Freitag, Oktober 4

Überlegen, abwägen, vergleichen, planen – das macht man im Alltag schon genug. Bei der Erholungssuche zeichnet sich ein neuer Trend ab: Ferienangebote, bei denen das gesamte Programm bereits steht.

Der Tag im «Zen Rocks Mani» beginnt in der Morgendämmerung mit einer Meditation: 45 Minuten in völliger Ruhe, Augen geschlossen, Gesicht gegen die Wand gewendet, in unbequemem Lotus-Sitz. Danach darf man sich ausruhen und seine schmerzenden Beine strecken oder mit Vivi Letsou, Inhaberin des griechischen Yoga-Retreats, und ihren Hunden spazieren gehen – über steinige Trampelpfade, zwischen knorrigen Olivenbäumen, fast immer mit schönster Aussicht aufs Meer. Um 9 Uhr beginnt die erste Yogastunde des Tages, danach gibt es einen üppigen Brunch mit griechischem Salat, Spanakopita (Spinatkuchen), Avocadobrot, Ofengemüse, Suppe sowie frisch gepressten Säften und Wildkräutertee.

Ein gutes Dutzend Gäste, angereist aus Kalifornien, sitzt auf der Café-Terrasse. Erst ein paar Tage zuvor hatte Vivi Letsou sie höchstpersönlich mit einem Minibus am Flughafen in Athen abgeholt und nach Mani gefahren, dem schönsten und wildesten Finger des Peloponnes, wo ihr Retreat in völliger Einsamkeit auf einem Hügel thront.

«Später fahren wir ins Dorf an die Küste», verkündet sie in die Runde, «jeder kann ein bisschen shoppen oder Kaffee trinken, bevor wir weiter an einen Strand fahren. Okay?» – «Great», sagt Christine Welch, eine Zahnärztin aus San Francisco. Wie alle anderen aus der Gruppe ist sie erwachsen und macht einen patenten, selbstbewussten und eigenständigen Eindruck. Trotzdem folgt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, dem vorgeschlagenen Tagesablauf von Vivi Letsou.

Yoga statt Kopfzerbrechen

Jeder Tag ist gleich und doch immer etwas anders – es ist mal der eine, mal der andere Strand, mal ein Vortrag oder die Besichtigung von Kalamata, der hübschen, nächstgrösseren Ortschaft. Manchmal gibt es am Abend eine musikalische Überraschung, manchmal steht ein Gastkoch am Herd. Am Ende des zehntägigen Retreats sind alle erholt und tiefenentspannt. Kein Wunder: jeden Tag Yoga, schönstes Wetter, gute Küche und null Kopfzerbrechen. Falls es je ein Problem gibt, waren es andere, die es lösen mussten.

Trotzdem fragt man sich: Warum wählen heute sogar junge Menschen eine ganz oder teilweise vorgefertigte Reise? Ein Rundum-sorglos-Programm, in dem die möglicherweise vorhandene Zeit für eigene Unternehmungen nur selten genutzt wird?

«Wenn ich alleine in die Ferien fahre, vor allem an einen Ort, den ich nicht kenne, freue ich mich über ein paar bereits feststehende Aktivitäten und über die Gesellschaft von Gleichgesinnten», erklärt Lisa Moser, Anwältin aus Zürich. Auf Bali buchte sie sich in das «Cari-Surf-Camp» ein und hatte so auf einen Schlag eine schöne Unterkunft, sportliche Betätigung und eine Surfer-Community, von der sie annahm, dass sie genauso partyfreudig sein würde wie sie selbst. «Wie und wo hätte ich das alleine auf die Schnelle finden sollen?», fragt sie. Dabei spielt es keine Rolle, ob man nach Bali oder auf die Balearen fliegt – wer keine fünf Wochen Ferien hat und davor auch nicht die Zeit, sich detailgenau zu informieren und zu organisieren, bucht ein attraktives Päckchen.

Nur nicht dort landen, wo alle anderen sind

Eine Generation früher wäre das ein No-Go gewesen. Man fuhr los und fand sich zurecht. Organisierte Reisen waren etwas für diejenigen, die das nicht auf die Reihe brachten. Für spiessige, phantasielose, unselbständige oder ängstliche Menschen, die nicht in der Lage waren, einen günstigen Flug oder eine nette Bar zu finden. Man beobachtete mit Unverständnis und Mitleid, wie diese Reisenden alle zusammen in ein Restaurant gingen, in dem vermutlich schon weitere Touristen sassen. Denn das Letzte, was man wollte, war dort zu landen, wo alle anderen waren. In jenen Zeiten des maximalen Individualismus machte jeder seine Reise genau so, wie es ihm gefiel. Wenn dabei etwas schiefging – Pech gehabt. Dafür gab es eine Story zu erzählen.

«Spätestens seit der Covid-Pandemie sehen wir bei unseren Kunden ein erhöhtes Beratungs- und Sicherheitsbedürfnis», sagt Muriel Wolf Landau, Head of Communications der Hotelplan Group, «auch junge Leute gehen ins Reisebüro, lassen sich von einem Experten beraten und nehmen gerne professionelle Unterstützung in Anspruch, auch, damit sich bei unvorhergesehenen Ereignissen jemand um sie kümmert.»

Nicht besonders spannend, aber erholsam

Kein Zweifel: Im klapprigen Mietwagen durch Marokko zu kurven, immer wieder nach einer akzeptablen Unterkunft und einem vertrauenswürdigen Restaurant zu suchen, ist weniger erholsam als zwei Wochen «all inclusive» in einem netten Hotel am Mittelmeer. Oder als ein Tauchkurs auf den Malediven. Nicht besonders spannend vielleicht, aber ist das Leben nicht sonst schon «spannend» genug?

Was spricht gegen sorglose Erholung? Muss man sich in den Ferien durch Museen quälen? Im gänzlich touristenfreien (weil unattraktiven) Viertel einer Metropole nach dem letzten, bisher nicht von Tripadvisor entdeckten Restaurant suchen? Wo es doch im «Zen Rocks Mani» jeden Abend vegetarische Köstlichkeiten gibt? Und im Surf-Camp das balinesische Barbecue?

Nur für abenteuersüchtige Extremreisende ist jede Form von «pauschal» keine Option, weil jede ihrer Reisen einzigartig sein soll. Sie trekken durch Afghanistan, tauchen nach den Überresten der «Titanic» oder lassen sich irgendwo in der Wüste aussetzen und schauen, wie sie da wieder hinauskommen. Ferien sind dann keine angenehme Auszeit, sondern eine abenteuerliche Grenzerfahrung. Für manche mag die Erkundung des Unbekannten der ultimative Ferien-Kick sein. Für die meisten ist es aber nur anstrengend, riskant und kostspielig. Dann doch lieber eine geführte Kunstreise nach Paris – mit ein paar guten, im Voraus gebuchten Bistros.

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