Dienstag, Oktober 8


Stilkritik

Die französische Sängerin Yseult zeigte sich auf dem roten Teppich beim Filmfestival in Cannes in einem Outfit, das einem berühmten Dior-Ensemble nachempfunden ist. Das kam nicht nur gut an.

Kommt Ihnen das Ensemble auf dem Foto bekannt vor? Wahrscheinlich schon. Es ist der «Bar Suit» von Monsieur Christian Dior. Dieser gilt als Kernstück des von ihm ab 1947 propagierten New Look. Fotos dieses Outfits gehören zu den meistveröffentlichten Modebildern der letzten Jahrzehnte. Für ihren Auftritt am Filmfestival in Cannes anlässlich der Premiere von Francis Ford Coppolas Film «Megalopolis» liess sich die Französin Yseult, Sängerin, Model und Schauspielerin, eine fast identische Version von der Maison auf den Leib schneidern.

Darf sie das?

Das führte online zu wilden Diskussionen. Aber nicht darum, ob das Outfit zum Anlass passt. Ob es ihr steht. Warum sie es wohl gewählt hat. Yseults Figur ist das einzige Thema. «Monsieur Dior würde sich im Grabe umdrehen», so lautet noch einer der netteren Kommentare. Denn: Auf den Originalfotos des Ensembles wird es von einem Modell getragen, dessen ohnehin schlanke Taille wohl durch ein Korsett auf die Blütenstengelgrösse gezurrt wurde, welche Monsieur Dior mit seinem New Look wieder propagierte.

Schon damals stiess das auf Kritik. Denn in den zwanziger und dreissiger Jahren wurde die Damenmode praktischer, nicht zuletzt wegen Gabrielle Chanel, die gerade Linien und dehnbare Stoffe etablierte. Die Kriegsjahre räumten dann endgültig auf mit unbequemen, einengenden Kleidungsstücken. Die Nachkriegszeit änderte das wieder. Feminin wurde nun erneut übersetzt mit anmutig, feingliedrig, elfengleich. Wer passt sich wem an, ist bis heute eine Frage, welche man vor allem der Frauenmode stellen kann. Für Monsieur Dior war ganz klar: Das Kleid regiert.

Online durchaus inklusiv

Maria Grazia Chiuri, seit dem Jahr 2016 künstlerische Leiterin bei Dior und die erste Frau in diesem Amt, stellt sich seitdem den Herausforderungen, welche dieses Erbe mit sich bringt. Meist recht plakativ, man denke an ihre «We Should All Be Feminists»-T-Shirts von 2017. Und auch wenn die Models auf dem Laufsteg von Dior wie bei den meisten Designfirmen momentan sehr schlank daherkommen, zeigt der Online-Shop, dass die Inklusivität nicht nur ein Red-Carpet-Bekenntnis ist: Die meisten Kleider sind bis XXL erhältlich, einige wie «The Bar Jacket» sogar bis 4XL.

Zugleich schöpft Chiuri reich aus dem Archiv des Modehauses. Mit dem «Bar Suit» für Yseults Auftritt auf dem roten Teppich hat sich gezeigt, dass der New Look auch heute noch zu polarisieren vermag. Der Kritikpunkt ist aber, wenn man so will, sogar der gleiche geblieben: Schon im Jahr 1947 schimpften viele über den in ihren Augen übertriebenen Stoffverbrauch.

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