Donnerstag, September 19

Die Umgestaltung des Hochschulquartiers ist in vollem Gang. Nach dem Unispital beginnt nun auch die Universität zu bauen.

Der Bagger ist ein metallenes Monster auf Steroiden, fast 100 Tonnen schwer, aber dort unten in der 25 Meter tiefen Baugrube wirkt er verloren wie ein Spielzeug im Sandkasten. Am Hang über der Zürcher Altstadt hat das Universitätsspital ein immenses Loch in den Fels reissen lassen. Die Halle des Hauptbahnhofs hätte viermal Platz darin. Gleich daneben folgt bald eine zweite Grube von ähnlichem Ausmass.

Zwei Löcher, in denen zwei der nobelsten Aufgaben der Stadt versorgt werden: Hochschulbildung und Spitzenmedizin.

Früher baute man dafür stolz in die Höhe. Davon zeugen die Kuppeln von Universität und ETH, eine weitherum sichtbare Stadtkrone, und die kompromisslosen Betontürme des Universitätsspitals aus den fünfziger und siebziger Jahren.

Heute ist der Zeitgeist ein anderer. Kaum hatte die Kantonsregierung 2011 entschieden, den für die Universität und das Spital dringend benötigten Platz am alten Standort zu schaffen, im Zentrum der Stadt, formierte sich Widerstand. Nicht zuletzt unter Bewohnern des Zürichbergs, die auf ihr Gewohnheitsrecht auf unverstellte Sicht pochten.

Deshalb betreiben im Zürcher Hochschulquartier die grössten Stararchitekten des Landes Tiefbau. Christ & Gantenbein fürs Unispital, das ein neues Notfallzentrum mit über 300 Betten und zwei Dutzend Operationssälen bekommt; Herzog & de Meuron für die Universität, für die sie ein neues Bildungs- und Forschungszentrum entworfen haben.

In den Untergrund ausweichen, um die Gebäudehöhe zu reduzieren: Dieser Kompromiss hat dafür gesorgt, dass es nach schleppendem Start jetzt wie im Zeitraffer vorangeht.

Die Baubewilligung für die Universität ist – wie zuvor auch jene fürs Unispital – in einem Tempo erteilt worden, von dem private Bauherren nur träumen können. Im Herbst 2023 waren die Umrisse des Neubaus ausgesteckt, fünf Monate später hiess die Stadt das Baugesuch gut, Einsprachen gab es keine einzige.

In diesen Tagen beginnt der Rückbau der heute dort stehenden Sportanlagen, ab November folgt der Aushub der Baugrube. Diese wird ähnlich spektakulär wie jene des Spitals: Unter anderem wird dort Platz für vier unterirdische Turnhallen und fünf Hörsäle geschaffen.

Körperteile verschiedener Menschen im gleichen Sarg

Ob es in diesem Tempo weitergeht, ist indes nicht sicher, denn wer tiefe Löcher gräbt, muss immer mit Überraschungen rechnen. Das weiss man schräg über die Strasse, wo das Universitätsspital mit etwa zwei Jahren Vorsprung loslegen konnte.

Da wäre zum Beispiel die Sache mit den 1500 Skeletten. Dort, wo das Spital sein neues Zentrum errichtet, befand sich einst ein Spitalfriedhof. So viel war bekannt. Doch als die Kantonsarchäologen Teile der Baustelle während mehrerer Monate in eine Grabungsstätte verwandelten, erwies sich diese als unerwartet ergiebig.

Offenbar waren im 19. Jahrhundert über mehrere Jahrzehnte fast alle verstorbenen Patienten dort bestattet worden, nicht bloss die mittellosen. Die Archäologen stiessen auch auf Särge, in denen sich die sezierten Körperteile mehrerer Menschen fanden – Überreste anatomischer Studien.

Ein Teil der Skelette wird nun erneut der Forschung dienen: Man erhofft sich medizinhistorische Erkenntnisse, indem man sie mit Totenregistern oder Patientenakten abgleicht. Die Mehrheit der Gebeine ist aber im vergangenen April auf dem Friedhof Sihlfeld ein zweites Mal beerdigt worden.

Grosse Vorsicht ist während der Bauarbeiten auch aus anderen Gründen geboten: Unmittelbar neben der Baugrube läuft der Spitalbetrieb weiter, dort befindet sich auch die Intensivstation. Da verträgt es keinen Lärm, keine Erschütterungen – und sicher auch keinen Staub.

Um zu vermeiden, dass solcher während des Abbruchs der alten Gebäude in die Zimmer eindringt, setzten die Arbeiter Schneekanonen ein, wie man sie von der Skipiste kennt. Auf der Baustelle produzieren diese statt Pulverschnee Sprühnebel. So wurden die Staubpartikel in der Luft gebunden und regneten in Tropfen zu Boden.

Wegen der Erschütterungen sind überall im Spital Sensoren angebracht. Werden die Grenzwerte überschritten, müssen auf der Baustelle sofort alle Arbeiten eingestellt werden. Um dies zu vermeiden, werden etwa Pfähle nicht wie üblich in den Boden gerammt, sondern mit einem speziellen Gerät eingeschraubt.

Das Personal wird angehört und entdeckt Fehlplanungen

Ein besonderes Risiko tiefer Gruben in Hanglage besteht darin, dass der Boden rundum in Bewegung gerät. Schon wenige Millimeter können beunruhigende Folgen haben, das zeigte sich vor wenigen Jahren, als die ETH ganz in der Nähe ein neues Laborgebäude errichten liess. Obwohl die Wand der Baugrube damals aufwendig mit Erdankern stabilisiert wurde, taten sich in den Wänden zweier höher gelegener Villen plötzlich Risse auf.

Auch in der Grube des Universitätsspitals wird der Hang mit 1100 Ankern gesichert. Dort sind es die eigenen Altbauten und die oberhalb der Grube durchführende Gloriastrasse, die sich zum Teil bedrohlich nah am Abgrund befinden. Bis auf kleine Spannungsrisse ist laut den Verantwortlichen bisher alles gutgegangen.

Dafür kam abseits der Baustelle im letzten Jahr einiges in Bewegung. Die neue Spitaldirektorin Monika Jänicke hatte in Gesprächen mit der Spitalleitung und den Klinikverantwortlichen festgestellt, dass diese bei der Planung des Neubaus nicht immer genügend involviert worden waren – und daher offene Fragen hatten.

Jänicke will unbedingt verhindern, dass für 950 Millionen Franken ein Spital gebaut wird, das Architekturpreise gewinnt, aber in der Praxis nicht überzeugt. Sie liess deshalb über sechs Monate hinweg die Betriebsabläufe und die Grundrisse noch einmal akribisch überprüfen.

Weil Baupläne schwer zu lesen sind, konnten sich die medizinischen Praktiker unter anderem mit Virtual-Reality-Brillen durch das künftige Spital bewegen. Dabei entdeckten sie tatsächlich Optimierungsbedarf. Hier war der Platz für ein Bett zu knapp bemessen, dort stand ein Gerät am falschen Ort, da waren die Wege zu weit.

Es kam aber auch zu grundsätzlichen Korrekturen: So wurden zum Beispiel die Aufenthaltsräume des Personals an den Rand des Gebäudes verlegt, wo sie Tageslicht haben. Die Überlegung dahinter: Den Patienten nützen Sonnenstrahlen wenig, wenn das Personal wegen schlechter Arbeitsbedingungen das Weite sucht.

Geht alles nach Plan, steht das neue Notfallzentrum des Unispitals bis 2028. Zwei Jahre später soll dann auch der Neubau der Universität fertig sein. Im gleichen Zug wird der Spitalpark neu gestaltet, der beide Bauten verbindet, sowie der Strassenraum.

Die Transformation des Hochschulquartiers ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Das Unispital will danach gleich weitermachen mit einem neuen Laborgebäude und einem neuen Ambulatorium. Die Kosten für die Neubauten der nächsten 30 Jahre werden zurzeit auf 2,3 Milliarden Franken geschätzt, die das Spital selbst aufbringen muss.

Andernfalls müsste verstärkt in die Altbauten investiert werden, die den Anforderungen an ein zeitgemässes Spital längst nicht mehr genügen. Der über Jahrzehnte aufgeschobene Unterhalt wird bereits heute auf rund 1,2 Milliarden Franken geschätzt. Daher lohnen sich die Investitionen in die Neubauten laut den Verantwortlichen.

Die Botschaft ist klar: Auch wenn am Hang über der Zürcher Altstadt gerade gewaltige Löcher gegraben werden, Geld verlocht wird dort nicht.

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