Die Berner haben sich mit dem interimistischen Coach Joël Magnin stabilisiert. Doch der Neuenburger bleibt eine Zwischenlösung. Der Match in der Champions League gegen das italienische Spitzenteam Atalanta Bergamo ist die nächste Bewährungsprobe.
Einige Luzerner tragen die Schminke dick auf und hüllen die Young Boys ins Gewand des Champions. Am letzten Samstag ist ein Mitglied der Geschäftsleitung des FC Luzern nach dem 1:1-Remis so angetan vom YB-Stürmer Cedric Itten, dass er diesen im Schweizer Nationalteam forcieren würde. Anstelle von Breel Embolo, der wiederholt an Hindernissen hängen bleibt, auch selbstverschuldet. Itten wieder in die Nationalmannschaft – Nationaltrainer Murat Yakin, hallo?
Als der FC Luzern in der zweiten Halbzeit kein Bein vors andere bringt und während Dutzenden Minuten keinen Ball mehr in den gegnerischen Strafraum zu spielen vermag und buchstäblich zum 1:1-Ausgleich stolpert, erstarren auf und neben dem Rasen ein paar Zentralschweizer in Ehrfurcht. Wie YB diesen Match kontrolliere, sei «meisterlich», heisst es auf der Tribüne.
Das ist ein oft bemühtes Muster: Wenn einem nichts mehr einfällt, ist die Stärke des Gegenübers schuld.
Die Relativierung ändert nichts am Faktum, dass der Serienmeister YB besser auf den Beinen steht als zu Beginn der Saison, als ein heftiger Absturz nach wenigen Wochen in die Freistellung des neuen Trainers Patrick Rahmen mündete. Die Performance der Mannschaft lässt den Horizont inzwischen wieder etwas heller leuchten. Knappe und etwas glückhafte Siege im eigenen Stadion und Unentschieden auf fremden Plätzen mildern die Berner Selbstzweifel, die noch vor wenigen Wochen zersetzende Züge angenommen haben.
Doch der Kurs bleibt instabil. Allen Elogen aus der Zentralschweiz zum Trotz.
Das YB-Team ist teuer und kann so ungenügend nicht sein
Am späten Dienstagabend (21 Uhr) gastiert das italienische Spitzenteam Atalanta Bergamo im Wankdorf. Eine deftige Prüfung für YB in der Champions League – nach den vier Niederlagen gegen Aston Villa, den FC Barcelona, Inter Mailand und Schachtar Donezk. Torverhältnis 1:11. Will der Schweizer Meister in der Königsklasse doch noch etwas ausrichten, müssen irgendwann Punkte her. Auch gegen Atalanta Bergamo, den Tabellenzweiten der Serie A, den Sieger der Europa League.
Europa League Winners 😍💪💙🖤 pic.twitter.com/5rp3I6VVRF
— Atalanta BC News (@AtalantaBC_News) May 22, 2024
Einstweilen laben sich die gebeutelten Berner an den Luzerner Komplimenten. Es sei «schön zu hören, wenn andere so denken», sagt etwa der YB-Stürmer Itten. Er nehme auf der einen Seite «wieder ein gewisses Selbstverständnis wahr, mehr Selbstvertrauen». Auf der anderen Seite relativiert er den Gang der Dinge mit dem Hinweis darauf, «woher wir kommen». Von weit unten. Doch die Leistungskurve lässt erahnen, dass YB nicht so tief fallen kann wie der FC Basel vor Jahresfrist. Die Basler waren damals vor Weihnachten Vorletzte, mit 18 Spielen und 18 Punkten. Und ohne jeglichen Europacup-Zauber.
Die Probleme, von denen das YB-Team erfasst worden ist, verflüchtigen sich nicht von heute auf morgen. Doch der Match in Luzern offenbart, dass es von einer Breite getragen wird, die auf Dauer so ungenügend nicht sein kann. Darian Males, Kastriot Imeri, Lukasz Lakomy, Filip Ugrinic, Cedric Itten und Jaouen Hadjam, allesamt zu Beginn auf dem Rasen, haben den Klub jeweils mehr als eine Million Franken gekostet, teilweise deutlich mehr.
Davon kann beim Widersacher Luzern, der vorwiegend eigene, junge Spieler aufbietet, keine Rede sein. Und wenn da einer aus dem Durchschnitt ragt wie Ugrinic 2021/22, ist er bald verkauft. Zum Beispiel nach Bern.
Die Berner Kaderbreite verstärkt den Eindruck der Beliebig- und Austauschbarkeit. Heute spielt der, morgen der andere. Dazu tragen Verletzungen und Sperren wegen Platzverweisen bei. Und Reisen von afrikanischen Angestellten, die auf ihrem Kontinent für Länderspiele aufgeboten werden.
Jüngst waren die Stürmer Meschack Elia (Demokratische Republik Kongo) und Silvère Ganvoula (Republik Kongo) sowie der Verteidiger Jaouen Hadjam (Algerien) in der Qualifikation zum Afrika-Cup unterwegs. Hadjam übrigens in einer Auswahl, die vom früheren Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic gecoacht wird.
Der Spieler Hadjam wird hart kritisiert
Der erst 21-jährige Hadjam ist einer jener talentierten Spieler, die dazu veranlagt scheinen, die Klubverantwortlichen zur Weissglut zu treiben. In Luzern kommt er als Einziger der Afrika-Reisenden von Beginn weg zum Einsatz. Doch der ist bereits nach 45 Minuten beendet. Als der Interimstrainer Joël Magnin hinterher darauf angesprochen wird, schaut er ungläubig in die Welt. «Haben Sie nicht gesehen?», fragt er zurück, «Hadjam leistete sich zu viele Fehler, zudem machte er überhaupt nicht das, was wir besprochen hatten».
Ein paar Minuten vor diesem Satz hatte der Spieler Itten die «harte Linie des Trainers» erwähnt. Magnin habe von Tag eins an «alle» ins Boot holen wollen, in Gesprächen viel dafür getan und Regeln festgelegt. Da geht es etwa um Pünktlichkeit und um den Gebrauch des mobilen Kommunikationsgeräts. Wer diesen nicht folge, «spielt nicht mehr», sagt Itten, der einer jener Spieler ist, an denen die Wechselorgien nicht spurlos vorbeigegangen sind.
Magnin ist ein unscheinbarer Trainer, kein Egozentriker, keiner, der sich ins gleissende Scheinwerferlicht stellt und den Grosskotz mimt. Als er das YB-Nachwuchshaus 2019 verliess und in seiner Heimatstadt Neuenburg Xamax trainierte, stürzte er ab. Doch in der letzten Saison sicherte er nach der irritierenden Freistellung Raphael Wickys den Bernern den glanzlosen Titel. In der gegenwärtigen Spielzeit begann YB unter Magnin immerhin zu punkten.
Das führt zum Gedanken, ob er weitermacht, sollten sich die Resultate weiterhin sehen lassen. Magnin bekräftigt, dass sein Einsatz «an Weihnachten fertig sein sollte». Davon rückt er auch auf Nachfrage nicht ab. «Wir haben eine klare Abmachung. Ich bin bis Weihnachten da. Aber wenn der Klub keinen Trainer findet, bin ich da.» Da YB nicht GC ist, ist davon auszugehen, dass der Klub einen valablen Coach finden wird. Es sei denn, die Berner setzen mit Magnin schnell um, was Itten irgendwo in seinem Kopf hat: «Probieren, senkrecht zu starten.»
Im neuen Jahr ist der neue Trainer da
Der YB-Sportchef Steve von Bergen lässt fast keine Eventualitäten im Raum zurück. Er hält fest: «Wir suchen einen Trainer. Stand jetzt haben wir ihn noch nicht. Joël Magnin wird voraussichtlich nach Weihnachten wieder in den Nachwuchsbereich zurückkehren.» Die YB-Chefetage wäre einzig dann von dieser Linie abgerückt, hätte Magnin mit der angeschlagenen Mannschaft gleich die Sterne vom Himmel geholt. Das hat er nicht. Magnin holte in Heimspielen (auch) glückhaft Punkte, die seinem Vorgänger Patrick Rahmen wahrscheinlich verwehrt geblieben wären.
Die YB-Problematik hat sich in den letzten Wochen entschärft, lässt sich aber nicht auf die Position des Trainers reduzieren. Dennoch braucht der Klub ein meisterliches Ende der monatelangen Trainersuche.