Samstag, Oktober 5
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Restaurantbesuch

Wer als Restaurantkunde glaubt, dass Speisekarten einfach nur nach der Tageslaune des Küchenchefs geschrieben werden, liegt zumeist falsch. Anordnung und Preisgestaltung, aber auch der Verkauf am Tisch folgen etablierten Regeln mit dem Ziel der Umsatzsteigerung.

In manchen Restaurants gibt es keine Wahlmöglichkeiten – da muss der Gast halt nehmen, was auf den Tisch kommt. Was es kostet, erfährt er vorab, was es gibt, spätestens dann, wenn der Teller vor ihm steht. Doch das sind Ausnahmen. Die allermeisten gastronomischen Betriebe der Schweiz und der restlichen Welt machen sich Gedanken darüber, wie viele Positionen sie anbieten, wie sie ihre Kreationen beschreiben und wie sie den Kunden zumindest ein bisschen irritieren können.

Alles nur, damit der Gast am Schluss so viel Geld ausgibt, dass das Restaurant gut davon leben kann; wenn der Kunde dann noch etwas mehr ausgibt, als er ursprünglich wollte, sind fast alle glücklich. Höchst legitime Ziele, solange nicht mit falschen Versprechungen gearbeitet wird.

Doch bisweilen geben die Besucher der Gastronomie erheblich mehr aus, als sie eigentlich wollten, fühlen sich nach dem Bezahlen der Rechnung oder am nächsten Tag über den Tisch gezogen. Derlei Katerstimmung lässt sich vermeiden, wenn man vorher stets gut aufpasst und ein paar gastronomische Spezialkniffe kennt.

1. Die Platzierung der Speisen ist eine Wissenschaft für sich

Bei der klassischen Speisekarte von früher – Pappeinband, zwei Seiten – war die Sache einfacher, aber das Prinzip gibt es bei jedem Menu. Europäer lesen von links nach rechts, fangen also bei einer zweiseitigen, aufgeklappten Karte oben links an und lesen sich nach unten rechts durch.

Studien haben ergeben, dass die Augen oben rechts am längsten hängenbleiben, weshalb dort oft die Umsatzbringer mit der besten Gewinnspanne und/oder die teuersten Gerichte platziert werden. Bei mehrseitigen Karten wird es komplizierter: Da blättern die Gäste mit zunehmender Unaufmerksamkeit weiter, um zum Schluss doch wieder auf die erste Seite zurückzukommen.

2. Farben und Rahmen – die Augen bestellen mit

Speisen, die der Gastronom am liebsten verkauft, weil der Wareneinsatz im Vergleich zum durchsetzbaren Preis niedrig ist, werden oft nicht nur richtig positioniert, sondern zusätzlich mit Symbolen, Worten oder farblich markiert. Auch wenn es nicht immer jene sind, die der Gast möchte, fühlt sich dieser automatisch zu den fettgedruckten oder mit besonders vielen Worten beschriebenen Spezialitäten hingezogen und nimmt die lapidarer oder gar nicht gelobten Alternativen weniger wahr.

Zum Teil führen Restaurants auch Speisen, deren Bestellung gar nicht so gern gesehen wird, weil sie aus politischen Gründen auf der Karte stehen, aber nur eine geringe Gewinnspanne erlauben. Manche Sterneköche etwa glauben, dass die Tester beleidigt wären, wenn kein Steinbutt verfügbar sei, und kaufen den teuren Fisch zähneknirschend ein, wollen ihn aber nur ja nicht allzu oft verkaufen.

3. Gute Stimmung von Anfang an und ein bisschen Ablenkung

Wer gut gelaunt ist, bestellt mehr und teurer. Und wie könnte man die Laune schneller verbessern als mit ein paar essbaren Gratishäppchen vorab? Wer die geniesst, nimmt Einfluss aufs eigene Unterbewusstsein, entwickelt automatisch Dankbarkeit und bestellt statistisch gesehen mehr und/oder teurer, als er eigentlich wollte. Auch die richtige Musik und die passenden Düfte tragen zur Ermunterung bei, allerdings schöpfen erst wenige Gastronomen das Potenzial der emotionalen Beeinflussung aus – anders als die mit allen Wassern gewaschenen Supermarktbetreiber.

4. Der Trick mit den Portionsgrössen

Die meisten Gäste schätzen erstens ihren Appetit falsch ein und sind immer hin- und hergerissen, wenn Speisen in zwei unterschiedlichen Mengen angeboten werden. Dass Frauen eher die kleinere, Männer eher die grössere Variante nehmen, ohne überhaupt die Grösse des angebotenen Steaks oder Fisches zu kennen, ist belegt.

Kaum ein Gastronom schreibt übrigens noch von halben Portionen, denn die würden suggerieren, dass auch der Preis die Hälfte betrüge – oft sind die kleineren Mengen jedoch nur ein Viertel günstiger. Vielleicht also doch lieber die grosse Portion nehmen und teilen? (Die kleine Menge Fritto misto, gerade im «Marguita» bestellt, war übrigens völlig ausreichend.)

5. Drei Wahlmöglichkeiten führen zum mittleren Ziel

Wer seine Kunden gezielt auf eine gewünschte Bestellung leiten möchte, gibt ihnen freilich nicht zwei, sondern drei Auswahlmöglichkeiten. Bei Menus kommt so was öfter vor – und je nachdem, ob die Preise der Alternativen eng beisammenliegen oder weit auseinander, ist die Steuerungswirkung enorm: Eine grosse Mehrheit nimmt dann das mittlere Menu.

Ähnlich ist es bei den Weinbegleitungen. Im vergangenen Jahr war ich im Wiener Ein-Stern-Restaurant «Pramerl & the Wolf» essen, wo gleich drei unterschiedlich teure Getränkepairings offeriert wurden. Das billigste war kaum, das teuerste dagegen ausführlichst beschrieben. Da brauchte es selbst bei mir starken Willen, um mich nicht zum Hochpreisigen verführen zu lassen. (Das gewählte günstige Pairing war dann trotzdem sehr gelungen.)

6. Die Preisgestaltung folgt klaren Regeln

Sie haben nie auf die Schreibweise der Preise geachtet? Selbst schuld! In den Ziffern verbirgt sich eine Menge an Psychologie und Trickserei – alles ganz legal. Besonders klein geschriebene Zahlen werden als weniger bedrohlich wahrgenommen als sehr gross geschriebene, und die krummen 24 Franken 90 klingen für den untrainierten Kunden um einiges sympathischer als die schnöden 25.

Wenn zwischen Speisetitel und Preisangabe noch eine ausführliche Beschreibung des Gerichtes geschaltet ist, wird die Verknüpfung mit dem Preis reduziert. Und ein paar ganz findige Gastronomen schreiben nicht «34» sondern «Vierunddreissig» oder «VIERUNDDREISSIG» und verwirren damit das Gastgehirn noch mehr; die Preise nach Gewicht anzugeben, hat einen ähnlichen Effekt. Ein paar sehr teure Gerichte auf der Karte lassen übrigens die «nur» teuren fast günstig erscheinen.

7. Vorsicht bei Ja- oder Nein-Fragen

Nur unerfahrene Kellnerinnen und Kellner fragen, ob man Wasser haben möchte oder nicht, ein Dessert oder lieber keines. Standard ist eher die Formulierung «Wasser mit Gas oder ohne?». Der Kunde ist überrumpelt und bestellt fast automatisch auch dann Wasser, wenn er anderswo schon ein paar Liter konsumiert hat. Und wer traut sich schon, bei mündlich annoncierten und wärmstens angepriesenen Gerichten nach dem Preis zu fragen? Kaum jemand. Gastronomen wissen das.

8. Den Rechnungsschock mildern liegt im Interesse des Wirtes

Zahlen muss am Ende fast jeder. Doch als Wirt kann man noch vor dem Aushändigen der Rechnung für gute Stimmung sorgen. Ein Grappa aufs Haus? Ein paar Pralinés zum Mitnehmen, in der Schachtel überreicht, ein Besuch des Küchenchefs am Tisch: All das suggeriert Wertschätzung. Folglich fällt der Schock weniger heftig aus.

Was das Trinkgeld angeht: Auch hier kann das Restaurant gezielt Einfluss nehmen. In einem deutschen Restaurant fragte mich neulich das Kreditkartengerät beim Bezahlen automatisch, ob ich 10, 15 oder 20 Prozent Trinkgeld geben wolle. Hier die mittlere, für hiesige Verhältnise unüblich hohe Zahl abzuwählen, kostete mich ein, zwei Sekunden der Überwindung, aber viele Gäste dürften erst mal auf die 15 tippen und sich erst ärgern, wenn der Bezahlvorgang abgeschlossen ist.

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