Montag, September 30

In einem Dorf in Bosnien-Herzegowina soll jeden Tag die Jungfrau Maria erscheinen. Die katholischen Gläubigen kommen in Scharen, auch aus der Schweiz. Doch die Kirche ist gespalten. Jetzt kommt’s zur Annäherung.

Der bosnische Pilgerort Medjugorje spaltet die katholische Kirche seit mehr als vier Jahrzehnten. Dort, mitten in der Steinwüste der Herzegowina, soll sich am 24. Juni 1981 Übernatürliches ereignet haben.

An jenem Tag soll die Jungfrau Maria einer Gruppe von sechs Jugendlichen auf einem Hügel erschienen sein, als weisse Gestalt mit einem Kind im Arm. Seither empfangen diese sechs Personen Botschaften von Maria – die einen täglich, die anderen jährlich. Eine der Seherinnen gibt jeden Monat eine der Botschaften weiter – an die Gläubigen, die seit Jahren in Scharen nach Medjugorje pilgern.

Die Marienerscheinungen haben sich für Medjurgorje tatsächlich als Segen erwiesen. Das kleine Dorf entwickelte sich in den vergangenen vierzig Jahren zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte für Katholiken. Über eine Million Gläubige pilgern jedes Jahr dorthin. Sie reisen aus der ganzen Welt an, um kniend vor der Marienstatue zu beten und deren Erscheinungen zu erleben. Für die Gläubigen ist die Jungfrau nicht sichtbar. Sie hören die Botschaften, die in über dreissig Sprachen übersetzt werden, über Lautsprecher.

«Maria ist keine Postbotin»

Der Vatikan tat sich im Umgang mit den Phänomenen in Medjugorje lange schwer. Was soll er auch tun, wenn in einem kleinen Dorf plötzlich die Jungfrau Maria erscheint?

Und so entbrannte über den Wallfahrtsort eine innerkirchliche Debatte, die seit Jahrzehnten Bestand hat. Geschieht in Medjugorje ein Wunder? Oder ein heiliger Betrug?

Der Vatikan belegte Pilgerfahrten nach Medjugorje zeitweise mit einem Verbot. Er schickte mehrmals päpstliche Kommissionen und aposto­lische Visitationen nach Medjugorje. Die meisten kamen mit dem gleichen Fazit zurück: Die angeblichen Marienerscheinungen seien nicht glaubwürdig. Und Papst Franziskus selbst sagte kurz nach seiner Wahl im Jahr 2013: «Maria ist keine Postbotin oder Chefin eines Telegrafenamtes, die jeden Tag Nachrichten schickt.»

Doch nun hat sich der Vatikan dem wachsenden Einfluss der Pilgerstätte gebeugt. Vergangene Woche hat der Papst gesprochen. Es sei an der Zeit, die lange und komplexe Geschichte rund um die geistlichen Phänomene von Medjugorje abzuschliessen. Der Vatikan anerkennt den Pilgerort kirchenamtlich und erlässt ein «nihil obstat». Damit erlaubt er die Marienverehrungen und stuft Pilgerfahrten nach Medjugorje als unbedenklich ein.

Doch die grosse Frage bleibt: Was macht diesen Pilgerort, über den sich die Katholiken seit Jahrzehnten streiten, so besonders?

Die «vielen positiven Früchte»

Adelbert Imboden aus Brig im Wallis ist einer von vielen Schweizer Anbietern, die Pilgerfahrten nach Medjugorje organisieren. Er fährt sechs bis acht Mal pro Jahr zum Wallfahrtsort – und das seit 26 Jahren. Für ihn bestätigt der jüngste Entscheid aus Rom seine Überzeugung. Medjugorje hebe sich von anderen Pilgerorten ab, sagt er. «Hier wird echter Glaube gelebt.» Für Imboden ist klar: Was in Medjugorje passiert, ist echt. «So viele seelische und körperliche Reinigungen wie in Medjugorje habe ich noch in keiner anderen Pilgerstätte erlebt.»

Imboden berichtet von bekehrten Personen, die ihm nach einer Reise schreiben würden, sie hätten ihr Leben radikal umgestellt und seien nun «völlig andere Menschen». Von zerstrittenen Eheleuten, die nach dem Besuch des Wallfahrtsortes wieder eine «gute, christliche» Ehe führten. Und von jungen Leuten, die in Medjugorje ihre Priesterberufung gefunden hätten. Imboden spricht von den «vielen positiven Früchten», von denen auch in der Heiligen Schrift zu lesen sei.

Auch der Vatikan hebt in seiner Mitteilung diese «schönen Früchte» hervor: In Medjugorje würden Menschen bekehrt, Leute würden intensiv beten und in ihrem Glauben bestärkt.

So weit, so christlich. Aber die Sache ist komplizierter.

Bei den angeblichen Marienerscheinungen drückt sich der Vatikan verhalten aus. Eine Anerkennung verweigert er weiterhin. Der Vatikan sagt aber auch nicht, dass die Erscheinungen unecht seien. Vielmehr schweigt er in der Mitteilung dazu und überlässt es den Gläubigen, für sich zu entscheiden, ob an diesem Ort die Jungfrau regelmässig erscheint und Botschaften abgibt – oder eben nicht.

So lässt sich zwischen den Zeilen sehr deutlich lesen, dass Medjugorje in Rom umstritten bleibt. Der Vatikan warnt die Gläubigen in seiner Mitteilung explizit vor Manipulation, vor Wahrsagern und Scharlatanen vor Ort. Die Berichte der Seher werden teilweise kritisiert. Bestimmte Botschaften würden Widersprüche aufweisen oder im Zusammenhang mit den Interessen der Seher stehen.

Anschuldigungen dieser Art gibt es seit vielen Jahren. In verschiedenen Medienberichten wurde in den vergangenen Jahren immer wieder geschrieben, dass die Seher von den Wallfahrten wirtschaftlich profitierten. Ein päpstlicher Gesandter berichtete gar, dass die italienische Mafia mitmische.

Ein Ort, der von seinen Erscheinungen lebt

Klar ist hingegen, dass die Marienerscheinungen in Medjugorje längst zum lukrativen Geschäft geworden sind. Das gesamte Dorf lebt davon, und die Menschen sind zu Wohlstand gelangt. Es gibt Hotels, Restaurants, Souvenirshops, eigene TV- und Radiostationen. Medjugorje sei ein Geschenk Gottes, heisst es in einem Werbefilm, der nur so von wundersamen Berichten strotzt.

Bei den Gläubigen prallt die Kritik ab. Adelbert Imboden hat keine Zweifel an der Echtheit der Botschaften. «Maria sagt darin nichts Neues, sondern lediglich das, was uns die Kirche schon immer gelehrt hat.» Mit kritischen Worten müsse er sich seit 26 Jahren auseinandersetzen. Einige Priester in der Schweiz sagen ihm, dass die Jungfrau Maria auch in der Heimat existiere und man auch hier in die Kirche und zum Gebet gehen könne, Medjurgorje brauche es dafür nicht. «Das ist zwar alles richtig», sagt Imboden, «doch wer geht bei uns noch jeden Tag in die Kirche?» In Medjurgorje hingegen werde der Glaube tagtäglich gelebt.

Adelbert Imboden stellt sich auch gegen den Vorwurf, dass die Seher sich wirtschaftlich bereicherten. Darauf, was die Seher privat machten, gebe er nichts. «Sie sind Menschen wie wir und keine Heiligen.» Dass sie mit ihren Visionen Geld verdienten, sei der Lauf der Zeit und habe nichts mit der Kirche und Medjugorje zu tun. «Würde ich das kritisieren, würde es mich von meinem katholischen Weg abbringen», sagt Imboden. Und sowieso: Medjugorje habe in all den Jahren vor allem durch Spenden prosperiert.

Kommen nun die Touristen?

Adelbert Imboden gibt eher zu bedenken, was der jüngste Beschluss des Vatikans mit dem Dorf machen könnte. Er fürchtet, dass Medjugorje nun weltlicher wird und sich in eine Attraktion für Touristen transformiert, die den Ort in den Ferien für einen Tagesausflug besuchen. «Eine solche Entwicklung ist kein schöner Gedanke, aber dies wird kaum zu verhindern sein.»

Imboden reist bereits im Oktober wieder nach Bosnien – diesmal mit einer Gruppe von 75 Personen. Eine Pilgerschaft aus Deutschland werde er zusätzlich begleiten. An seinen Aufgaben ändere sich aufgrund der Gruppengrösse aber nichts. «Als Pilgerleiter muss ich sie ans Ziel bringen. Die Mutter Gottes hilft dabei.»

Und die hat in Medjugorje, man weiss es, schon manches Wunder vollbracht.

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