Als Zögling von Heinrich Himmler wurde der einst unehrenhaft aus der Marine entlassene Offizier ein williger Erfüllungsgehilfe der nationalsozialistischen Verfolgung.
Nachrufe sehen sonst anders aus. Nach der Ermordung Reinhard Heydrichs durch tschechische Widerstandskämpfer hält Thomas Mann im Juni 1942 eine Radiorede. Das gewaltsame Ende des NS-Verbrechers nennt der Schriftsteller den natürlichsten Tod, «den ein Bluthund wie er sterben kann». Thomas Mann beklagt das «pomphafte Staatsbegräbnis». «Ein anderer Metzgermeister sagt ihm am Grabe nach, er sei eine reine Seele und ein Mensch von hohem Humanitätsgefühl gewesen.»
Thomas Manns Verhältnis zu Reinhard Heydrich hatte eine Vorgeschichte. Als Chef der Politischen Polizei von Bayern hatte Heydrich 1933 einen Schutzhaftbefehl gegen den Schriftsteller erlassen und ihm vorgeworfen, undeutsche, marxistische, judenfreundliche und «der nationalen Bewegung feindliche» Einstellungen zu haben. In seiner berühmten, im Oktober 1930 in Berlin gehaltenen «Deutschen Ansprache» hatte Thomas Mann den heraufziehenden Nationalsozialismus «eine Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsrohheit» genannt.
Von einer Vortragsreise im März 1933 kehrte der Autor aus dem Ausland nicht mehr zurück. Aus guten Gründen. Der politische Feind war längst übermächtig und benennbar geworden. In Gestalt von Reinhard Heydrich hatte er auch ein sphinxhaft finsteres Gesicht.
Bedingungslos Himmler ergeben
Wer war der Mann, der die politischen Gegner des Nationalsozialismus massenhaft verfolgen und ermorden liess? Der mit dem Vorsitz bei der Wannsee-Konferenz von 1942 den Holocaust strategisch zu planen und umzusetzen begann? Im Berliner Ausstellungszentrum Topographie des Terrors ist dem obersten Polizisten des NS-Staates jetzt eine grosse Ausstellung gewidmet.
In der Schau wird alles vermieden, was die historischen Fakten ins Persönliche verwässern könnte. Es gibt keinen Halt in der beruflichen Physiognomie eines Haltlosen. Die Frage nach dem Warum stellt sich bei dieser exzellent aufbereiteten Karrieregeschichte nicht. Wahrscheinlich schon deshalb, weil sie für Heydrich selbst nicht relevant war. Er war ein Funktionär. Er funktionierte.
Der «Reichsführer SS» Heinrich Himmler hatte seine eigene Strategie, wenn es darum ging, loyale Gefolgsleute an sich zu binden. Er wählte vorzugsweise Männer aus, die einen ökonomischen oder beruflichen Abstieg hinter sich hatten. Durch die von Himmler persönlich ermöglichte Wiedereingliederung ins System war mit Dankbarkeit zu rechnen und offenbar auch mit Übererfüllung der Vorgaben.
Reinhard Heydrich ist dafür ein besonders gutes Beispiel. Als junger Offizier war er wegen unehrenhaften Verhaltens aus der deutschen Marine entfernt worden. Er hatte zwei Frauen gleichzeitig die Ehe versprochen. Die Entlassung war eine schlimme Demütigung für Heydrich, und dieser Knick in der Biografie könnte erklären, warum er zum perfekt funktionierenden Werkzeug eines mörderischen Systems wurde.
Im Gegensatz zu anderen hohen NS-Kadern gab es bei Himmlers willigem Untertan keine privaten Affären. Anders als bei Joseph Goebbels waren die idyllischen Fotos, die zu Propagandazwecken von der Familie gemacht wurden, nicht nur gestellt. Es hätte die Berliner Ausstellung wohl überfordert, ein psychologisches Profil dieses NS-Täters anzulegen.
Tatsächlich gibt es wenig private Spuren, und Reinhard Heydrich wurde mit nur achtunddreissig Jahren in Prag Opfer eines Anschlags. Der Feind hatte zurückgeschlagen. Zwei Tschechen attackierten den damals stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren am 27. Mai 1942 mit einer Handgranate.
In seiner polizeilichen Aufgabe, sogenannte Feinde des Staates unschädlich zu machen, arbeitete Heydrich für seinen Vorgesetzten Himmler immer mit eiserner Akkuratesse. Schon als er in Bayern die ersten Stufen seiner Karriere nahm, war auf ihn Verlass. Als dortiger Leiter der Politischen Abteilung der Polizei konnte er nach einem Dreivierteljahr stolz über die Inhaftierung von mehr als 16 000 Gegnern des Systems berichten.
Heydrich wuchs mit der Übererfüllung seiner Pflichten. Er lernte aus dem Erreichten und konnte vorausschauend immer grössere Schritte auf dem Weg zum totalen Überwachungs- und Vernichtungsstaat planen. Seine ganze Laufbahn über hatte der kalte Karrierist die Unterstützung Heinrich Himmlers. Mit dessen Ernennung zum Chef der gesamten deutschen Polizei wechselten beide nach Berlin.
An vorderster Front des Tötens
Heydrich begann 1936, die Geheime Staatspolizei, die Gestapo, aufzubauen. Er war Chef der Sicherheitspolizei und auch für den Sicherheitsdienst der SS zuständig und somit unumschränkter Herrscher aller Überwachungs- und Verfolgungsinstanzen, in deren Verantwortung die meisten grossen Verbrechen des Nationalsozialismus liegen.
Die in der Ausstellung zu sehenden Dokumente zeigen Reinhard Heydrich als Beamten der Macht. Sein Versuch, die Menschenfeindlichkeit in rationale Sprache zu giessen, kommt ohne jeden Zweifel aus. «Wir brauchen Jahre erbitterten Kampfes, um den Gegner auf allen Gebieten endgültig zurückzudrängen, zu vernichten und Deutschland blutlich und geistig gegen neue Einbrüche des Gegners zu sichern.»
Die Formel «auf allen Gebieten» war bald auch geografisch gemeint. Wohin auch immer sich der NS-Staat ausdehnte, war Heydrich mit dabei. Sogenannte «Gegnerforschung» und aktive Vernichtung gingen in Österreich ab dem Jahr 1938 Hand in Hand. Später war Heydrich in Polen und der Tschechoslowakei zu Diensten. Schon im Jahr 1935 wollte er die «Judenpolitik» nicht anderen überlassen, sondern setzte die Verfolgungsmassnahmen mit den ihm unterstellten Behörden um.
Während des Zweiten Weltkriegs operierten im Auftrag Heydrichs eigene Einsatzgruppen, die für Massenerschiessungen in den neuen Gebieten zuständig waren. Selbst Heydrichs unmittelbare Angestellte waren aufgerufen, sich auf die neuen Schlachtfelder der Verfolgung zu begeben und dort am Morden teilzunehmen.
Reinhard Heydrich war kein blosser Schreibtischtäter. Er stand an der vordersten Front des Tötens und kehrte stets pflichtbewusst ins Idyll der Familie zurück. Zu den dunkelsten Exponaten der Berliner Ausstellung gehört ein TV-Gespräch mit Lina Heydrich, der Witwe des SS-Massenmörders. 1979 sagt sie: «Man kann keine Geschichte zurückdrehen, aber wenn ich könnte, wie ich wollte, barfuss, ohne Schuhe würde ich wieder zurückgehen. Es war so eine schöne Zeit.»
Reinhard Heydrich. Karriere und Gewalt. Topographie des Terrors, Berlin. Bis 10. Juni 2025. Katalog 18 Euro.