Sonntag, November 24

Europäische und amerikanische E-Auto-Hersteller sind in Sorge über die chinesische Konkurrenz. Der günstige Viertürer aus Peking dürfte die Ängste verstärken. Erste Fahreindrücke bestätigen dies.

Wo Lei Jun auftaucht, steht er im Mittelpunkt, und an der Auto China in Peking schafft er es nur noch mit Leibwächtern. Denn als wäre die Rolle als CEO des drittgrössten Smartphone-Herstellers nicht schon bedeutend genug, geht der Chef des chinesischen Tech-Giganten Xiaomi jetzt auch noch unter die Autobauer.

Im Dezember hat der Selfmade-Milliardär Lei Jun seinen elektrischen Erstling SU7 vorgestellt, und seitdem dreht der grösste Automarkt der Welt am Limit: Die Xiaomi-Stores sind noch voller als üblich, auf der Messe interessiert sich niemand für Porsche, Audi oder Mercedes, sondern man steht stattdessen lieber eine halbe Stunde am Xiaomi-Stand in der Schlange. Die Vorbestellungen knacken bald die 100 000er-Marke. Seit der Premiere des iPhone oder der Apple Watch hat in China keine technische Neuheit einen vergleichbaren Hype ausgelöst, erst recht kein Auto. Selbst ein neuer Tesla wird da zur Nebensache.

Dabei ist der Xiaomi alles andere als eine revolutionäre Neuheit. Denn so, wie sich Lei beim Aufbau seines Smartphone-Imperiums am Branchenführer Apple orientiert und dabei sogar die Posen seines Idols Steve Jobs imitiert hat, hat er sich bei seinem Aufstieg zum Autobauer ebenfalls prominente Vorbilder gesucht. Kein Wunder also, dass der SU7 von aussen aus jeder Perspektive an den Porsche Taycan erinnert.

Der Hersteller eifert beim Design Porsche nach

Exakt fünf Meter lang – wie das deutsche Vorbild – spannt er sich in einem schnittigen Bogen über die drei Meter weit auseinanderstehenden Achsen. Hinten läuft die Dachlinie sanft über einem Heckbürzel mit Klappspoiler aus. Darunter gibt es vorne wie hinten überraschend viel Platz fürs Gepäck und dank langem Radstand auch im Fond mehr Sitzkomfort als im Porsche.

Während der Auftritt an den Stromer aus Stuttgart erinnert, folgt das Ambiente eher dem Ansatz bei Tesla: Der SU7 ist nobel, aber eher nüchtern gestaltet. Die gesamte Bedienung ist auf einem riesigen Touchscreen gebündelt, der quer vor dem Armaturenbrett zu schweben scheint. Zusätzlich zeigt ein kleines Display hinter dem Lenkrad die Vitaldaten und das Tempo des Wagens.

Per Starterknopf setzt sich der Xiaomi spektakulär in Szene. Wie man es vom Bordcomputer des Bentley Continental her kennt, dreht sich der Bildschirm ins Blickfeld, und die schmucke SU7-Silhouette, die den Fahrer bis eben noch am Bildschirm angefunkelt hat, verschwindet.

Allerdings ist das ein bisschen wenig für einen Tech-Giganten. Zwar lassen sich die meisten Funktionen des Fahrzeugs auch mit der Sprache steuern, der App-Store ist prall gefüllt, und angeblich kann sich der SU7 mit all den anderen digitalen Lebenshelfern vernetzen, die Xiaomi im Alltag der Chinesen unersetzlich machen – vom smarten Staubsauger über die Spielzeugdrohne bis hin zum Kühlschrank und zur Terrassenbeleuchtung.

Doch weder lassen sich im Auto selbst besonders innovative Infotainment- oder Digital-Merkmale entdecken, noch sind die Bildschirmlandschaften sonderlich sehenswert. Schliesslich gibt es hinten sogar nur Steckplätze fürs eigene Tablet, das natürlich am besten ebenfalls von Xiaomi kommt.

Autonomes Fahren noch nicht ausgereift

Auch beim autonomen Fahren hat der Newcomer noch nicht die Nase vorn, obwohl das den staugeplagten Chinesen viel wichtiger ist als der Sprintwert von 0 auf 100 km/h oder die Batteriekapazität. Zwar rühmt Lei den SU7 als «future-proof» (zukunftsfähig) und hat alles eingebaut, was es später einmal für die Autonomiestufe 4 braucht, bei der der Fahrer die Hände dauerhaft in den Schoss legen und die Augen vom Verkehr abwenden darf.

Doch fürs Erste tut sich die Stromlinien-Limousine auf einer Ausfallstrasse von Peking ohne Fussgänger oder Radfahrer schon mit der selbständigen Spurführung noch schwer, vom automatischen Spurwechsel nach dem Antippen des Blinkers ganz zu schweigen. Da wird noch das eine oder andere Over-the-Air-Update nötig, bis die Anspannung einem echten Komfortgewinn weicht.

Dafür allerdings punktet das vermeintliche Smartphone auf Rädern in einer Disziplin, der die Chinesen bis dato nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt haben: dem Fahren. Denn während Nio, Xpeng und andere heimische Hersteller für ihre Fahrwerke eine komfortable, aber eher belang- und gefühllose Abstimmung gewählt haben, kommt im Xiaomi tatsächlich so etwas wie Fahrfreude auf: Die Lenkung ist direkt, die Bremsen sind bissig, die Struktur steif und die Anbindung an den Asphalt präzise – plötzlich ist der Weg das Ziel, und das Ankommen wird zur Nebensache.

Schade eigentlich, dass die Strassen in und um Peking immer voll sind und die Polizei rigoros über das Limit von 120 km/h wacht. Denn der Xiaomi hat deutlich mehr drauf und eifert auch in dieser Hinsicht Porsche nach. Schon die 300 PS und 400 Nm starke Basisversion mit ihrem einen Motor an der Hinterachse beschleunigt in 5,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und erreicht bis zu 210 km/h.

Wer sich für den SU7 Max entscheidet, bekommt für jede Achse einen Motor und steigt mit 673 PS und 838 Nm in die erste Liga der Elektrolimousinen auf. Dann dauert der Standardsprint nur 2,8 Sekunden, und es geht beim Kickdown mit bis zu 265 km/h voran. In China nur leider direkt ins Gefängnis.

Die Energie für den Vortrieb liefern Akkus, die Xiaomi bei führenden Quellen einkauft und in drei Paketen konfektioniert. Der Hecktriebler bekommt wahlweise eine BYD-Blade-Batterie von 74 kWh mit einer Systemspannung von 400 Volt oder einen 94 kWh grossen CATL-Block mit dann 800 Volt und fährt damit 668 oder 830 Kilometer weit.

Schnelles Laden beherrscht der China-Porsche

Im Max läuft der CATL-Akku mit 800 Volt Bordspannung und hat 101 kWh Kapazität. Xiaomi stellt für den Max am Schnelllader 220 Kilometer in 5, 390 Kilometer in 10 und 550 Kilometer in 15 Minuten in Aussicht. Auch da muss sich der SU7 nicht vor einem Taycan verstecken.

Die Parallelen zu Porsche enden aber, wenn die Rechnerei anfängt. So wie Xiaomi den Rivalen Apple bei den Smartphones auch über den Preis ausgestochen hat, kostet der SU7 nur einen Bruchteil eines Taycan. Während die Schwaben ihren Stromer in China ab 1 038 000 Yuan verkaufen, geht es im Xiaomi-Store schon bei 215 900 Yuan oder ungerechnet knapp 28 000 Euro los. Selbst das Topmodell ist mit 299 900 Yuan (39 600 Euro) ein Schnäppchen. So unterbietet Mister Lei sogar Tesla und das deutlich kleinere Model 3 um runde 10 Prozent.

Kein Wunder also, dass ihm die chinesischen Kunden gerade die Bude einrennen und er seine notorisch ungeduldigen Landsleute sogar zur Konkurrenz schicken muss, wenn ihnen die mittlerweile mehr als sechs Monate Lieferfrist zu lang werden. Sie mögen dann doch bitte nur wenigstens chinesische Alternativen wählen, gibt er ihnen als patriotischen Rat und empfiehlt die Autos von Luxeed, Nio oder Xpeng.

Solange der Hype in China anhält und seine Firma die Nachfrage ohnehin nicht schnell genug befriedigen kann, hat Lei keinerlei Veranlassung, über den Export nachzudenken. Doch über kurz oder lang wird er seine Autos auch im Rest der Welt anbieten – müssen. Schliesslich ist der elektrische Erstling nur ein Etappenziel, und Xiaomi hat noch viel mehr vor: Ganz unbescheiden hat Lei angekündigt, seine Firma in den nächsten zwanzig Jahren unter die Top 5 der Autobauer zu führen, wofür er dann nicht nur Porsche überholen müsste, sondern wahrscheinlich auch Mercedes oder BMW.

Immerhin einen Rivalen hat Mister Lei schon abgehängt: Während er sich an der Automesse in Peking als PS-Held der Nation feiern lässt, hat der Apple-Chef Tim Cook gerade amtlich die Pläne für ein iCar beerdigt.

Damit an seiner Überzeugung und Bestimmung nur ja keine Zweifel aufkommen, hat Lei sich ein auffälliges Zeugnis für seine Ambitionen überlegt – und auf jeden Xiaomi-Schlüssel seine eigene Unterschrift prägen lassen.

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