Ungarns Regierung heisst nicht nur chinesische Investitionen im grossen Stil willkommen, sondern lässt sogar Polizisten aus China im Land patrouillieren. Kritiker befürchten Spionage.
Als Ungarns Regierungschef Viktor Orban 2010 wieder an die Macht kam, verkündete er schon bald die «Öffnung nach Osten» als neue Strategie. Bereits zuvor hatte er noch als Oppositionspolitiker bei einer Reise nach Peking erklärt, sein Land hisse zwar eine westliche Flagge, aber in der Weltwirtschaft blase der Wind aus dem Osten. Die Segel müssten entsprechend gesetzt werden.
Seine Regierung tat dies in den vergangenen vierzehn Jahren konsequent. Ungarn gilt nicht nur als trojanisches Pferd Russlands in der EU, sondern ist auch für China der wichtigste Partner. Als einziger Regierungschef eines Mitgliedstaats reiste Orban im letzten Oktober zum Gipfel des Infrastrukturprojekts neue Seidenstrasse nach China. Der Staats- und Parteichef Xi Jinping bezeichnete ihn dort als Freund.
Ungarn rollt Investoren aus China den roten Teppich aus
Es ist deshalb logisch, dass Xi sich auf seiner ersten Europareise seit fünf Jahren revanchierte und nach Frankreich und Serbien auch Ungarn besuchte. Das Land war 2015 gemeinsam mit Rumänien auch das erste in Europa, das ein Abkommen zur Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Seidenstrasse abschloss. Eines der prestigeträchtigsten, aber immer wieder verzögerten Projekte der gesamten Initiative ist die Bahnverbindung zwischen Budapest und Belgrad, über die dereinst Güter vom chinesisch kontrollierten Hafen von Athen nach Mittel- und Osteuropa gelangen sollen. Eine Fertigstellung ist nun bis 2026 geplant.
Im vergangenen Jahr kamen bereits zum zweiten Mal nach 2020 die meisten ausländischen Direktinvestitionen in Ungarn aus China. Das Land rollt den Chinesen den roten Teppich aus, wie der China-Experte Tamas Matura von der Corvinus-Universität in Budapest gegenüber der Agentur AP sagte. Sie erhalten Steuererleichterungen, Subventionen und Unterstützung im Umgang mit den Behörden.
Für Ungarn zahlt sich das aus: Bei Debrecen baut der chinesische Konzern CATL derzeit für umgerechnet rund 7 Milliarden Franken eine Batteriefabrik, Huawei betreibt in Ungarn die grösste Produktionsanlage ausserhalb Chinas, und der Elektroautohersteller BYD kündigte im Dezember den Bau des ersten Werks in Europa an, das in Szeged entstehen soll. Ungarn werde so zu einem Vorreiter bei der technologischen Revolution in der Automobilindustrie, erklärte Aussenminister Peter Szijjarto diese Woche.
Xis Besuch in Ungarn diente vor allem einem weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, 18 Abkommen wurden unterzeichnet. Zudem vereinbarten die beiden Länder eine «umfassende strategische Partnerschaft», wie Orban und Xi in einer gemeinsamen Erklärung bekanntgaben. Für Ungarn ist das umso wichtiger, weil Brüssel wegen des Streits um Korruption und Rechtsstaatlichkeit EU-Gelder im Umfang von insgesamt 20 Milliarden Euro blockiert hat. Zudem laufen die Ausgaben aus dem Ruder, die Regierung sah sich deshalb jüngst gezwungen, das Defizitziel nach oben zu korrigieren und Investitionen zu verschieben.
Es sei in Ungarns Interesse, so viele chinesische Unternehmen wie möglich anzuziehen, sagte Kanzleramtsminister Gergely Gulyas am Donnerstag. Damit verhält sich die Regierung indes einmal mehr konträr zum Kurs der EU, die ihre Politik gegenüber dem immer autoritäreren Regime in Peking verschärft hat und wirtschaftspolitische Abhängigkeit reduzieren will. Kritiker sehen Ungarn deshalb als Einfallstor Chinas für die EU – zumal dessen Einfluss weit über die Wirtschaft hinausgeht. Budapest blockiert oder verwässert auch regelmässig chinakritische Erklärungen der EU, vor drei Jahren etwa mehrere zur Situation in Hongkong.
Einig ist man sich darüber hinaus in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: Ungarn unterstützt den von China vor gut einem Jahr vorgelegten «Friedensplan», der Kiew zu einem Waffenstillstand zwingen soll. Budapest zeichnet den Westen gern als kriegstreiberisch und sieht sich selbst im «Friedenslager», in dem Peking einer der wichtigsten Akteure ist, wie Szijjarto vor Xis Besuch erklärte. Dass das kommunistische Regime Moskaus Rüstungsindustrie mit Gütern beliefert und die westliche Sanktionspolitik unterwandert, erwähnte der Aussenminister nicht.
Kritiker befürchten Spionage durch chinesische Polizisten
Vor dem Hintergrund der verschärften geopolitischen Rivalität für besonderes Aufsehen sorgte zudem, dass die Regierung Orban mit China im Februar ein Sicherheitsabkommen schloss, das chinesischen Polizisten künftig Patrouillen in Ungarn erlaubt. Offiziell geht es darum, dass die Beamten chinesischen Touristen helfen und den ungarischen Kollegen als Übersetzer dienen sollen. Das Innenministerium betonte auch, die Chinesen hätten kaum Befugnisse, dürften keine Waffen tragen und nur gemeinsam mit ungarischen Polizisten patrouillieren. Ungarische Beamte unterstützten ihre Kollegen im Sommer auch an der kroatischen Küste, während österreichische Polizisten wiederum am Balaton im Einsatz seien.
Oppositionspolitiker befürchten jedoch Spionage und eine Überwachung der chinesischen Diaspora in Ungarn. Es gibt regelmässig Berichte über Druck auf Regimekritiker im Ausland, die vom chinesischen Sicherheitsapparat zuweilen sogar zur Rückkehr genötigt werden. Erst kürzlich veröffentlichte die spanische NGO Safeguard Defenders einen Bericht, laut dem in den vergangenen Jahren 283 chinesische Staatsbürger aus 56 Ländern zwangsweise in ihre Heimat zurückgebracht wurden.
Safeguard Defenders hatte schon vor gut einem Jahr enthüllt, dass das Regime über 100 geheime Polizeiposten in 53 Ländern betreibt – am meisten in Italien, das 2015 auch ein Abkommen mit China für gemeinsame Patrouillen abgeschlossen hatte. Ähnliche Vereinbarungen gingen auch Kroatien (2018) und Serbien (2019) ein.
Ungarn ist also diesbezüglich kein Einzelfall. Das Ausmass der Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Regime geht für ein EU- und Nato-Land aber sehr weit, während sich das Verhältnis zwischen Rom und Peking unter der Regierung Meloni abgekühlt hat. Orban hingegen sieht den Westen im Niedergang, wie er immer wieder betont. Er setzt deshalb nach wie vor auf den Osten.