Im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League trifft Sommer auf seinen früheren Klub Bayern München. Seine Qualität als Fussballer unterscheidet ihn von anderen Goalies seines Formats.
Es gibt Menschen, die den Jubel von Inter Mailand nach dem 2:1-Sieg im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals bei Bayern München als übertrieben empfanden. Der italienische Meister setzte sich am vergangenen Dienstag in einer hochklassigen Begegnung durch, wobei insbesondere Yann Sommer eine triumphale Rückkehr erlebte. Sagen würde er das niemals. Der Torhüter genoss den Erfolg zurückhaltender als viele Teamkollegen. Es sei erst Halbzeit im Duell mit den Bayern, sagte er nach der Partie.
Souverän und stilsicher bewegt sich Sommer auch auf dem Feld. Vor wenigen Monaten ist er 36 geworden, und vielleicht tritt Sommer so überzeugend auf wie nie in seiner langen, erfolgreichen Karriere. Der frühere Schweizer Nationalgoalie Pascal Zuberbühler, heute unter anderem als Experte beim TV-Sender Blue Sport tätig, gerät ins Schwärmen, wenn es um Sommer geht: «Yann ist einfach ein wunderbarer Goalie, der genau weiss, was er tut.» Sommers Wechsel zu Inter Mailand sei clever gewesen, weil er nun in einem Team spiele, das perfekt zu seinem Profil passe.
Mehr als die Hälfte der Spiele bei Inter ohne Gegentor
Mit dem Trainer Simone Inzaghi hat sich Inter in den vergangenen Jahren zu einer Mannschaft entwickelt, die schwierig zu bezwingen ist, solidarisch verteidigt und sich auf dem Platz im 3-5-2-System oft verhält wie ein perfekt harmonierendes Orchester. Die Bilanz von Sommer, seit 2023 bei Inter, belegt das eindrucksvoll: In 84 Pflichtspielen hat er nur 57 Gegentore erhalten, in 45 Begegnungen gelang ihm ein «shoot out». In der Champions League musste er in 17 Auftritten nur sieben Gegentore hinnehmen – bei elf Spielen zu null. «Bei uns weiss jeder, was er zu tun hat», sagt Sommer, der im März wegen eines Daumenbruchs einige Wochen ausfiel.
Auffällig ist, wie der Goalie immer wieder als Anspielstation gesucht wird, mit beiden Füssen präzise Pässe spielt, einmal kurz und einmal lang, meistens ideal getimt. «Yann ist ein Ausnahmegoalie», sagt Zuberbühler. «Besonders stark sind seine Bewegungsabläufe. Er macht selten einen Schritt zu viel oder zu wenig, das Positionsspiel ist sensationell.» Heute sei es für einen Torhüter enorm wichtig, schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auf der Linie war Sommer schon immer überragend; wenn es einen Schwachpunkt gab, dann war das die Strafraum-Beherrschung. Doch auch da hat er sich im Herbst seiner Karriere noch stark weiterentwickelt.
Deshalb wird Sommer nicht nur von Pascal Zuberbühler und Italiens Medien gerade mit Lobeshymnen überhäuft. Das Centre International d’Étude du Sport (CIES) präsentierte vor wenigen Tagen eine Rangliste, in der Sommer unter Berücksichtigung zahlreicher Komponenten weltweit als zweitbester Torhüter in den letzten 365 Tagen geführt wird. Einzig der Italiener Gianluigi Donnarumma von PSG steht vor ihm, auf Rang 3 folgt Thibaut Courtois von Real Madrid. Zahlen und Statistiken unterstreichen also den Eindruck, dass sich Sommer auf Weltklasseniveau bewegt.
Top performing goalkeepers, last 3⃣6⃣5⃣ days
🥇 #GianluigiDonnarumma 🇮🇹 95.5 out of 💯
🥈 #YannSommer 🇨🇭 91.7
🥉 #ThibautCourtois 🇧🇪 88.1#Agkatsev 🇷🇺 #Flekken 🇳🇱 #Sanchez 🇪🇸 #Gulacsi 🇭🇺 #JoaoRicardo 🇧🇷 #Nicolas 🇩🇪 #Zentner 🇩🇪
Full data & methodology 👉 https://t.co/SPxiLLcz1E pic.twitter.com/edwFvNqRsC— CIES Football Obs (@CIES_Football) April 9, 2025
Sein grosses Erbe im Schweizer Nationalteam
Ausgerechnet in München wies Sommer in der vergangenen Woche seine aussergewöhnlichen Qualitäten nach. Beim FC Bayern erlebte er 2023 ein ungemütliches Halbjahr nach seinem Wechsel aus Mönchengladbach und stand heftig in der Kritik. Zu klein sei er, zu viele Fehler mache er, er habe keinen Rückhalt und sei ohnehin kein Torhüter für grosse Spiele und höchste Ansprüche.
Sommers Körpergrösse von 183 Zentimetern ist in Mailand bei nur sechs Niederlagen in 84 Begegnungen mit Inter kein Thema. Wie ein Libero orchestriert er den Spielaufbau seines Teams. «Yann agiert sehr selbstbewusst und mutig», sagt Zuberbühler. Sinnbildlich sei das wunderschöne erste Tor von Inter in München durch Lautaro Martinez gewesen, das Sommer mit einem frechen, punktgenauen Pass übers halbe Feld eingeleitet hatte. «Diese Situation nicht nur zu erkennen, sondern auch zu forcieren, war herausragend.»
Im vergangenen Sommer, nach der EM in Deutschland, trat Sommer nach 94 Länderspielen aus dem Schweizer Nationalteam zurück. Nicht wenige Beobachter stuften Dortmunds Gregor Kobel damals als Upgrade ein. Aber Sommer hinterlässt nicht nur wegen seiner Erfolge in den letzten zehn Jahren mit der Schweiz ein respektables Erbe.
In den nächsten Wochen könnte er seine Karriere bei Inter Mailand nun krönen, gleich vier Titel sind in dieser Saison für sein Team noch möglich. In der Serie A ist Inter Leader; im nationalen Cup endete das Halbfinal-Hinspiel beim Stadtrivalen Milan 1:1; im Champions-League-Viertelfinal führen die «Nerazzurri» vor dem Rückspiel am Mittwoch 2:1; im Sommer steht die Klub-WM in den USA an.
Vielleicht folgt bald noch ein bedeutendes Spiel in München
Yann Sommer sagte nach dem 2:1 in München, Inter werde im zweiten Spiel nicht einfach nur versuchen, den Vorsprung zu verteidigen. Im San Siro hat er erst einmal verloren, im September 2023 gegen Sassuolo (1:2). Sein Vertrag läuft noch bis 2026, mit Josep Martinez steht seit dieser Saison ein möglicher Nachfolger im Kader; gehandelt wird bei Inter aber auch regelmässig Donnarumma, der angeblich nach Italien zurückkehren möchte, mit den Füssen allerdings deutlich weniger begabt ist als Sommer.
Der Schweizer hat längst auch seinen Vorgänger und Publikumsliebling André Onana vergessen gemacht, der 2023 mit Inter den Champions-League-Final gegen Manchester City 0:1 verlor und danach für 50 Millionen Euro nach Manchester United wechselte.
Sommer kostete etwas mehr als zehn Prozent dieser Summe. Seine Verpflichtung steht für die kluge Transferpolitik Inter Mailands, das finanziell nicht mit den anderen europäischen Topklubs mithalten kann. Womöglich haben Sommer und seine Teamkollegen am 31. Mai ein weiteres Rendez-vous in München, das mit einem ausgelassenen Jubel enden soll – im Final der Königsklasse.