Mittagessen mit dem Gitarristen und Sänger der Kruger Brothers, der seit dreissig Jahren in North Carolina zu Hause ist. Der Star der Bluegrass-Szene erzählt vom Leben in den ländlichen USA, das ganz anders sei, als man es sich hier vorstelle.
Das Essen sei mit ein Grund, dass er vier Mal pro Jahr in die Schweiz reise, sagt Uwe Krüger in einem Restaurant in Zürich. In den USA, vor allem fernab der Zentren, sei es manchmal gar nicht so einfach, an gesundes Essen zu gelangen. «Wir pflanzen einiges in unserem Garten an.» Er schaut sich um. «Hier bin ich wohl der Dickste. In einem Restaurant bei uns wäre ich eher unter dem Durchschnitt.»
Die Kruger Brothers, bestehend aus dem Gitarristen Uwe Krüger, dem Banjo-Virtuosen Jens Krüger und dem Bassisten Joel Landsberg, haben einen erstaunlichen Aufstieg hinter sich. In der Schweiz schlugen sich die Brüder in jungen Jahren als Strassenmusiker und Partyband durch, in den USA gehörten sie bald zu den angesehensten Bluegrass-Formationen. Jens Krüger gilt sogar als einer der besten Banjo-Spieler überhaupt. Der Gliedstaat North Carolina ernannte die Schweizer zu Ehrenbürgern, als Anerkennung für ihre Verdienste um diese traditionelle Musik. Ihr melancholisches Lied «Carolina in the Fall» ist zu so etwas wie einer inoffizielle Hymne dieses Teilstaates geworden, der sich von der Atlantikküste bis zu den Appalachen mit ihren riesigen Wäldern ausdehnt.
Uwe und Jens Krüger haben sich in den 1990er Jahren im 4000-Seelen-Dorf Wilkesboro am Fusse der Blue Ridge Mountains niedergelassen, wo jährlich eines der grössten Bluegrass- und Folk-Musikfestivals der USA stattfindet, mit jeweils über 70 000 Besuchern. Bei den US-Präsidentschaftswahlen gehört North Carolina zu den heiss umkämpften Swing States. «In unserer sehr ländlichen Region hingegen haben aber 80 Prozent Trump die Stimme gegeben», sagt Krüger. Es sei wie überall: In den Städten werde eher links gewählt, also die Demokraten, auf dem Land die Republikaner.
Meinungsfreiheit wird anders interpretiert
Er lebe in einer Gegend, die in den europäischen Medien oft verzerrt dargestellt werde, sagt Krüger: im Kernland der Trump-Wähler, im Bible-Belt, wo der Kirchgang und das Recht auf Waffenbesitz eine zentrale Rolle spielten. Die meisten Zeitungskorrespondenten sässen in den Metropolen Washington und New York. «Auch wenn sie vor den Wahlen einmal für einige Tage aufs Land reisen, haben sie keinerlei Gefühl dafür, wie sich das Leben hier abspielt.»
Von einer Spaltung der Gesellschaft, wie sie seit der Wahl Trumps oft beschrieben wird, will Krüger nichts wissen. «Die nationale Politik spielt bei uns keine grosse Rolle.» Man sei rot, also republikanisch, weil die Familie schon immer so gewählt habe. «So wie man einer gewissen Kirche angehört.» Allein in North Carolina gebe es 175 unterschiedliche Glaubensgemeinschaften, inklusive Muslimen und Hindus. «Ich selber gehöre keiner Kirche an, und es hat auch noch nie jemand versucht, mich für seinen Glauben zu gewinnen», sagt er. Genauso sei es mit der Politik. «Meinungsfreiheit bedeutet bei uns: Man hört einander zu, versucht aber nicht unbedingt, das Gegenüber zu überzeugen.» Über ideologisch aufgeladene Themen wie Politik, Glauben oder Kindererziehung werde unter Freunden oder Bekannten oft gar nicht erst gesprochen.
Die Solidarität in der Nachbarschaft sei sehr gross, trotz oder gerade wegen des schwachen Sozialstaats. Man helfe einander, das sei gar keine Frage, weder die politische Einstellung noch die Religion spielten dabei eine Rolle. Dass man sich bei der freiwilligen Feuerwehr oder der Sanität engagiere, sei eine Selbstverständlichkeit. «Im Bible-Belt gibt es eher noch eine klare, funktionierende Sozialordnung», sagt Krüger.
Mit Doc Watson auf der Bühne
Die Familie Krüger stammt ursprünglich aus Deutschland, sie zog kurz nach Uwes Geburt in die Schweiz. Wie er und sein Bruder Jens schon als Buben zur Bluegrass-Musik gekommen sind, tönt fast schon märchenhaft. Nach dem frühen Tod der Mutter pachtete der Vater im thurgauischen Andwil ein Gasthaus, wo die beiden im Dachgeschoss eine Schallplatte des Bluegrass-Übervaters und der Gitarrenlegende Doc Watson entdeckten. «Ich hatte noch nie so schöne Musik gehört», erzählte Jens Krüger einmal in einem Dokumentarfilm. Die Aufnahme sei ihnen durch Mark und Bein gegangen. So wollten sie auch spielen können. Jahrzehnte später standen die Brüder selber mit Doc Watson auf der Bühne und pflegten bis zu dessen Tod 2012 eine enge Freundschaft.
Beim Gespräch im Restaurant strahlt Krüger eine grosse innere Zufriedenheit aus. Wenn er über Musik spricht, über Politik, über sein Leben, so ist er ganz bei sich; nie würde er über andere urteilen, sich nie über etwas beklagen, auch nicht über seine Kindheit, die durch die vielen Umzüge und den Tod der Mutter nicht einfach gewesen sei.
In der Schweiz werden die Kruger Brothers aufgrund ihrer früheren Zusammenarbeit mit Maja und Carlo Brunner in der Regel der unterhaltenden Volksmusik zugeordnet. In den USA, wo sie oft mit einem Streichquartett unterwegs sind, ist das anders. Bei ihren Aufführungen ist das Publikum so still und aufmerksam wie bei klassischen Konzerten, ihre reinen Instrumentalstücke dauern zum Teil zehn Minuten oder länger. «Von den Instrumenten her sind wir eine traditionelle Bluegrass-Formation, sonst aber von der klassischen europäischen Musiktradition geprägt», sagt Uwe Krüger. Die Stücke der Kruger Brothers haben eine sehr dichte Struktur, viele der Kompositionen sind angelehnt an die Barockmusik. Auf Youtube hat Jens Krüger auch Videos hochgeladen, auf denen er virtuos Cellosuiten von Johann Sebastian Bach auf dem Banjo interpretiert.
Letzten August hatten die Kruger Brothers ein Konzert in der legendären Grand-Ole-Opry-Konzerthalle in Nashville, der wichtigsten Institution der Country-Musik überhaupt. «Dort hatte zuvor noch nie eine Schweizer Band gespielt», sagt er, nicht ohne Stolz. «Wir bekamen lange Standing Ovations.»
Bruce Springsteen komme schlecht an
Die Wahl Trumps habe die amerikanische Musikszene dahingehend verändert, dass viel weniger internationale Bands in die USA kämen. «Trump verweigert ihnen die Einreise, so will er den Markt schützen», sagt Krüger. Man spürt, dass er Trump eher kritisch sieht, explizit Stellung beziehen will er aber nicht. «Die Menschen kommen an Konzerte, um einen Abend lang nichts mit Politik oder anderen Problemen zu tun zu haben.» Dies sei in den USA eine sehr verbreitete Haltung. «Wenn Künstler wie Bruce Springsteen sich dann trotzdem politisch äussern, kommt das sehr schlecht an.» Die einst populäre Country-Formation Dixie Chicks habe dies sogar die Karriere gekostet. «Am schlimmsten ist, wenn sich die Künstler in Europa abschätzig über die USA äussern, weil das dort von ihnen eingefordert wird.» Das gehe überhaupt nicht. «Ich ziehe ja auch nicht in den USA über die Schweiz her.»
In seiner Region, die vergleichsweise wohlhabend sei, habe sich durch die Wahl Trumps kaum etwas geändert. In anderen Landesteilen sei dies anders. Durch die ausgedehnten Tourneen kennt er die Verhältnisse sehr gut. «Schon nur zwei Gliedstaaten weiter, in Ohio, ist die Situation durch den Niedergang der Industrie katastrophal: Überall hat es Ruinen, es wirkt zum Teil apokalyptisch.» Wenn dort Sozialleistungen durch Trump weiter gekürzt würden, habe dies schwerwiegende Konsequenzen.
North Carolina dagegen sei ein Paradies. Als Motto hat sich der Gliedstaat offiziell eine Aussage des römischen Redners Cicero zu eigen gemacht, «esse quam videri», auf Englisch: «to be rather than to seem». Sein statt Schein – das werde in North Carolina tatsächlich gelebt: Die Leute machten einander nichts vor, es werde grossen Wert auf Echtheit gelegt, sagt Uwe Krüger. Und, was für europäische Ohren ziemlich befremdlich tönt: Die hohe Waffendichte sei mitverantwortlich für den friedlicheren Umgang miteinander. «Niemand bedrängt einen anderen auf der Strasse, Provokationen in einer Bar oder sonst irgendwo lässt man lieber sein, man weiss ja nie, was passieren kann, wenn jemand austickt.» Auch werde deswegen viel weniger Alkohol getrunken.
Wo das Leben besser sei, ob in der Schweiz oder in North Carolina, will er nicht sagen. Er liebe es in beiden Welten, beide hätten ihre Vor- und Nachteile. Vom Essen im Schweizer Restaurant – Krüger hat ein Rinds-Tatar verspeist – ist er jedenfalls auch dieses Mal begeistert.