Samstag, März 15

Unter Roger de Weck wurde die SRG zum Bollwerk der linken Bourgeoisie, unter seinem Nachfolger Gilles Marchand verstand sie sich als Selbstzweck. Die neue SRG-Generaldirektorin muss nun als Erstes die Frage klären, was Service public heute bedeutet.

Die Wahl Roger de Wecks im Jahr 2010 war ein Coup. Der Verwaltungsrat hatte sich mit Absicht nicht für einen Manager entschieden, sondern für einen Publizisten. Der damalige Medienminister, der Zürcher Sozialdemokrat Moritz Leuenberger, hatte kurz vor Ende des Selektionsverfahrens noch schnell die Anforderungskriterien geändert und so de Wecks Weg geebnet.

De Weck, der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» und der «Zeit», verströmte den diskreten Charme des zur Salon-Bourgeoisie gewordenen Patriziats. Er galt als sozialliberal, SVP-kritisch und überaus europafreundlich. Seine Mitgliedschaft in der Neuen Europäischen Bewegung und im Club Helvétique schadete seiner Wahl nicht, sondern beflügelte sie.

Die selbsternannten links-progressiven Kreise waren begeistert, bei den Bürgerlichen und einigen ehemaligen Weggefährten hielt sich die Freude in Grenzen. Der Publizist Kurt W. Zimmermann, der de Wecks Führungsstil als Mitglied der Tamedia-Konzernleitung erlebt hatte, nannte ihn einen «Anti-Manager». Christoph Mörgeli, damals noch SVP-Nationalrat und Christoph Blochers Chefstratege, schrieb: «Ich kann es mir nur so erklären, dass Jean Ziegler eben in Libyen weilt und Fidel Castro offenbar den Gesundheitscheck nicht bestanden hat.»

Und nun also Susanne Wille. Die ehemalige Moderatorin und heutige SRF-Kulturchefin soll es richten. Ihr Hauptauftrag: der Politik und den Gebührenzahlern erklären, was mit Service public eigentlich gemeint ist und wie viel es davon braucht. Ihr Vorvorgänger de Weck verstand die SRG als eidgenössische Institution, als Bastion des Qualitätsjournalismus und Bollwerk gegen rechtspopulistische Kräfte. Für Gilles Marchand wiederum, Willes direkten Vorgänger, war die SRG so etwas wie ein helvetisches Medienmonopol. Das Verständnis für die Rolle der privaten Medien ging ihm ebenso ab wie das für die Kritiker der SRG.

Sein Blick auf den von ihm verantworteten Medienkoloss war so eng, dass er Unterstützer auch dann nicht sah, wenn sie direkt neben ihm standen. Als der neue Medienminister Albert Rösti im vergangenen Jahr eine moderate Senkung der Radio- und TV-Gebühr von 335 auf 300 Franken ankündigte, reagierte Marchand mit grosser Dramatik. Wenn die SRG sparen müsse, dann gehe das nur auf Kosten der Sprachminderheiten im Süden, Osten und Westen des Landes.

Marchand hätte es besser wissen müssen. Nach dem Nein zur No-Billag-Initiative im Jahr 2018 hatte er aus politischer Räson ein Reformpaket von über 100 Millionen Franken angekündigt, dem er ein weiteres folgen liess. Doch weil die Kostensenkungsprogramme nicht sonderlich nachhaltig waren und die SRG immer noch mehr Personal einstellte, wurde der politische Druck zu gross. Der SRG-Verwaltungsrat unter Präsident Jean-Michel Cina realisierte, dass der Abwehrkampf unter Marchand kaum zu gewinnen war. Anfang Jahr teilte er mit, die SRG müsse sich auf die politischen Ereignisse vorbereiten. Man trenne sich einvernehmlich und danke Gilles Marchand herzlich «für seinen unermüdlichen Einsatz im Dienste des Service public».

Susanne Wille ist weder eine glänzende Publizistin noch ein Anstaltsapparatschik. Sie ist eine gute Journalistin und Moderatorin, die als Kulturchefin bei SRF auch zu einer geübten Medienmanagerin geworden ist. Mit ihrer professionellen und freundlichen Art ist sie vor allem in der Deutschschweiz das nette Gesicht der SRG. Wo sie politisch steht, weiss niemand so genau. Und genau diese Wohltemperiertheit ist ihr Vorteil. Die SRG hat in den vergangenen Jahren zu viel politisches Profil gezeigt. Unter Susanne Wille muss die SRG vor allem die Frage klären, was Service public heute bedeutet.

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