Samstag, Oktober 5

Auf dem überlasteten Netz komme es vermehrt zu gefährlichen Situationen, sagt Jürg Röthlisberger, der Direktor des Bundesamts für Strassen (Astra). Besserung soll der Autopilot bringen, dessen Einsatz ab dem nächsten Jahr erlaubt sein soll.

Herr Röthlisberger, Ihr Amt wurde für die schnelle Wiedereröffnung der A 13 und die Baustellenbrücke Astra-Bridge international gefeiert. Das ist für die Verwaltung ungewöhnlich.

Das war schön und tat unseren Mitarbeitenden gut. Oft genug werden wir kritisiert. Im Misox hatten wir das Glück, dass es keine starken Regenfälle mehr gab und wir die Arbeiten ohne weitere Zwischenfälle fortführen konnten. Allen politischen Lagern war klar, dass dies rasch gehen muss. Zusammen mit Schweizer Bauunternehmen ist es uns gelungen, die A 13 relativ schnell wieder zu eröffnen. Am wichtigsten ist es in solchen Situationen, den eigenen Kurs zu halten. Es gibt immer sehr viele Vorschläge, wie man es auch noch machen könnte.

Im Ausland rieb man sich die Augen wegen des unbürokratischen Vorgehens. Was haben Sie anders gemacht?

Wir üben das Management solcher Ereignisse systematisch, denn diese können in der Schweiz immer passieren – wenn auch nicht in diesem Ausmass. Zudem haben wir die Rechtsgrundlagen, um rasch handeln zu können. In einem Fall wie bei der A 13 haben wir die Kompetenzen und die finanziellen Mittel. Kollegen in anderen Ländern müssen erst aufwendige Abklärungen machen.

Auch das Interesse an der Baustellenbrücke ist im Ausland gross. Wollen Sie diese exportieren?

Der Unterhalt des Autobahnnetzes wird immer schwieriger, auch in der Nacht. Alle stehen vor demselben Problem. Es wäre toll, wenn andere Länder mit den Schweizer Unternehmen zusammenarbeiten, die die Brücke gebaut haben.

Es handelt sich also nicht um ein teures Prestigeobjekt?

Nein. Es ist aber auch keine Patentlösung. Bevor wir weiter investieren, wollen wir die Brücke noch ein paar Mal einsetzen. Wir haben eine Equipe des betrieblichen Unterhalts dafür geschult. Sie können mit der Maschine fahren und verstehen genau, wie sie funktioniert. Die müssen dann bereit sein, in verschiedenen Orten in der Schweiz zum Einsatz zu kommen.

Die Staus auf der A 2 am Gotthard dehnen sich immer mehr auf die Tage unter der Woche aus. Wie erklären Sie sich das?

Covid muss für vieles herhalten. Aber die Pandemie war ein Treiber, der das Arbeitsverhalten verändert hat. Neben dem Bevölkerungswachstum spielt die Alterung der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Meine Generation, die Babyboomer, geht langsam in Pension und geniesst die Reisemöglichkeiten. Dies ist ein Grund, weshalb es auf Zubringerrouten in Tourismusregionen immer mehr auch unter der Woche viel Verkehr gibt. Damit weisen diese Routen ähnliche Entwicklungen wie die A 1 auf: Das Verkehrsaufkommen steigt ab 6 Uhr, erreicht rasch einen Höhepunkt und beginnt erst nach 21 Uhr wieder abzuflachen – und das praktisch jeden Tag.

Uri und Graubünden leiden unter der Blechlawine. Der Bund setzt im Kampf gegen den Ausweichverkehr aber auf die bisherigen Massnahmen. Warum schrecken Sie vor einem Slot- oder Mautsystem zurück?

Wir haben achtzig Massnahmen untersucht, also fast alles Denkbare. Es wäre problematisch, wenn wir eine Maut einführen würden, die alle bezahlen müssten, die ins Tessin wollen. Allein am Gotthard bringt das auch nichts. Der Verkehr würde auf den Simplon, den Grossen Sankt Bernhard und natürlich vor allem auf den San Bernardino ausweichen. Also müssten wir auf allen vier Achsen Gebühren einführen, was eine Verfassungsänderung bedingte.

Am Arlberg und anderswo funktioniert das Mautsystem auch.

Es hat sich dort seit langem eingespielt. Am Arlberg ist allerdings auch das Verkehrsaufkommen geringer. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass man Rabattsysteme für Fahrer einführen müsste, die oft auf derselben Strecke unterwegs sind. Die einheimische Wirtschaft leidet sonst unter Zusatzkosten.

Uri hätte gerne ein Slotsystem. Haben Sie dieses vorschnell vom Tisch gewischt?

Nein. So ein System würde einem Fährbetrieb nahe kommen. Dort erhält man einen Slot und muss zu einer bestimmten Zeit im Hafen sein. Auf der A 2 schaffen Sie das nie auf die Minute genau. Also müsste man zusätzliche Stauräume haben. Diese gibt es jedoch auf den Nord-Süd-Achsen nicht.

Mit Ihren Massnahmen betreiben Sie Pflästerlipolitik.

Aus regionaler Optik verstehe ich den Vorwurf. Es ergibt jedoch keinen Sinn, nur für den Gotthard eine Maut einzuführen und nicht auch für den Gubrist. Für eine nationale Maut wird man aber keine Mehrheit finden. Vom Kanton Uri haben wir die Rückmeldung erhalten, dass es dieses Jahr dank unseren Massnahmen gut gelaufen sei, etwa mit der verlängerten Ausfahrt für die Gotthard-Passstrasse ab Wassen. Der Verkehr ist für viele Urner und Bündner Gemeinden ein Problem, aber sie leben auch davon.

Sie beschönigen das Problem. In den betroffenen Regionen fühlen sich die Leute alleingelassen.

Wir nehmen das Problem sehr ernst. Aber wir werden nicht bezahlt, um zu dramatisieren. Es gibt keine Patentlösung. Wir sind überzeugt davon, dass die Kombination einzelner, kleinerer Massnahmen richtig ist.

Den Verkehr entlasten wollen Sie auch mit weiteren Autobahnausbauten. Kritiker sagen, neue Strassen führten nur zu noch mehr Verkehr.

Wir bauen keinen Meter neue Strassen, sondern erweitern bestehende um eine Spur. In der Schweiz haben wir noch nie Autobahnen auf Vorrat gebaut. Das Autobahnsystem ist heute aber bereits instabil. Im Mittelland und rund um die Agglomerationen können wir unseren Kundinnen und Kunden keine Verlässlichkeit mehr bieten. Es geht nicht darum, mit 120 Kilometern pro Stunde nach Zürich zu fahren. Aber ich muss wissen, ob ich für die Fahrt eine Stunde und zehn Minuten habe oder drei Stunden. Zudem haben wir viel zu viele Unfälle. Im ersten Halbjahr 2024 hat sich die Zahl der Todesopfer auf Autobahnen gegenüber den Jahren 2020 und 2021 verdoppelt. Bei den Schwerverletzten sieht es ähnlich aus. Das kommt nicht von ungefähr.

Und das soll vor allem auf die überlastete Strasseninfrastruktur zurückgehen?

Es kommt zu viel mehr Auffahrunfällen. Problematisch sind auch die Verkehrsverflechtungen. Mit über 400 Autobahnanschlüssen ist das Ein- und Ausfahren im dichten Verkehr anspruchsvoll und birgt ein grosses Unfallrisiko. Die punktuellen Ausbauten im Umfang von fünf Milliarden Franken, über die wir im November abstimmen, lösen nicht alle Probleme. Aber es handelt sich um werthaltige Investitionen in ein Volksvermögen von 140 Milliarden Franken. Mit 4 Prozent dieses Wertes können wir das Autobahnnetz wieder verlässlicher machen.

Mittlerweile läuft die Debatte ähnlich wie bei der Bahn: Das Parlament fordert den flächendeckenden Ausbau der A 1 auf mindestens sechs Spuren, statt die grössten Engpässe anzugehen . . .

Die Vorschläge, die wir und der Bundesrat dem Parlament machen, entsprechen zu 100 Prozent dem heutigen und dem künftigen Bedarf. Bei der Strasse ist die Gefahr kleiner als bei der Bahn, dass das Parlament eine Vorlage des Bundesrats stark erweitert. Die Treiber sind andere. Beim hängigen Ausbauprogramm hat das Parlament ein Projekt in der Westschweiz (Le Vengeron–Coppet–Nyon) hinzugefügt, das wir nicht berücksichtigt hatten. Wir waren nicht sicher, ob es rechtzeitig baureif sein wird. Es ist das gute Recht des Parlaments, eine Vorlage nicht einfach durchzuwinken.

Die Finanzlage des Bundes ist angespannt – und trotzdem packt das Parlament auf Anregung von Bundesrat Albert Rösti noch ein weiteres Projekt ins Ausbauprogramm hinein. Wie geht das zusammen?

Wir bauen ja nicht auf Teufel komm raus aus, sondern aufgrund von werthaltigen Kriterien. Die Fonds für die Strasse und die Bahn überprüft derzeit eine Expertengruppe, die Finanzministerin Karin Keller-Sutter eingesetzt hat. Kommt sie zu dem Schluss, dass man beim Ausbau der Strasseninfrastruktur den Sparstift ansetzen sollte, werden wir das akzeptieren. Wir werden aber der Politik auch aufzeigen müssen, was die Konsequenzen wären – und wo aus unserer Sicht ein Eingriff besser geeignet wäre.

Wo darf auf keinen Fall gespart werden?

Der Bundesrat hat klargemacht, dass es beim Sparen keine Tabus geben wird. Unsere Bitte ist nur, den Betrieb und den Unterhalt der bestehenden Autobahnen nicht anzutasten. Wird hier gespart, rächt sich das später. Diese Erfahrung macht gerade Deutschland, das den Strassenunterhalt lange vernachlässigt hat.

Wäre es nicht besser, die bestehenden Autobahnen intelligenter zu nutzen, statt sie immer weiter auszubauen?

Das eine tun und das andere nicht lassen: Wir nutzen die Strassen bereits heute sehr effizient. Wir reduzieren die Geschwindigkeit auf den Autobahnen zu Spitzenzeiten. Das wird mittlerweile auch akzeptiert. Zugleich dosieren wir den Verkehr an vielen Anschlüssen mit Tropfenzählern. Zudem versuchen wir, das Potenzial des automatisierten Fahrens zu erschliessen. Dazu haben wir in den letzten fünf Jahren die Gesetzgebung angepasst.

Worum geht es konkret?

Noch ist die Automobilindustrie nicht ganz so weit. Voraussichtlich im nächsten Jahr soll der Einsatz von Autobahnpiloten möglich sein. Dann empfehlen wir, diesen bei hoch automatisierten Fahrzeugen (Stufe drei und vier) zu aktivieren. Der Fahrer darf dann das Lenkrad loslassen. Dank diesen Systemen wird es auf den Autobahnen spürbar weniger Unfälle geben, was auch zu einer Entlastung führen wird. Etwa zehn Prozent der Staus gehen auf Unfälle zurück. Die möchten wir reduzieren.

Gemäss den Gegnern widerspricht der Autobahnausbau auch dem Netto-Null-Ziel bis 2050, welches das Volk im letzten Jahr verabschiedet hat.

Die Autobahnen sind nun einmal das Rückgrat der Mobilität. Unser Auftrag ist es, den Verkehr möglichst rasch zu dekarbonisieren. Da machen wir viel und sind auf Kurs. Ich bin mir sicher: Bereits 2035 wird es praktisch nur noch ein opportunistisches Mobilitätsverhalten geben und kein gutes oder schlechtes mehr.

Was meinen Sie damit?

Noch immer wird häufig von dem Autofahrer, der Velofahrerin und dem ÖV-Nutzer gesprochen. Das gibt es künftig nicht mehr. Jeder nutzt alles. Von Bern nach Zürich fahre ich mit dem Zug. Wenn ich abends spät nach Airolo muss, gehe ich halt mit dem Auto, um unabhängig von Fahrplänen mitten in der Nacht wieder nach Hause zu fahren. Da bald alle Verkehrsmittel dekarbonisiert sein werden, ist das betreffend Emissionen einerlei. Wir müssen aufhören mit diesem Gegeneinander. Unser Ziel muss einzig sein, einen möglichst sicheren und effizienten Verkehr hinzubekommen.

Welche Anpassungen braucht es dazu?

Wichtig ist es, dass der Langsamverkehr gestärkt wird. Wir peilen eine Verdoppelung des Veloverkehrs an, von 2 auf 4 Prozent des Personenverkehrs – dafür engagieren wir uns stark. Zudem will der Bund den Anteil des öV am gesamten Verkehrsaufkommen von 21 auf 24 Prozent erhöhen, was Investitionen in Milliardenhöhe bedingt. Unter dem Strich wird damit der Anteil des motorisierten Individualverkehrs bis 2050 von heute drei Vierteln auf zwei Drittel sinken. Die Strasse und der Individualverkehr werden also auch dann noch das Rückgrat der Mobilität bilden.

Im ersten Halbjahr waren die Verkäufe von E-Autos jedoch rückläufig. Wo stockt es?

Grundlegende Veränderungen wie die Ablösung des Verbrennermotors verlaufen nie linear. Es gibt Brüche – so, wie derzeit. Nach den Early Movers sind die meisten grossen Flottenbetreiber wie Firmen auf Elektro umgestiegen. Nun müssen aber Modelle kommen, welche sich die breite Bevölkerung leisten kann. Zum Teil sind günstige Fahrzeuge schon zu haben, die eine anständige Reichweite aufweisen. Aber wir stehen erst am Anfang. Hinzu kommt das deflationäre Verhalten vieler Menschen: In der Erwartung, morgen mehr für ihr Geld zu erhalten, halten sie sich beim Kaufen zurück. Da der technologische Fortschritt gerade bei den Batterien rasant ist, ist dieser Effekt besonders gross.

Macht die Politik zu wenig, um der E-Mobilität zum Durchbruch zu verhelfen?

Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass Fördermassnahmen ähnlich wie beim Doping nur kurzfristig wirken. Denn wehe, das Mittel wird wieder abgesetzt! Dann brechen die Verkäufe erst recht ein, wie man in Deutschland beobachten kann. Die Schweiz geht einen pragmatischeren Weg: Die Automobilsteuer – immerhin 2000 bis 3000 Franken pro Fahrzeug – wurde bei E-Autos lange Zeit nicht erhoben. Wichtiger aber sind gute Rahmenbedingungen. In der Schweiz haben wir bereits über 13 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte. Ich habe als überzeugter E-Auto-Fahrer bisher nie Probleme gehabt, eine Ladestation zu finden.

Die Revolution auf den Strassen ist also nur eine Frage der Zeit?

Ja. Ich gehöre zu der Generation, die in den Jugendjahren noch mit Velotöffli unterwegs war. Die sind verschwunden, wir sehen jetzt E-Bikes und Velos. Bei den Autos wird die Entwicklung auch so sein. Die Industrie hat sich zum Wechsel bekannt. Viele mögen noch zögern. Früher oder später werden sich die Kunden aber ein E-Fahrzeug anschaffen.

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