Sonntag, September 8

Der Spanier überrascht mit Leverkusen in der Bundesliga und alle schwärmen von ihm. Wie hat er das gemacht?

Es gibt Menschen, die wussten schon länger, was in Xabi Alonso steckt. Karl-Heinz Rummenigge, ehedem der Vorstandschef der Bayern, hatte vor fünf Jahren eine präzise Vorstellung davon, was aus dem einstigen Bayern-Profi Xabi Alonso einmal werden könnte. Alonso sei einer der «klügsten und besten Strategen», den er je bei Bayern im Mittelfeld gesehen habe. «Meiner Meinung nach müssen wir uns bemühen, dass er irgendwann nach München zurückkehrt», sagte Rummenigge. Was der Vorstandschef seinerzeit nicht verriet: Die Bayern hätten ihn schon 2017, als er seine Spielerkarriere beendete, gern als Sportdirektor übernommen – doch Alonso favorisierte die Trainerlaufbahn.

Offenbar aus gutem Grund, wie die Ergebnisse in Leverkusen zeigen. Nach anderthalb Jahren Trainertätigkeit im Rheinland hat er Fussball-Deutschland für sich eingenommen. Die Tabelle führt Leverkusen an, kommende Woche empfängt das Team die Bayern. «Kein Klub strahlt heller als die Werkself», fabulierte die «Süddeutsche Zeitung». Und der «Spiegel» titelte: «Der Mann, der Leverkusen (und die Bundesliga) verzaubert». Der letzte Trainer, der Gegner wie Fans derart zu begeistern verstand, war Jürgen Klopp mit seinen Dortmundern.

Der Eindruck ist tadellos

Dabei ist es nicht bloss die Anmutung des Leverkusener Spiels, die beeindruckt. Es ist vor allem die Aussicht, Ungeheuerliches zu erreichen. Die allererste Meisterschaft zu gewinnen mit jenem Klub, der sich des häufigen Scheiterns wegen den Beinamen «Vizekusen» eingehandelt hat.

Was ist aber dran an Xabi Alonso? Rein optisch bietet er schon einmal keine Kritikpunkte. Sein Auftritt ist tadellos. Obwohl: Manchmal, an diesen kalten Winterwochenenden, macht sich der eine oder andere Sorgen um ihn. Denn Xabi Alonso trägt keine dicke Daunenjacke, um der Kälte an der Seitenlinie zu trotzen, sondern einen eleganten Mantel, der nicht einmal bis zu den Knien reicht.

Dabei kann er die Garderobe jederzeit wechseln, ohne an Ausstrahlung zu verlieren. Und er tut es gern. Schlüpft der Coach in Trainingskleidung, gibt es nicht selten Anschauungsunterricht für seine Eleven.

Es sind Lektionen, von denen selbst Routiniers lernen können. Keiner preist die Qualitäten des Basken lauter als Granit Xhaka, Leverkusens Leader. Von der Erfahrung des Trainers könnten nicht bloss junge Profis profitieren, selbst einer wie er, mit mehr als 500 Pflichtspielen, verbessere sich noch: «Ich habe das Gefühl, dass ich hier in Leverkusen in dieser Beziehung nochmals einen Schritt vorwärtsgemacht habe. Er gibt uns mit kleinen Details mit, was aus einem guten Mittelfeldspieler einen Topmittelfeldspieler macht», sagte Xhaka der «NZZ am Sonntag». Fit bis in die Haarspitzen sei der Coach ausserdem, Kilometer um Kilometer spule er ab auf dem Trainingsplatz mit seinen Spielern, kaum einer fühle sich nicht angesprochen.

Xhakas Lobpreisung ist inhaltlich ziemlich deckungsgleich mit derjenigen des einstigen Bayern-Chefs Rummenigge, der in einem «Bild»-Podcast einmal erklärte: «Xabi Alonso hat diese Empathie, die du brauchst. Speziell bei der heutigen Spielergeneration, um mit ihnen so einen roten Faden zu spinnen.» Man kann also sagen: Je höher das Niveau eines Fussballers, desto grösser ist die Hochachtung, die er Xabi Alonso entgegenbringt.

Er hat viele Optionen

Kann es da verwundern, dass die grösste Sorge der Leverkusener diejenige ist, dass er den Klub nach der Saison verlassen könnte? Er ist der Mann, den alle wollen. Wobei er selber wählerisch sein dürfte bei der Wahl der Karrierestation. Jene drei Weltklubs, in denen er erfolgreich spielte, dürfen sich Hoffnungen machen: der FC Liverpool, Bayern München und Real Madrid.

Bewegung gibt es an allen Orten. In Liverpool wird zum Saisonende die Stelle der Klub-Ikone Jürgen Klopp frei. In München würde wohl niemand allzu hohe Wetten darauf annehmen, dass Thomas Tuchel die Bayern über das Saisonende hinaus trainieren wird. Carlo Ancelotti hat bei Real Madrid zwar um ein weiteres Jahr verlängert, doch ein Arrangement in der spanischen Hauptstadt ist niemals eines für die Ewigkeit.

Liverpool würde sicher passen. Ein Klub voller Fussballgeschichte, nicht ganz so überhitzt wie München oder Madrid, zudem ein Milieu, in dem der Trainer beim ersten Gegenwind nicht sofort infrage gestellt wird. Aber die Nachfolge von Jürgen Klopp anzutreten wäre eine gewaltige Bürde.

Es würde aber genauso gut zu seiner bisherigen Karriere passen, wenn er noch ein Jahr in Leverkusen verweilen würde. Erstmals als Trainer und nicht als Spieler in der Champions League aufzutreten, ist gewiss eine verlockende Herausforderung.

Es wäre eine logische Entscheidung. Schliesslich hat Xabi Alonso seine Karriere als Trainer sehr sorgfältig aufgebaut. Über die C-Junioren Real Madrids und den Heimklub San Sebastián führte ihn der Weg nach Leverkusen, wo er als Nachfolger von Gerardo Seoane nicht allzu viel zu verlieren hatte, mit einem Kader von dieser Qualität nun aber allerhand gewinnen kann.

Seriosität zeichnete ihn auch als Profi aus. In Liverpool reifte der Baske zum Weltklassespieler, er galt als der verlängerte Arm seines Trainers Rafael Benítez. Sein grösster Auftritt war derjenige im Jahr 2005, als er mit seinem Tor zum 3:3, einem im Nachschuss verwandelten Elfmeter, gegen AC Milan die Verlängerung erzwang. Es war der spektakulärste Champions-League-Final überhaupt. Liverpool siegte im Penaltyschiessen.

2009 wechselte er zu Real Madrid. Dort wurde er zur festen Grösse im spanischen Nationalteam, weil Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque auf einen Kompromiss setzte und sowohl die Fraktion aus der Hauptstadt wie diejenige des FC Barcelona zufriedenstellen wollte, das damals tonangebende Klubteam unter dem Coach Pep Guardiola.

Del Bosque liess Xabi Alonso und den mindestens ebenbürtigen Sergio Busquets aus Barcelona gemeinsam auflaufen – obschon es eigentlich nur einen von ihnen gebraucht hätte. Den besten Fussball spielte Spanien aber nicht unter del Bosque, sondern unter dessen Vorgänger Luis Aragonés. Als dieser 2008 an der EM mit dem Tiki-Taka-Stil die Fussballwelt verblüffte, sicherte ein naturalisierter Brasilianer namens Marcos Senna das Mittelfeld ab. Für Alonso, obschon bereits Champions-League-Sieger, war kein Platz.

Die Entscheidung, Liverpool zugunsten Reals zu verlassen, spiegelt jene Fähigkeit, die ihn auch auf dem Fussballfeld auszeichnete: Alonso wusste stets, zu welcher Zeit er an welchem Ort sein musste. Und gerade ist es eben Leverkusen, wo die Erwartungen an ihn nicht so hoch waren, als dass er sie nicht hätte übertreffen können.

Von den Besten gelernt

Wer über Xabi Alonso spricht, der muss auch über seine Trainer reden. In Liverpool hatte er die Gelegenheit, mit dem pragmatischen Rafael Benítez zusammenzuarbeiten. In Madrid lernte er unter Carlo Ancelotti, wie ein Kader bei Laune zu halten ist. Vicente del Bosque strahlte Zoll für Zoll Integrität aus. Und bei den Bayern erlebte er mit Pep Guardiola den letzten Taktik-Erneuerer von Format.

Im Prinzip war sein Wechsel zu den Bayern, wo Guardiola wirkte, der erste Schritt zum Trainer-Dasein. Alonso, eine Galionsfigur Reals, heuerte an bei seinem einstmals härtesten Rivalen. Alonso erklärte seinem früheren Liverpooler Mitspieler Jamie Carragher einmal in einem Gespräch, Guardiola habe ihm eine weitere Perspektive auf den Fussball eröffnet.

So wirkt Alonsos Arbeit in Leverkusen bisher wie ein Destillat seiner gesammelten Anschauungen: Die positiven Eigenschaften seiner Trainer und Mentoren scheint er einzubringen, die schlechten dagegen beiseite zu lassen: die mitunter spröde Art von Rafael Benítez, die mitunter allzu grosse Nonchalance Ancelottis, das Strebertum Guardiolas, dessen Wille zum ganz grossen Wurf seine Mannschaften in grossen Spielen oft eher hemmte als beflügelte.

Xabi Alonsos Ideen indes verfangen bis jetzt blendend. Und sollte er tatsächlich den ersten Titel nach Leverkusen holen, wäre die Dankbarkeit gewiss so gross, dass sie ihm einen Abschied im Sommer nicht einmal verübeln würden.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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