
Künftige Historiker sollten meine Leistung kritisch beurteilen. Ich hoffe, dass sie mir gute Noten geben werden. Für meine Departementsführung und dafür, dass Parlament und Bevölkerung Vertrauen in meine Tätigkeit hatten. Und auch für jenen Beitrag, den ich zu einer erfolgreichen Kollegialregierung und für gute Lebensgrundlagen in der Schweiz geleistet habe.