Montag, Oktober 7

Längst hätte der Syrer Issa al-Hasan ausgeschafft sein sollen. Doch man traf ihn nicht zu Hause an, dann verstrich die Frist für die Überstellung. Der Fall steht stellvertretend für viele andere.

Eigentlich hätte der 26-jährige Attentäter von Solingen längst nicht mehr in Deutschland sein sollen. Die Behörden wollten ihn abschieben, einmal standen Beamte sogar vor der Tür seiner Unterkunft in Paderborn, um ihn abzuholen. Doch sie trafen ihn nicht an, und anschliessend versandete die Sache.

Was hier im Einzelnen schiefging, steht exemplarisch für die Schwächen des deutschen Asylsystems, das es Gefährdern sehr leicht macht, sich einer Ausschaffung zu entziehen.

Bevor Issa al-Hasan 2022 nach Deutschland kam, reiste er in Bulgarien ein. Dort betrat er erstmals europäischen Boden und wurde behördlich registriert. Bulgarien wäre also nach dem Dublin-System zuständig für ihn gewesen. Doch man liess ihn weiterziehen. In Deutschland beantragte der Mann Asyl, was abschlägig beschieden wurde.

Nach dem ersten gescheiterten Versuch, ihn nach Bulgarien abzuschieben, hätten die Beamten es weiter versuchen können. Doch stattdessen habe die Ausländerbehörde «nichts weiter unternommen», zitiert die «Welt» Sicherheitskreise.

Hätten die Beamten es weiter versucht und ihn abermals nicht angetroffen, wäre er womöglich als untergetaucht oder als flüchtig eingetragen worden. Die Behörde hätte dann 18 statt nur sechs Monate Zeit gehabt, um al-Hasan ausfindig zu machen und nach Bulgarien auszuschaffen. Nach Angaben der «Welt» hatte Bulgarien der Ausschaffung von Issa al-Hasan aus Deutschland bereits seine Zustimmung gegeben. Warum die Behörden von diesem Instrument keinen Gebrauch machten, ist bis jetzt unbekannt. Waren sie mit dem Fall überfordert?

Al-Hasan wartete jedenfalls die vorgeschriebenen sechs Monate ab – und meldete sich erst dann wieder bei der Behörde. Woher wusste er, dass er nach sechs Monaten nicht mehr ausgeschafft werden kann? Die «Bild» nennt den Verdacht, der Mann könne anwaltlich beraten oder vom Flüchtlingsrat über die Fristen informiert worden sein.

Das ist zumindest plausibel, denn in Deutschland beraten zahlreiche Nichtregierungsorganisationen oder Vereine wie Pro Asyl Flüchtlinge dabei, wie sie ihrer Ausschaffung entgehen können.

Vier Tage nachdem die Frist ausgelaufen war, zog al-Hasan demnach seine Klage gegen die Überstellung nach Bulgarien zurück. Damit war die Zuständigkeit für den Asylantrag des Syrers nun auf Deutschland übergegangen.

Die Ausländerbehörde teilte al-Hasan einer Gemeinschaftsunterkunft in Solingen zu. Er erhielt in Deutschland subsidiären Schutz, der ihn vor der Ausschaffung in seine Heimat bewahrt. Das Attentat am Freitagabend beging er in nur wenigen hundert Metern Entfernung von seinem Wohnort.

Deutschland erlebt seit 2016 Anschläge von Asylbewerbern

Damit reiht sich die Tat von Solingen in eine Reihe islamistischer Anschläge von Asylbewerbern ein, die Deutschland seit mehreren Jahren heimsuchen. Eines der ersten Attentate, die das Land erschütterten, war ein Messerangriff im Juli 2016. Der Afghane Riaz Khan Ahmadzai verletzte in einer Regionalbahn bei Würzburg fünf Menschen mit einem Beil und einem Messer, vier davon schwer.

Ein Jahr zuvor war er ohne Dokumente über Ungarn nach Deutschland gekommen. Eigentlich wäre Ungarn zuständig gewesen für den Asylantrag des Mannes. Offenbar hinderte ihn aber niemand an der Weiterreise. Er wurde durchgewinkt wie viele andere.

Im Dezember 2016 schliesslich steuerte der abgelehnte tunesische Asylbewerber Anis Amri einen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. 13 Menschen starben, 67 wurden schwer verletzt. Amri floh in der Tatnacht nach Italien und kam anschliessend bei einem Schusswechsel mit italienischen Polizisten ums Leben.

Später kam heraus, dass er in Deutschland mit insgesamt 14 falschen Identitäten hantiert und zuvor in Italien gelebt hatte. Mehrfach scheiterte seine Abschiebung. Doch hätte er sich gar nicht erst in Deutschland aufhalten dürfen, nach dem Dublin-System war Italien zuständig.

Das letzte aufsehenerregende islamistische Attentat ereignete sich im Mai in Mannheim. Der Afghane Sulaiman Ataee erstach den Polizisten Rouven Laur und verletzte den Islamkritiker Michael Stürzenberger schwer.

Noch als Minderjähriger stellte er 2013 einen Asylantrag in Deutschland, der allerdings abgelehnt wurde. Dennoch blieb er in Deutschland. Zuerst beschloss das deutsche Parlament einen Ausschaffungsstopp nach Afghanistan, dann erhielt Ataee eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Der Mann hatte zuvor mit einer deutschen Frau ein Kind gezeugt, das die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und für das er das Sorgerecht trug.

Olaf Scholz kündigt seit Monaten mehr Ausschaffungen an

In Reaktion auf den Anschlag in Mannheim erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun, abgelehnte Asylbewerber auch nach Syrien und Afghanistan ausschaffen zu wollen. «Jede und jeder in unserem Land muss ohne Furcht vor seinen Mitmenschen leben können», sagte er damals in seiner Regierungserklärung. Dieses «zentrale Versprechen unseres Rechtsstaats setzen wir mit aller Macht durch». Am Montag, zwei Tage nach dem Anschlag in Solingen, bekräftigte der Bundeskanzler sein Versprechen: «Wir werden alles dafür tun müssen, dass diejenigen, die hier in Deutschland nicht bleiben können und dürfen, auch zurückgeführt und abgeschoben werden.»

Der Grossteil der abgelehnten Asylbewerber dürfte aber weiter im Land bleiben. Von den im Jahr 2024 rund 242 000 ausreisepflichtigen Menschen in Deutschland verfügen rund 119 000 über eine Duldung, etwa in Form des subsidiären Schutzes. Und mit Syrien und Afghanistan, die die ausgeschafften Asylbewerber aufnehmen müssten, unterhält Deutschland bis heute keine diplomatischen Beziehungen. Ob sich also an der Lage substanziell etwas ändern wird, ist offen.

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