Mittwoch, November 27

Die instabilen Berner hätten in einem anderen Jahr auf ihrem Kunstrasen gegen den mässig disponierten italienischen Meister wahrscheinlich mehr erreicht als eine 0:1-Niederlage. Doch im Moment gilt ihr Fokus ohnehin der Meisterschaft.

Also sagt der Verteidiger Sandro Lauper nach der für YB bitteren 0:1-Niederlage gegen Inter Mailand: «Wenn du noch Thuram und Martínez einsetzen kannst, dann . . .» Ja, dann schlummert da auf der Ersatzbank noch allerhand Gefahr für den Gegner, ist zu ergänzen.

Der 27-jährige Lautaro Martínez ist Argentinier und wurde 2022 Weltmeister. Letzte Saison war er in der Serie A mit 24 Treffern Torschützenkönig, in der argentinischen Auswahl erzielt er fast in jedem zweiten Spiel ein Tor. Der ebenfalls 27-jährige Marcus Thuram ist französischer Nationalspieler und war auch im WM-Final 2022 zugegen.

Und da kommt in Bern auch noch Federico Dimarco auf den Plastikrasen. Er hat (tätowierte) Beine wie Baumstämme. Für Dimarco zauberte Christian Constantin, der Präsident und Transfer-Poker-Spieler des FC Sion, einst einen geheimnisvollen und nicht nachvollziehbaren Millionenbetrag hervor. Dimarco kam 2017 aus Mailand nach Sitten. Nach einer Verletzung, einem Jahr und nur neun Super-League-Einsätzen ging er wieder nach Mailand zurück. Sein Wert stieg trotz schierem Nichtstun in Millionenhöhe.

Die prominenten Inter-Ersatzspieler spielen sich zum 1:0

Die drei – Thuram, Martínez und Dimarco – setzt der Inter-Coach Simone Inzaghi in Bern zunächst auf die Ersatzbank. Auch deswegen müssen die Young Boys hinterher von einem verpassten Coup reden, von einem Remis, das ihnen in den letzten Sekunden aus den Händen geglitten sei. Das eingewechselte Trio kombinierte sich in der 93. Minute zum 1:0. Torschütze: Thuram.

Bald darauf ist der Match zu Ende. Ein paar YB-Spieler sacken in die Knie, hier wie dort machen sich Ungläubigkeit und Frust breit. Das ist ein Schlag, der zuerst einmal verdaut werden muss. Während einer Saisonphase, die von Verunsicherung und einem Trainerwechsel geprägt ist; nach einem Champions-League-Match, in dem YB gegen einen nicht in Bestbesetzung angetretenen Gegner erstaunlich gut dagegengehalten hat.

Als der YB-Goalie David von Ballmoos kurz nach der Pause den von Marko Arnautovic getretenen Foulpenalty hält, wächst die Berner Hoffnung, an diesem Abend allenfalls den letzten Tabellenplatz der neuen Champions League verlassen zu können. YB leistet sich keine groben Abwehrfehler wie im ersten Spiel gegen Aston Villa (0:3), YB ist nicht früh verloren wie in Barcelona (0:5). Am Ende rückt der Schweizer Meister in der Königsklasse aber nur deshalb auf den vorletzten Platz vor, weil Slovan Bratislava das schlechtere Torverhältnis aufweist.

Das Remis wäre 700 000 Euro wert gewesen

Doch die Berner Aussichten bessern sich nun, weil in den ersten drei Spielen die drei stärksten Gegner warteten. Am 6. November spielt YB in Gelsenkirchen gegen Schachtar Donezk. Das ist kein übermächtiger Widersacher. Die Ukrainer lassen sich in der Champions League bis jetzt einen Punkt gutschreiben. Das späte Gegentor gegen Inter bringt YB nicht nur um den ersten Punkt, sondern auch um 700 000 Euro, die das Remis wert gewesen wäre.

Doch die Finanzen sind für den Klub im Moment nicht prioritär. Da ist anderes auf dem Prüfstand. Die Suche nach Stabilität, nach einer Dynamik, nach Ruhe und Geschlossenheit. Lauper hebt nach der Enttäuschung gegen Inter die kämpferische und nicht die spielerische Leistung hervor, den Match-Plan, der fast aufgegangen sei. Nach dem richtiggehend erlittenen 2:1-Erfolg am letzten Samstag gegen den FC Luzern veränderte der Interimstrainer Joël Magnin das Team auf nicht weniger als sieben Positionen, was in Anbetracht des Resultats bemerkenswert ist.

Er rotierte wie Inzaghi, nur kann Magnin nicht davon reden, die besten Kräfte geschont zu haben. Dazu hat sein Team zu wenig Hierarchie und Leadership, zu wenig Struktur, zu wenig Erfolg. Wechselt der YB-Trainer in der laufenden Saison Spieler aus, verändert sich auf dem Rasen jeweils nicht viel. Da ist etwas. Immer noch. Aber nicht so viel, dass jemand den Stammplatz auf sicher hat.

Das ist ein Indiz dafür, dass die Berner personell zwar von einer gewissen Breite, aber auch von einer gewissen Beliebigkeit und Austauschbarkeit leben. Magnin begründet die vielen Veränderungen damit, dass er einzig das umsetze, was er jedem Spieler gesagt habe: «Ich zähle auf alle, jeder kann zeigen, was er kann.»

Monteiro trifft nur den Pfosten

Mit etwas mehr Spielglück wäre gegen Inter Mailand mehr möglich gewesen – im optimalen Fall sogar der Sieg und eine Prämie von 2,1 Millionen Euro. Daran dachte man etwa beim Pfostenschuss Joël Monteiros nach einer Spielstunde. YB war nicht so weit weg von Inter Mailand, dessen Protagonisten wiederholt den für sie ungewohnten Kunstrasen zum Thema machten. Der Gedanke ist nicht verwegen, dass in einem anderen YB-Jahr mehr möglich gewesen wäre.

Doch YB muss zurzeit die Königsklasse ohnehin beiseiteschieben, weil in der Meisterschaft wichtige Termine anstehen: Am Sonntag der Match in Lugano, am nächsten Mittwoch das Heimspiel gegen den FC Basel, bevor die Reise zum FC Zürich ansteht. Der Tabellenkeller der Champions League ist für den labilen Schweizer Champion zu ertragen, derjenige in der Super League nicht.

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