2024 war ein Jahr voller Krisen. Wie bleibt man hoffnungsvoll? Eine Begegnung mit einer Komikerin und einer Katholikin.
Kriege, Naturkatastrophen, Regierungs- und Wirtschaftskrisen, eine zunehmend polarisierte Gesellschaft. In diesem Jahr folgte eine schlechte Nachricht der nächsten. Zum Jahresende stellt sich die Frage: Was bleibt?
Lara Stoll, 37 Jahre alt, ist eine Schweizer Lyrikerin und Komikerin, sie schreibt Texte, steht auf Bühnen und bringt Menschen zum Lachen. Simone Curau-Aepli, 63 Jahre alt, ist die Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds, sie ist Feministin und setzt sich für die Gleichberechtigung in der Kirche ein.
Stoll und Curau-Aepli stehen beide in der Öffentlichkeit. Beide Frauen sind in ihrer täglichen Arbeit auf ihre Weise mit den Krisen unserer Zeit konfrontiert. Ein Gespräch über Hoffnung in schwierigen Zeiten.
Lara Stoll, Simone Curau, die Weltlage ist düster. Was macht das mit Ihnen?
Lara Stoll: Es macht mich traurig. Wir leben mit so vielen Kriegen und Konflikten. Wie kann es sein, dass die Gesellschaft aufgeklärter ist denn je, aber sich Empathie und Frieden trotzdem nicht durchsetzen. All die Nachrichten machen psychisch etwas mit uns. Wer sich dem entziehen will, den verstehe ich völlig.
Simone Curau: Ich kenne Menschen, die von den Kriegen direkt betroffen sind, das beschäftigt mich sehr. Eine Arbeitskollegin im Frauenbund kommt aus Libanon, sie hat im Krieg Familienangehörige verloren. Und auch die Polarisierung beschäftigt mich, diese Spaltung der Gesellschaft in rechts und links, gut und böse.
Würden Sie sich trotzdem als hoffnungsvolle Menschen bezeichnen?
Stoll: Letzten Endes ist Hoffnung das, was uns bleibt. Ich empfinde Hoffnung als etwas Lustvolles und wahnsinnig Menschliches. Wir schaffen es weiterzumachen, auch wenn wir alles verloren haben. Trotzdem tendieren wir, mich eingeschlossen, oft dazu, uns im Negativen zu suhlen. Und wenn ich ehrlich bin, zehre ich, vor allem künstlerisch, auch eher von negativen Emotionen wie Ärger und Wut. Sie geben mir Antrieb. Es ist gut für meine Arbeit, wenn ich «hässig» bin. Diesen Emotionen gebe ich viel Raum.
Curau: Da unterscheiden wir uns grundsätzlich. Ich bin ein hoffnungsvoller Mensch. Und ich versuche, die hoffnungsvollen Momente abzuspeichern.
Stoll: Wie machst du das?
Curau: Ich versuche, mich an positive Momente zu erinnern. Ich speichere sie in meinem Körper ab und baue mentale Stapel. In den schwierigen Momenten kann ich davon zehren. Und Dankbarkeit ist für mich wichtig. Sie hilft mir, auf das Gute zu hoffen, das noch kommt. Dieser bewusst gewählte Optimismus trägt mich im Alltag.
Die Klimaaktivistin Greta Thunberg hat 2019 bei ihrer Rede am WEF in Davos gesagt: «Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Furcht fühlt, die ich jeden Tag fühle. Und dann will ich, dass ihr handelt.» Hält uns die Hoffnung vom Handeln ab?
Curau: Hoffen reicht nicht, damit wir handeln. Ich glaube, es gibt vor allem zwei Dinge, die einen zum Handeln antreiben: Angst oder Liebe. Ich befürchte aber, dass Thunberg recht hat und die Angst für die Menschen der grössere Antrieb ist. Ich wünschte, es wäre anders. Aus Angst zu handeln, engt ein. Und es richtet oft Schaden an, etwa durch Übergriffe oder Gewalt. Aus Liebe zu handeln, weitet hingegen Herz und Sinne.
Stoll: Viele Leute müssen wohl erst das Schlimmste befürchten, um den «Finger aus dem Füdli» zu nehmen. Das geht mir manchmal auch so.
Gibt es Momente, in denen Sie ohne Hoffnung sind?
Stoll: Ich denke manchmal: In fünf Milliarden Jahren explodiert die Sonne. Dann ist eh alles egal. Beziehungsweise: Das eigene Drama scheint dann weniger wichtig.
Sie weichen aus.
Stoll: Ich will nicht sagen, alles sei hoffnungslos. Gefühle wie Wut, Ärger oder Angst erlebe ich einfach intensiver. Meine Wut ist dadurch auch etwas Positives, sie weckt die Lust, etwas zu tun.
Curau: Ich bin nie hoffnungslos. Wir müssen ausbaden, was frühere Generationen verursacht haben. Aber wir können die Dinge jetzt besser machen. Wir können vieles gestalten.
Frau Curau, was denken Sie zur Theorie, dass die Sonne in fünf Milliarden Jahren explodiert?
Stoll: Pardon, ich muss präzisieren: Sie explodiert nicht, sie wird ein Riese und verschlingt alle Planeten.
Curau: Mich beunruhigt mehr, wie es meinen Enkelkindern geht, wenn sie alt sind. Das ist mir näher.
Simone Curau-Aepli sagt: «Aus Angst zu handeln, engt ein. Und es richtet oft Schaden an, etwa durch Übergriffe oder Gewalt.» – Lara Stoll sagt: «Viele Leute müssen wohl erst das Schlimmste befürchten, um den «Finger aus dem Füdli» zu nehmen».
Frau Curau, Sie sind eine Feministin. Sie setzen sich für die «Ehe für alle» ein und kämpfen für Gleichberechtigung in der katholischen Kirche, einer Institution, die geprägt ist von Männern und Hierarchie. Was motiviert Sie?
Curau: Ich mache, was ich kann. Die katholische Kirche existiert seit Hunderten von Jahren, ich bin ein winziger Teil. Ich merke aber, dass ich als Feministin in dieser Institution Veränderung anregen kann. Das treibt mich an. Die Kirche ist eine Institution, die immer noch römisch-monarchistisch, patriarchal und hierarchisch geprägt ist. Sie implodiert immer wieder, etwa durch die Missbrauchsfälle. Diese Erschütterungen verursachen wenigstens, dass diese dicken Mauern bröckeln. Ich rüttle mit, zusammen mit Verbündeten weltweit.
Stoll: Es ist nur doof, dass so ein Scheiss passieren muss, dass sich in der Kirche etwas ändert.
Curau: Als Frau habe ich in einer Institution wie der Kirche zwei Möglichkeiten: drinbleiben und versuchen, etwas zu ändern. Oder aufgeben und alles den Männern überlassen. Es gibt Frauen, die in Iran oder Afghanistan Veränderungen anstossen. Sie riskieren viel mehr als ich. Ich bin als Schweizerin in einer privilegierten Situation. Mein Mann und ich haben unsere Firma verkauft, für den Frauenbund arbeite ich ehrenamtlich. Und ich kann direkt zum Bischof gehen, mit ihm reden, ja gar laut sein.
Woran merken Sie, dass Sie etwas verändern können?
Curau: Der Katholische Frauenbund hat sich beim grossen Frauenstreik 2019 eingebracht. Unser Slogan hiess «Gleichberechtigung. Punkt. Amen.». Wir forderten, dass die Frauen in der Kirche endlich dieselben Rechte haben wie die Männer. Es begann an der Delegiertenversammlung des Frauenbunds. Frauen sind in pinkfarbenen Stiefeln und pinkfarbenen Bischofsmützen in den Saal marschiert und haben Gleichberechtigung gefordert. Der Bischof sass im Saal. Er gestand mir später, er habe den Raum verlassen wollen. Aber die Frauen versperrten ihm den Weg. Und dann haben wir über die Diskriminierung der Frauen in der Kirche diskutiert.
Wie reagierte der Bischof?
Curau: Dass wir als katholische Frauen uns am Frauenstreik engagierten, war etwas Neues und eine riesige Provokation. Doch die Aktion löste beim Bischof etwas aus. Die Frauen, die Veränderung forderten, waren seine Verbündeten. Frauen, die er schätzte. Er ermöglichte danach ein Treffen der Frauen mit den Bischöfen und lancierte eine Diskussion zur Frauenfrage in der Kirche.
Ist Ihr Glaube im Jahr 2024 erschüttert worden?
Curau: Glauben ist ein grosses Wort. Ich glaube an die göttliche Weisheit, aber nicht an einen männlichen, allmächtigen Gott. Und natürlich gibt es Momente, die meinen Glauben erschüttern, aber nie so stark, dass ich ihn aufgeben würde. Mir helfen die vielen Verbündeten, im Verband und im persönlichen Umfeld. Mein Glaube nährt sich auch von meinem Aktivismus – ich kann etwas tun.
Lara Stoll, sind Sie gläubig?
Stoll: Ich bin nicht gläubig in einem religiösen Sinn. Gott kann für mich auch Energie bedeuten. Sagen wir, ich glaube an das Universum.
Curau: Als positive Kraft?
Stoll: Ja. Obwohl ich ein schwieriges Jahr hinter mir habe. Ich habe zwei Menschen, die mir nahestanden, verloren. Da stellt man sich grosse Fragen über Schicksal und Sinn des Lebens. Ich habe im vergangenen Jahr eine neue Schmerzgrenze erreicht und weiss jetzt, was ich aushalten kann. Das macht mich als Mensch erfahrener und stellt Ärger und Frust in eine andere Perspektive.
Curau: Glauben hat mit Zweifeln zu tun. Solche Verluste werfen einen völlig aus der Bahn.
Stoll: Man könnte denken, dass Menschen, die an einen christlichen Gott glauben, beim Verlust eines Kindes aufhören zu glauben. Aber das tun sie nicht. Sie nehmen es an, es ist der Lauf des Lebens. Zumindest bis die Sonne explodiert!
Lara Stoll, was treibt Sie an?
Stoll: Ich bin gut darin, meine Ärgernisse in Positives zu verwandeln, in irgendeinen Blödsinn, über den die Menschen lachen. Das ist das Beste an meinem Job.
Glauben Sie, dass Ihre Kunst die Menschen hoffnungsvoll stimmt?
Stoll: Wer meine Show besucht, kann die Probleme der Welt einmal draussen lassen. Und sich stattdessen um meine Probleme kümmern!
Ihre eigene Misere macht andere hoffnungsvoll – klingt gut.
Stoll: Im Ernst: Es ist reine Unterhaltung. Ob das hoffnungsvoll macht, weiss ich nicht. Aber Humor kann helfen zu verarbeiten. In einem alten Programm erzählte ich von einem Erlebnis, da hatte ich eine Pizza nach Hause bestellt, und sie kam einfach nicht. Ich wurde wütend. Irgendwann merkte ich, dass ich selbst schuld war. Ich hatte online bestellt, aber die Pizzeria war geschlossen. Ich habe gelitten und gejammert, während ich eine Arte-Dokumentation über die Unterjochung von amerikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohner schaute. Das ist grotesk und erbärmlich. Aber über so etwas können die Leute lachen, weil sie diese Situationen kennen.
Curau: Dafür bewundere ich dich, Lara. Ich bin so nüchtern, überlege zu viel. Mein Vater war ein sehr ironischer Mensch, das hat mich als Kind verunsichert. Ich verstand ihn nicht. Ich wünschte, ich könnte Menschen zum Lachen bringen. Aber das liegt mir nicht.
Stoll: Ein kleiner Tipp: Man kann fast alles sagen, wenn man es trocken genug sagt.
Curau: Das ist hohe Schule, was du machst. Es darf nicht plump daherkommen, sonst laufen die Leute davon.
Stoll: Es ist ein Grat. Ich muss Themen finden, die altersübergreifend und über den Stadt-Land-Graben hinaus funktionieren.
Lara Stoll, viele reagieren auf die Weltlage mit Zynismus. Sie auch?
Stoll: Die Frage ist, wie man auf schlechte Nachrichten reagiert. Mit Zynismus oder Humor? Wenn ein Krieg ausbricht, stockt mir der Atem, und ich will nicht lustig sein. Aber wenn Trump gewählt wird, darf man zynisch sein.
Sollte man über die aktuelle Weltlage überhaupt Witze machen?
Stoll: Über Putin, ja. Aber nicht über die Verbrechen, die er begeht.
Curau: Und über die Opfer nur mit Respekt. Das erfahrene Leid verträgt keinen Zynismus, es verlangt Mitgefühl.
Es gibt Komikerinnen und Komiker, die Witze über die Missbrauchsfälle in der Kirche machen. Geht das zu weit?
Curau: Missbrauch ist grauenhaft. Und damit meine ich nicht nur sexuellen Missbrauch, sondern auch Machtmissbrauch, geistigen Missbrauch. Das passiert nicht nur in der Kirche, sondern im Turnverein, in Firmen, in staatlichen Institutionen. Überall, wo es Abhängigkeitsverhältnisse gibt, besteht die Gefahr von Missbrauch. Darüber darf man sich lustig machen. Die deutsche Komikerin Caroline Kebekus macht das grossartig. Sie benennt das Thema mit ihrem trockenen Humor, ihrer Satire, «fadegrad».
2013 drehte Kebekus ein Video, in dem sie als Nonne verkleidet rappt. Es geht um die Kirche, Gott und Jesus. Sie rappt: «Er ist meine Bank, nur für ihn zieh ich blank». Sie hebt vor dem gekreuzigten Jesus ihren Rock und leckt ein Kruzifix ab. Der deutsche Sender WDR hat den Beitrag gelöscht.
Stoll: Darum geht es doch: Sie provoziert, um an Machtverhältnissen zu rütteln.
Curau: Komik ist Kebekus’ Waffe, um auf systemische Ursachen von Missbrauch in der katholischen Kirche zu reagieren.
Stoll: Man muss die Thematik ernst nehmen, sich auf Augenhöhe bewegen. Dann kann man es humoristisch verarbeiten.
Curau: Ich liebe auch Karikaturen über die katholische Kirche. Ich habe 2019 selbst eine machen lassen.
Wie sah die aus?
Curau: Unser Logo zum Frauenstreik war ein pinkfarbener Punkt. Es erinnerte mich an die roten Käppchen der Kardinäle. Auf der Karikatur sieht man, dass Frauen den Kardinälen pinkfarbene Mützen abnehmen und in die Luft werfen. Die einen Kardinäle sind irritiert und finden es gar nicht lustig. Die anderen fühlen sich befreit und machen mit.
Sie exponieren sich in einer sehr konservativen Welt. Ernten Sie dafür viel Kritik oder Hass?
Curau: Ich erhalte viele Rückmeldungen, aber die positiven überwiegen. Es melden sich auch Leute bei mir und sagen: Also wenn du katholisch bist, trete ich wieder in die Kirche ein.
Wie ist es bei Ihnen, Lara Stoll?
Stoll: Ich erhalte viele Nachrichten auf Social Media und ab und zu einen schrägen Brief. Ich versuche, das alles fernzuhalten. Aber ich frage mich schon, woher diese Gehässigkeit kommt. So kontrovers bin ich nicht. Und ich merke: Je mehr ich mich exponiere, desto mehr bin ich all dem ausgesetzt, gerade als Frau. Wenn ich nächstes Jahr mein neues Programm bewerben muss, werde ich mich exponieren müssen. Dann zieh ich das dicke Mäntelchen an.
Frau Curau, als im September die Politikerin Sanija Ameti ein Bild veröffentlichte, auf dem sie auf ein Bild von Maria mit dem Jesuskind schoss, löste das heftige Reaktionen aus. Ameti verlor ihren Job und ihr Amt in der GLP. Online wurde sie masslos beschimpft, von allen Seiten. Dann rief just der Katholische Frauenbund zur Besonnenheit auf. Wie haben Sie diese Tage in Erinnerung?
Curau: Wir waren fassungslos über die Tat. Aber die Reaktionen waren zu heftig. Ameti wurde von allen fallengelassen. Und Menschen im Netz haben die Tat instrumentalisiert, sogar AfD-Politiker reagierten mit Hass. Die Dimensionen des Shitstorms waren nicht mehr steuerbar.
Sie schrieben unter anderem: «Wir können nachvollziehen, dass viele Menschen über die symbolische Gewalt der Schüsse auf Maria und Jesus verletzt sind. Aber Menschen machen Fehler. Als Christinnen und Christen sind wir dazu aufgerufen, zu vergeben, anstatt Hass zu schüren.»
Stoll: Ich fand die Reaktion des Frauenbunds super! Es war ein mächtiges Statement. Das hat die Stimmung beruhigt.
Curau: Und dennoch gab es weitere Reaktionen, dank den Boulevardmedien wusste man irgendwann, wo Ameti wohnt und vieles mehr. Dann war ich in der Sendung «Club» von SRF. Bis heute beschäftigt mich, dass die dort anwesende Kommunikationsfachfrau sagte, eine Frau in der Politik dürfe sich nicht entschuldigen. Weder ein Andreas Glarner noch ein Donald Trump würden sich entschuldigen. Deshalb seien sie noch im Amt. Das war die Argumentation. Das finde ich unsäglich. Sich aufrichtig zu entschuldigen, ist eine Tugend, macht aber verletzlich. Ich wünschte mir eine Kultur in Gesellschaft und Politik, in der Fehler eingestanden werden können und echte Vergebung und Versöhnung möglich sind. Das wäre hoffnungsvoll.
Sie beide stehen in der Öffentlichkeit und verarbeiten auf Ihre Art und Weise, was in der Welt passiert. Verbindet Sie das?
Curau: Ich glaube schon.
Stoll: Ganz ehrlich, ich muss Geld verdienen. Dass ich persönlich ständig so erzürnt bin und ich meinen Job zu einem Ventil machen kann, ist einfach ein grosses Glück. Simone ist für ihre Aktivität viel mehr zu bewundern.
Curau: Ich bewundere dafür die Art, wie du auf der Bühne stehst. Du bist in Kontakt mit dem Publikum, du bewegst direkt etwas. Du kannst von negativen Erlebnissen erzählen und sie in etwas Positives übersetzen. Je länger ich darüber nachdenke, gefällt mir, dass du Wut als Antrieb bezeichnest. Wut ist eine wahnsinnig starke Emotion. Und du bist damit alleine auf der Bühne. Das ist beeindruckend.