Samstag, Oktober 5

Die konjunkturellen Belebungsmassnahmen der chinesischen Regierung beflügeln den Aktienmarkt. Die Investoren haben wieder einmal Angst, etwas zu verpassen.

Die Party bei chinesischen Aktien geht weiter. Die Börsen auf dem chinesischen Festland waren die vergangenen Tage wegen nationaler Feierlichkeiten zur «Goldenen Woche» zwar geschlossen. Trotzdem ging es für Fonds, die in China-Aktien investieren, weiter steil bergauf. Indexfonds, die den Landesindex MSCI China abbilden, haben in der abgelaufenen Woche rund einen Fünftel an Wert gewonnen.

Die Stimmung gegenüber China-Aktien ist überschwänglich, und die China-Fonds sind ein Ausdruck davon. Sie investieren in chinesische Unternehmen, die offshore, also an der Börse in Hongkong oder an einer US-Börse über einen Hinterlegungsschein (ADR), kotiert sind. Ausländische Investoren wollen den Anschluss nicht verpassen und kaufen weiter Aktien mit China-Bezug.

Dabei wäre eine Konsolidierung angebracht. Der breit angelegte China-Index der Börse Schanghai, der CSI 300, hat in der letzten Septemberwoche bereits um einen Viertel zugelegt. Dabei hat er die Kursverluste der letzten Monate innert kürzester Zeit wettgemacht. Auch auf Sicht von zwölf Monaten verzeichnen China-Aktien nun eine positive Performance von fast 10 Prozent. Der Hang-Seng-Index in Hongkong hat ebenfalls stark zugelegt und hat im letzten Monat 30 Prozent gewonnen. Über diesen engagieren sich ausländische Investoren gerne im chinesischen Aktienmarkt.

Stimmungsumschwung trotz Konjunktursorgen

Der Stimmungsumschwung ist bemerkenswert. Nach der Pandemie galt für viele Anleger das Akronym ABC: «Anything but China» – Alles, nur nicht China. Nun gilt ebenfalls ABC, aber anders ausgeschrieben: «All in, buy China», also alles aufs Spiel setzen, China kaufen. «Im Gegensatz zu früheren Börsenausschlägen hat sich die Stimmung bei den Anlegern bezüglich China deutlich aufgehellt», sagt Jeffrey Hochegger, Anlagestratege bei Raiffeisen.

Der chinesische Aktienmarkt hat schon früher versucht, sich aufzubäumen. So kam es Ende 2022 zu einer Gegenbewegung, die sich aber bald als Strohfeuer erwies. Auch in diesem Jahr kam es bereits zu einem ersten Rally, das von Mitte Januar bis Mitte Mai anhielt. Dabei ist das gegenwärtige Marktumfeld nicht gerade zuträglich für Investitionen in risikoreiche Anlagen wie chinesische Aktien: Der Nahe Osten steht vor der totalen Eskalation. Der doch noch gestiegene Ölpreis trübt die konjunkturellen Aussichten ein.

Auch der chinesischen Wirtschaft geht es nicht gut. Das Wachstum verlangsamt sich stetig, und die deflationären Tendenzen nehmen zu. Der wichtige Immobiliensektor befindet sich seit 2021 in einer Abwärtsspirale. Staatliche Eingriffe haben es bisher nicht geschafft, den Teufelskreis zu durchbrechen.

Doch die von Chinas politischer Führung diesmal angekündigten Stimulierungsmassnahmen sind umfassend. Die chinesische Zentralbank hat wichtige Leitzinsen gesenkt und Mindestreservesätze für Banken stärker reduziert als erwartet. Auch die Hypothekarzinsen sollen noch in diesem Monat gesenkt werden. Flankiert werden diese Eingriffe von steuerlichen Stimuli und weiteren «durchsetzungsstarken» Massnahmen, um den Immobilienmarkt zu stützen.

Stimulus-Paket ist keine «Bazooka»

Gemäss Ali Masarwah, Geschäftsführer der Investment-Plattform Envestor, dürften die tieferen Zinsen sicherlich helfen. Doch er betont, dass es sich fiskalpolitisch erst um Ankündigungen handle. «Der Umfang der Massnahmen ist unklar», sagt er. Doch immerhin sei der Ernst der Lage bis zum Politbüro durchgedrungen. Im Gegensatz zu Ende 2022 seien die Ankündigungen der chinesischen Führung genug glaubhaft. «Es gilt nicht nur das Prinzip Hoffnung.»

Auch ohne die konkreten Eckwerte der Stimulus-Pläne zu kennen, glauben Ökonomen der Bank Safra Sarasin, dass die angekündigten Massnahmen das kurzfristige Wachstum Chinas stabilisieren werden. Sie seien aber nicht genug, um die wirtschaftliche Dynamik schnell wiederherzustellen oder die Korrektur auf dem Immobilienmarkt zu stoppen. Selbst das fiskalische Stimulus-Paket über 2 Billionen Renminbi sei im historischen Vergleich keine «Bazooka». Letztlich wäre ein viel grösseres Paket mit dauerhaft angelegten Sozialtransfers wirksamer, glauben sie.

Doch die Aktienmärkte setzen die Ambitionen Pekings und ihre erfolgreiche Umsetzung derzeit gleich. «Die Investoren haben Angst, etwas zu verpassen», sagt Hochegger. Viele seien seit der Immobilienkrise bei China-Aktien untergewichtet. Durch das Ausgleichen dieses Untergewichts fliesse viel Kapital in chinesische Titel.

Nicht nur die ausländischen Investoren wenden sich wieder China zu, auch an der heimischen Börse tut sich etwas. Gemäss Ali Masarwah kehren chinesische Retail-Anleger an den Aktienmarkt zurück. Das lasse sich mitunter an der stark gestiegenen Anzahl Downloads von Aktien-Trading-Apps ablesen. Das Engagement chinesischer Kleinanleger an der Börse wurde indessen in der Vergangenheit von Beobachtern oft skeptisch kommentiert und als Zeichen der Übertreibung gesehen.

Vorsicht bei neuen Engagements in China-Aktien

Doch ist es jetzt noch sinnvoll, in chinesische Aktien zu investieren? Hochegger weist darauf hin, dass die chinesischen Börsen noch Mitte September ein Fünfjahrestief markierten. «Bei solch starken Gegenbewegungen ist grundsätzlich Vorsicht geboten», sagt er. Chinesische Aktien würden in den Kundenportfolios bei Raiffeisen untergewichtet.

Und das, obwohl einzelne lange gemiedene chinesische Aktien wie jene des Onlinehändlers Alibaba eine eindrückliche Trendwende vollzogen haben. Alibaba-Aktien haben in den letzten vier Wochen um über 40 Prozent zugelegt und übertrumpfen den amerikanischen Rivalen Amazon mit einem Plus von 7 Prozent deutlich.

Hochegger räumt ein, dass der chinesische Aktienmarkt auch nach der Hausse noch günstig bewertet sei. Doch die Probleme im Immobiliensektor oder im internationalen Handel seien damit nicht gelöst. Auch bis die Zinssenkungen ihre Wirkung entfalten könnten, werde es dauern, sagt er: «Die Börsen nehmen möglicherweise zu viel Positives vorweg.»

Eine weniger zurückhaltende Haltung nimmt Ali Masarwah ein. Für ihn wäre es angesichts sinkender Zinsen in den USA allgemein angebracht, verstärkt in Emerging-Markets-Aktien zu investieren, China eingeschlossen. Damit sind vornehmlich Aktien aus aufstrebenden Ländern in Asien und Südamerika gemeint.

Es sei zwar naheliegend, dass staatsnahe Bereiche wie Banken und Baufirmen unmittelbar von den chinesischen Stimulus-Massnahmen profitieren würden. Auch stark abgestrafte Technologiewerte wie Tencent haben einiges an Aufholpotenzial. Doch Masarwah rät davon ab, auf einzelne Branchen zu zielen. «Wir ziehen es vor, mit Bedacht in den Gesamtmarkt zu investieren, je breiter, desto besser», sagt er.

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