Mittwoch, Oktober 2

«Meet Food» heisst der neue Trend, der über reinen Konsum hinausgehen soll. Dabei geht es ums Einkaufen als ganzheitliches Erlebnis, gleichzeitig wird das Bedürfnis nach nachhaltiger Produktion erfüllt.

Einkaufen geht mittlerweile über das pure Wissenwollen, wo und wie Gemüse, Obst, Fleisch- und Milchprodukte produziert werden, und den reinen Konsum hinaus. Verbraucher möchten heute deren Herkunft und Herstellung bewusst erleben – das kann ein Supermarkt nicht bieten, auch wenn uns das die Migros mit ihrer Hofladenkampagne, die aufgrund vieler Kritik gar gestoppt wurde, glauben lassen wollte.

Zwar bleiben Supermärkte noch immer die Hauptorte für den Lebensmitteleinkauf: Schliesslich soll dieser auch schnell und effizient sein. Kurze Wege, alles Wichtige unter einem Dach, faire Preise und Produkte, die Nachhaltigkeits- und Ethiknormen erfüllen, das sind die Erwartungen an den idealen Einkaufsort. Siebzig bis achtzig Prozent aller Lebensmitteleinkäufe in Deutschland, Österreich und der Schweiz werden in Supermärkten getätigt; eine Handvoll grosser Konzerne wie Rewe, Aldi, Migros und Coop bestimmt diesen Markt.

Aber die Kritik an der Marktmacht nimmt zu und kommt aus verschiedenen Richtungen: Landwirte beklagen niedrige Abnahmepreise und strenge Normen, die hochwertige Produkte ausschliessen. Konsumentinnen wiederum ärgern sich über unklare Kennzeichnungen und übertriebene Umweltclaims, die ihre ethischen und qualitativen Erwartungen enttäuschen. Und Verbrauchergruppen kritisieren die intransparente Preispolitik, undurchsichtige Lieferketten und die gezielte Promotion ungesunder und stark verarbeiteter Produkte.

In diesem Kontext zeigt der Food-Trend-Report 2025 neues Potenzial für Direktvermarkter und Konsumenten auf. Der Trend «Meet Food» beschreibt das wachsende Bedürfnis der Verbraucher, mehr Nähe und eine engere Beziehung zu ihren Lebensmitteln und den Produzenten zu haben.

Direkt ab Bauernhof

Viele landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaften – vermehrt seit der Corona-Pandemie – neben klassischen Hofläden digitale Plattformen, Biokisten, Verkaufsautomaten und Containershops. Auf Plattformen wie Farmy kann man online und zentral bestellen. Häufig stammen die Lebensmittel aus einem Umkreis von unter fünfzig Kilometern, werden entweder direkt nach Hause oder zu Pick-up-Stationen gebracht – und Frischeprodukte wie Eier und Fleisch werden per Frischetransport gekühlt nach Hause geliefert.

Genossenschaftliche Vereinigungen und Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften versuchen, mit kooperativ geführten stationären Lösungen die Distanz zwischen Verbrauchern und Produzenten zu verringern. Das regionale und lokale Angebot zielt darauf ab, die Transparenz, faire Preise und klimafreundliche Wirtschaftspraktiken zu fördern. Ein Beispiel ist die Park Slope Food Coop in New York, einer der ältesten kooperativen Supermärkte weltweit.

In Wien hat der Mitmach-Supermarkt Mila gerade einen Minimarkt eröffnet und plant, 2025 das erste Vollsortiment mit mehreren tausend Produkten anzubieten. In der Schweiz verkörpern Bio 26 in Freiburg und Regio-Herz in St. Gallen den solidarischen Ansatz. In der City im Hofladen an bester Lage mieten Bauernhöfe und Familienbetriebe Regale, während sich die Betreiber um den Verkauf und die Abrechnung kümmern.

Für einen längerfristigen Erfolg dieser Vertriebsformen hält Stephan Feige, Leiter der Fachstelle Detailhandel an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), die zentrale Lage, an der die Produkte einem urbanen Publikum angeboten werden, sowie eine gute Zusammenarbeit der Betreiber für ausschlaggebend. Aber auch eine grosse Portion Engagement und Herzblut sind gefragt. Es sind regionale und Bio-Produkte, die auf diesem Weg zum Kunden gelangen. Bei regionalen Lebensmitteln sieht Feige trotz kleinen Rückgängen nach Corona einen kontinuierlich positiven Trend. Mit einem durchschnittlichen Wachstum von 9 Prozent seit 2015 werden in der Schweiz jährlich 2,4 Milliarden Franken für zertifizierte Regionalprodukte ausgegeben. Mehrmals in der Woche werden sie bevorzugt eingekauft wegen ihrer Qualität und sozialer und ethischer Aspekte, wie hohen Tierwohls und nachhaltiger Produktion.

Grace Schatz, Gründerin von Regio-Herz, beobachtet, dass die Stadtbevölkerung genau wissen möchte, woher das Produkt stammt, wer es hergestellt hat und welche Rohstoffe drin sind. Sie erfährt auch die Begeisterung, wenn sie bei «uniquen» Produkten, wie Heumilch in der Depotglasflasche, erklärt, wie die Kühe ausschliesslich mit Gras, Heu und ein paar Rüebli gefüttert werden.

Märkte stillen das Bedürfnis nach Natur

Der Trend «Meet Food» betont das emotionale Erlebnis. Hier erfahren auch Wochenmärkte und Markthallen neuen Aufschwung. «Märkte verkörpern die Essenz des Lebens in einer Stadt. Sie sind ein Spiegel für die Vielfalt der Bevölkerung, ihrer Lebensmittel und den Umgang damit», sagt Hanni Rützler, Autorin des Food-Trend-Reports. Als zentrale Orte des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Dörfern und Städten sind sie eine der ältesten Formen des Handels. Ob der Mercat de la Boqueria in Barcelona, der Nagycsarnok in Budapest, der Nishiki-Markt in Kyoto oder der Zürcher Bauernmarkt – sie alle sind jahrhundertealte Institutionen mit wichtiger kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung.

Märkte scheinen der ideale Ort, um die neue Sehnsucht der Verbraucher nach Verbundenheit zu den Ursprüngen unserer Lebensmittel, letztlich zur Natur, zu stillen. In einer zunehmend digitalisierten und fragmentierten Welt ist das Bedürfnis nach Authentizität und echtem Erleben nachvollziehbar. Auf Märkten wird über Essen diskutiert, über nachhaltige Herstellungspraktiken debattiert, Kocherfahrungen ausgetauscht, was wiederum das Selbstkochen und den sinnlichen Umgang mit frischen Zutaten inspiriert – Ausdruck echten Lebens in einer technisierten Welt.

Obwohl der Convenience-Faktor beim Einkauf in Supermärkten nicht von heute auf morgen verschwindet und auch grosse Einzelhändler den «Meet Food»-Trend aufgreifen werden, bleibt es spannend zu sehen, wie sich «Meet Food» weiterentwickelt. Vielleicht erleben wir bald, dass Bäuerinnen und Bauern direkt im Coop oder in der Migros vertreten sind oder wir selbst bei der Kartoffelernte auf dem Feld mithelfen, um eine tiefere Verbindung zu unseren Lebensmitteln zu erfahren.

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