Dienstag, Oktober 1

Am Dienstag absolvieren die strauchelnden Young Boys ihr zweites Champions-League-Spiel. Benito räumt ein, dass sich die Mentalität im Team verändert habe.

Am Freitagmittag sitzt Loris Benito in den Katakomben des Wankdorfstadions und sagt: «Es war in den ersten Spielen sehr hart, nur zuschauen zu dürfen. Ich bin froh, endlich wieder voll belastbar zu sein und der Mannschaft helfen zu können.» Einige Tage zuvor resultierte bei seinem Comeback in der Super League nach dem im Februar erlittenen Kreuzbandriss mit dem 4:1 in Winterthur der erste Saisonsieg der Young Boys – es war der vermeintliche Befreiungsschlag. Benito wirkt im Gespräch motiviert und aufgestellt, und er lässt keine Zweifel daran, dass YB mit erheblicher Verspätung in dieser Saison angekommen ist.

Am Samstagabend steht Loris Benito nach dem 0:1 gegen GC in den Katakomben des Wankdorfstadions und sagt: «Das ist erneut eine grosse Ernüchterung für uns.» Der Captain der Young Boys befindet sich fast am gleichen Ort wie am Vortag, doch Sprache und Körpersprache sind ganz anders. Und wieder geht es um Benitos Gesundheit. Der Verteidiger musste gegen die Grasshoppers in der Mitte der zweiten Halbzeit ausgewechselt werden. «Es hat mich plötzlich im Oberschenkel gezwickt», sagt er.

Benito wird mindestens für die zweite Champions-League-Begegnung in dieser Saison – nach dem 0:3 gegen Aston Villa – am Dienstagabend beim FC Barcelona ausfallen. Die Verletzung des 32-Jährigen ist ein harter Rückschlag für YB. Und Benitos Leidensgeschichte steht sinnbildlich für die spektakuläre und unerwartet heikle Situation des Klubs: Rang 11 in der Liga, acht Spiele, sechs Punkte. In vier sieglosen Heimspielen hat YB erst zwei Punkte errungen; nach der ungenügenden Leistung gegen die Grasshoppers wurde das Team nicht zum ersten Mal mit lauten Pfiffen bedacht.

Benito hat in Bern ganz andere Zeiten erlebt

Im Fussball geht es immer um das Momentum. Benito weiss das, er hat in Bern schon ganz andere Zeiten durchlebt. Solche, in denen schier eine ganze Stadt verzweifelt auf den ersten Meistertitel nach Jahrzehnten der vielen Enttäuschungen wartete. «Ich habe Heimspiele vor 13 000 Zuschauern und in trister Ambiance erlebt», sagt er. 2015 stiess Benito von Benfica Lissabon im Zuge einer erneuten Transferoffensive erstmals zu YB, 2018 und 2019 wurde der Defensivspieler Meister, dann wechselte er zu Girondins Bordeaux.

Als er 2022 nach Bern zurückkehrte, fand er einen stark veränderten Klub vor. «In meiner ersten Zeit hier war die Sehnsucht nach Titelgewinnen sehr stark spürbar. Heute wäre für viele Menschen in Bern alles andere als die Meisterschaft eine Enttäuschung.» Die riesigen Erfolge hätten Ansprüche und Ambitionen enorm nach oben getrieben. «Diese Erwartungshaltung spüren wir, wenn es nicht gut läuft.»

Genaugenommen steckt YB sogar in einer tiefen Ergebniskrise, die niemand prognostiziert hätte. Schon gar nicht in dieser Liga, in der keine Mannschaft unwiderstehlich auftritt. Nach sechs Meistertiteln in sieben Saisons sieht es allerdings so aus, als ob YB sich gleich selbst aus dem Titelkampf nehmen würde.

Es gibt Gründe für die desaströse Bilanz: schwache Transfers seit zwei, drei Jahren, fehlende Leaderfiguren, Unruhe im Betrieb und im Umfeld, fehlendes Gespür der Verantwortlichen für die Lage, falsche Entscheidungen. Benito sagt, er sehe das alles nicht so negativ. «Manchmal kommt alles zusammen, aber wir haben bewiesen, dass wir eine hohe Qualität haben.» Der Aargauer ist ein kluger Kommunikator und auch neben dem Spielfeld zum wichtigsten Fussballer von YB aufgestiegen. Er ist eine der wenigen Führungspersönlichkeiten.

Er arbeitete hart an seiner Rückkehr

Als sich Benito Anfang Februar in Lausanne das Kreuzband im rechten Knie riss, waren die Young Boys mit ihrem Trainer Raphael Wicky Erste in der Liga – und im Cup sowie im Europacup noch dabei. Wicky wurde wenig später freigestellt, YB war damals immer noch Leader, aber ausgeschieden in den zwei anderen Wettbewerben. Die Erwartungshaltung ist erbarmungslos, bei YB muss es nebst den fast schon obligatorischen Trophäen längst auch attraktiver Fussball sein.

Benito arbeitete 2024 hart an seiner Rückkehr. Und weil er acht Jahre vorher bereits einmal einen Kreuzbandriss erlitten hatte, wusste er genau, was auf ihn zukommt. «Es ist brutal, wenn man weiss, dass man sechs, sieben Monate nicht mehr Fussball spielen darf», sagt er. Der langjährige Nationalspieler verpasste auch die EM, während dieser Zeit war er im führenden Rehabilitationszentrum in den USA, um sich in Arizona neben Grössen aus der NBA und der NFL einen Monat lang perfekt aufzubauen.

Und natürlich möchte Benito, nach 13 Länderspielen und als EM-Teilnehmer 2021, so schnell wie möglich wieder ein Teil des Nationalteams werden. Starke Linksfüsse in der Defensive sind in der Schweiz rar. Doch sein Fokus gilt YB. Er sagt: «Ich bin sicher, dass wir ein sehr gutes Kader haben mit Spielern, die sich vielleicht bald schon als Top-Transfers erweisen werden.»

Doch auch Benito räumt ein, dass in der Mannschaft etwas anders ist, weil Fussballer wie Cédric Zesiger, Fabian Rieder und Christian Fassnacht nicht mehr dabei seien. «Sie haben das Team geprägt und sind nicht so einfach zu ersetzen», sagt er. «Die Mentalität hat sich verändert, wir haben mehr französischsprachige Spieler im Team. Es benötigt manchmal ein bisschen Zeit, bis sich alle auf die neuen Umstände eingestellt haben.»

In seiner Kindheit gab es jedes Jahr das neue Barça-Trikot

Der neue Trainer Patrick Rahmen fordert ebenfalls Geduld ein. Seine Position ist bereits nach wenigen Wochen wacklig, die personellen und taktischen Massnahmen funktionieren nicht, der Druck steigt – wie immer in solchen Konstellationen. Der YB-Spielplan in den nächsten Wochen ist schwierig, die Mannschaft wirkt stark verunsichert. Und nun fehlt beim grossen Auftritt in Barcelona in der zuletzt sehr fehlerhaften Defensive auch noch der Chef.

Ausgerechnet: Loris Benito war als Bub leidenschaftlicher Fan des FC Barcelona, sein Lieblingsspieler war Rivaldo, Linksfuss wie er. Jeden Sommer gab es in den Ferien bei der Familie in Galizien auf dem Markt das neue Barça-Trikot, und das Stadion Camp Nou besuchte er oft. Seine Besuche waren stets mit dem Traum verbunden, hier einmal spielen zu können. Benito zählt die Idole seiner Kindheit mit strahlenden Augen auf, Rivaldo, Ronaldo, Guardiola, Cocu und viele mehr. Bis 15, 16 sei er ein fanatischer Supporter gewesen, der auch einmal weinte, wenn der FC Barcelona am Dienstagabend eine Champions-League-Begegnung verlor.

Und nun muss Loris Benito am Dienstagabend wieder in die Rolle des Zuschauers rücken. 15 Tickets hat er für Familie und Freunde organisiert, er selbst wird nun gar nicht in Barcelona sein, sondern zur Pflege in Bern bleiben. Es ist kein Trost für ihn, dass die Begegnung wegen Umbauarbeiten nicht im Camp Nou, sondern im kleineren Olympiastadion stattfindet.

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