Schon die alten Römer kannten den «digitus impudicus», den schamlosen Finger. Politische und religiöse Fingerzeige sorgen oft für Kontroversen. Ein Überblick.

Der Torjubel des türkischen Nationalspielers Merih Demiral am Dienstagabend in Leipzig sorgt derzeit für Aufregung. Die Uefa eröffnete am Mittwoch ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral, da er im Spiel gegen Österreich den sogenannten Wolfsgruss zeigte.

Was steckt dahinter?

Wolfsgruss

Der sogenannte Wolfsgruss wird unter türkischen Rechtsextremisten wie den Grauen Wölfen der Ülkücü-Bewegung verwendet. Dabei berühren sich Daumen, Mittel- und Ringfinger, während Zeigefinger und kleiner Finger nach oben stehen. Die Geste steht für eine grosstürkische Herrschaft, die wahlweise historische Grenzen oder auch alle Siedlungsgebiete von Turkvölkern umfasst, wie der deutsche Verfassungsschutz schreibt.

Doch auch Lehrerinnen und Lehrer nutzen das Handzeichen oft, allerdings ist damit der Schweigefuchs gemeint, der für Ruhe im Klassenzimmer sorgen soll.

Wirbel um Antonio Rüdiger

Handzeichen sind nicht immer eindeutig. Je nach kulturellem Kontext stehen sie für unterschiedliche Dinge. Manchmal werden sie von politischen Bewegungen gekapert und umgedeutet.

Erst kürzlich diskutierten Nutzer in den sozialen Netzwerken über ein Foto des deutschen Nationalspielers Antonio Rüdiger und vor allem über eine Geste, die er darauf zeigt. Rüdiger lächelt auf dem Bild und streckt den rechten Zeigefinger nach oben.

Kurz zuvor, während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, hatte bereits ein Instagram-Post Rüdigers Diskussionen ausgelöst. Das Foto zeigt ihn im weissen Gewand auf einem Gebetsteppich mit erhobener Hand und gestrecktem Zeigefinger. Unter anderen der Ex-«Bild»-Chef Julian Reichelt wollte darin eine islamistische Geste erkannt haben, die provozierend gemeint sei. Gegen die Behauptung wehrten sich der Sportler und der DFB mit rechtlichen Mitteln. Auf den offiziellen Fotos der Uefa im Nationaltrikot posieren nun einige Spieler wieder mit dem Finger – unter ihnen Rüdiger.

Tauhid

Das Zeichen ist eine typische Geste bei Muslimen und Teil eines jeden Gebets. Dabei wird die rechte Hand in die Höhe gehalten und der Zeigefinger ausgestreckt. Diese Geste symbolisiert im Islam die Einheit Gottes – im Gegensatz zur christlichen Dreifaltigkeitslehre.

In den vergangenen Jahren haben aber Jihadisten wie beispielsweise der Islamische Staat die Geste als Erkennungszeichen genutzt. Der Verfassungsschutz in Bayern schreibt, man könne eine Radikalisierung von Flüchtlingen unter anderem daran erkennen, dass diese wiederholt den Tauhid-Finger zeigten: «Aus dem islamischen tauhid-Prinzip, der Lehre von der absoluten ‹Einheit und Einzigartigkeit Gottes›, leiten Salafisten ab, dass Allah der alleinige Souverän und die Scharia das von ihm offenbarte – und daher einzig legitime – Gesetz ist. Die Demokratie lehnen Salafisten folglich als ‹unislamisch› ab.»


Sieg und Frieden: das V-Zeichen

Beim Victory- oder Peace-Zeichen bilden Zeige- und Mittelfinger ein V. Der belgische Justizminister Victor de Laveleye hatte das V (französisch: «victoire», flämisch: «vrijheid») als visuelles Zeichen gegen die Nazi-Herrschaft beworben. Richtig Fahrt nahm der Siegeszug des V-Zeichens aber nach einer BBC-Rede von Winston Churchill 1941 auf. Dort sprach der britische Premierminister mehrmals von «V for victory», um Nazi-Deutschland zu zeigen, dass die Alliierten siegen würden. Das V-Zeichen wurde zu seinem Markenzeichen, auf vielen Fotos posierte Churchill damit.

Später wurde es bei Kriegsgegnern und Hippies zum Friedenszeichen.

Beim V-Zeichen kommt es jedoch auf die richtige Haltung der Handfläche an. Das bekam der damalige amerikanische Präsident George Bush senior zu spüren, als er 1992 protestierende Bauern in Australien mit dem V-Zeichen grüsste. Doch hielt er dabei die Handfläche nach innen, was dort, wie auch in Malta oder Grossbritannien, als obszön gilt.

Unangenehm stiess das Zeichen auch auf, als es der damalige Deutsche-Bank-Chef Joe Ackermann lachend beim Auftakt zum sogenannten Mannesmann-Prozess zeigte. Die Öffentlichkeit legte ihm das als pure Arroganz der Reichen und Mächtigen aus.


Der «schamlose» Finger in der Mitte

Der sogenannte Stinkefinger ist eine obszöne Geste, bei der der Mittelfinger in die Luft gereckt wird. Der Duden definiert ihn als «hochgestreckten Mittelfinger, der einer Person – mit dem Handrücken auf sie zu – gezeigt wird, um auszudrücken, dass man sie verachtet, von ihr in Ruhe gelassen werden will». Im Englischen heisst es einfach «the finger».

Schon bei den alten Römern hatte der «digitus impudicus», der schamlose Finger, eine anstössige, sexuell konnotierte Bedeutung. Je nach Gesetzgebung erfüllt das Zeigen des Stinkefingers den Tatbestand der Beleidigung, in Deutschland fällt er unter Paragraf 185 StGB. Auch in der Schweiz kann die Beschimpfung laut Artikel 177 StGB ein Strafverfahren und eine Geldbusse nach sich ziehen.

In anderen Ländern hat der Mittelfinger jedoch eine andere Bedeutung. In der japanischen Gebärdensprache steht er für «grosser Bruder».

Andere Länder, andere Sitten: Um in Griechenland jemandem seine Verachtung auszudrücken, schleudert man die Handfläche mit gespreizten Fingern nach vorn, die «moutsa» ist der dortige Mittelfinger.


Die geballte Faust – Arbeiter, Kommunisten, Black Power

Die erhobene Hand mit geballter Faust ist zum weltweiten Symbol für den Kampf gegen Unterdrückung geworden. Verschiedene politische Bewegungen haben sich das Zeichen zu eigen gemacht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzten vor allem Gewerkschafter und Anarchisten die Hand, später auch die Kommunistische Partei und der deutsche Rote Frontkämpferbund, der sich 1926 die Faust als Teil seiner Uniform und Gruss patentieren liess. Einen Finger könne man leicht brechen, eine Faust nicht, gehörte zur Überzeugung der frühen Bewegungen. Im Spanischen Bürgerkrieg wurde das Handzeichen auch als antifaschistischer Gruss der Republikaner genommen. Die Black-Panther-Bewegung benutzte es ebenfalls. 1968, auf dem Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, machten die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos den Gruss während der Olympischen Spiele berühmt. Die 2013 gegründete «Black Lives Matter»-Bewegung (BLM) hat ebenfalls die geballte Faust zum Symbol.


«Alles okay» oder doch «white power»?

Eigentlich symbolisierten der Daumen und der Zeigefinger, die zu einem O geformt sind, über Jahrzehnte bloss, dass alles okay ist, oder drückten ein Einverständnis aus. Doch 2017 kündigte ein anonymer User auf der Onlineplattform 4chan die «Operation O-KKK» an und rief andere Mitglieder auf, Twitter und andere Websites mit der Behauptung zu überschwemmen, dass das Okay-Handzeichen ein Symbol der weissen Vorherrschaft sei. Eine Grafik illustrierte gereckte Finger, die für W und P, «white power», stünden. Was als Scherz begann, wurde von Neonazis und anderen White Supremacists aufgegriffen. 2019 fügte die jüdische Bürgerrechtsbewegung Anti-Defamation League ihrer Datenbank «Hate on Display» das Zeichen hinzu, da es mittlerweile im Netz mit weisser Vorherrschaft assoziiert werde.

In Frankreich und manchen südeuropäischen Ländern wird das Zeichen auch einfach als obszöne Geste oder Beleidigung – jemand ist eine Null oder wertlos – aufgefasst.


Das Herz steht international für Liebe

Bislang recht unverfänglich und positiv konnotiert ist das Formen eines Herzens mit den Daumen und Zeigefingern. Die Geste symbolisiert Liebe und eine innige Beziehung und sendet positive Signale aus.

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