Montag, Oktober 7

Die Gewerkschaften haben am Dienstag vor den Medien einmal mehr gegen die Reform der beruflichen Vorsorge geschossen. Und wieder feierten bewusste Irreführungen Hochkonjunktur.

Wenn man nur oft genug irreführende Behauptungen in die Welt setzt, dann glauben es die Leute mit der Zeit. Das ist ein bewährtes Rezept der Gewerkschaften in der Politik der Altersvorsorge. Das gilt nun auch für die laufende Kontroverse zur Abstimmungsvorlage über die Reform der Pensionskassen. Dabei geht es um das gesetzliche Obligatorium der beruflichen Vorsorge (BVG). Zurzeit sind Jahreslöhne ab rund 22 000 bis knapp 90 000 Franken obligatorisch in der zweiten Säule der Altersvorsorge versichert.

Die Kernparole des gewerkschaftlichen Referendumskomitees («mehr bezahlen für weniger Rente») ist verlogen. Denn sie suggeriert, dass es wegen der Reform insgesamt tiefere Renten und höhere Lohnabzüge gäbe. Richtig wäre vielmehr folgende Parole zum Gesamtbild der Reform: «Mehr bezahlen für mehr Rente – und der Saldo von Zusatzeinzahlungen und Zusatzrenten ist etwa Null, denn das Geld für Rentenerhöhungen fällt nicht vom Himmel.»

Je nach Einzelfall sind viele unterschiedliche Konstellationen möglich: keine bedeutenden direkten Folgen (gilt für die meisten Versicherten); mehr zahlen und höhere Rente; weniger zahlen und tiefere Rente; mehr zahlen und tiefere Rente; in einzelnen Fällen vielleicht sogar weniger zahlen und höhere Rente. Tendenz: Bei den tieferen Jahreseinkommen (mindestens bis 50 000 Franken) gibt es in der Regel höhere Renten. Das betrifft besonders die Teilzeitbeschäftigten und damit viele Frauen.

Die zwei Kernelemente

Klammert man Verhaltensänderungen und Verwaltungskosten aus, verändert die Reform im Kern nur zwei Dinge. Erstens: Sie baut das Obligatorium der Versicherung via Pensionskassen bei tieferen Jahreseinkommen aus (was oft höhere Renten zum Preis höherer Einzahlungen bringt). Und zweitens: Die Reform reduziert zumindest ganz langfristig die versteckte Quersubventionierung vor allem von Erwerbstätigen zu Rentnern – doch in der 15-jährigen Übergangsphase erhöht sie tendenziell die Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten. Der Rest sind Nebelpetarden.

Die jüngste Nebelpetarde hat der Gewerkschaftsbund am Dienstag gezündet. Er kritisierte die Modellrechnungen des Bundes als «realitätsfern» und behauptete, dass als Folge der Reform die BVG-Renten ab einem Jahreslohn von etwa 54 000 Franken zu sinken begännen und nicht erst ab 70 000 Franken, wie der Bund sage. Die publizierte Bundestabelle lässt aber nur mutmassen, dass bis knapp 55 000 Franken Jahreslohn die Renten in praktisch allen Altersgruppen steigen würden, bei 70 000 Franken Rentensenkungen dagegen gängig wären.

Die Natur des Systems

Die Gewerkschaften behaupten aber auch, dass der Bund den Rentenanstieg bei den tieferen Einkommen zu rosig darstelle, da die Bundesrechnung auf einer Erwerbskarriere ohne Lohnsprünge beruhe. In der Tat hatte der Bund in früheren Mediengesprächen deutlich gemacht, dass seine Zahlen auf theoretischen Modellen mit der Annahme beruhten, dass die Lohnentwicklung genau der Zinsentwicklung und der Teuerung entspricht, und es somit keine Lohnsprünge etwa wegen Beförderungen oder Erfahrungszuwachs gibt. Dass dies in vielen Fällen realitätsfern ist, hatte auch der Bund eingeräumt.

Doch die Berechnungsart des Bundes ist gängig für Vorsorgepläne bei den Pensionskassen. Das liegt in der Natur des Systems. Wenn jemand zum Beispiel vom Alter 25 bis 45 jeweils 50 000 Franken pro Jahr verdient und darauf Lohnbeiträge bezahlt hat, und ab Alter 46 plötzlich 80 000 Franken verdient, dann können die 80 000 Franken gar nicht voll versichert sein – denn der Betroffene hat dafür zwanzig Jahre lang auf einem viel zu tiefen Lohn Beiträge bezahlt.

Der Versicherte kann aber eine solche Beitragslücke durch einen freiwilligen Einkauf in die Pensionskasse schliessen. In der beruflichen Vorsorge gilt das Motto: «Wer mehr einzahlt, bekommt mehr Rente.» Dieses Prinzip ist das fundamentale Ärgernis aus Sicht der Linken, die möglichst viel versteckte Umverteilungen von oben nach unten und von Jung zu Alt will.

5 Prozent mehr Rente?

Unabhängig davon führt die Reform innerhalb des Obligatoriums per saldo zu höheren Renten im Vergleich zum Status Quo. Der Hauptgrund: Ein höherer Teil des Gesamtlohns bis knapp 90 000 Franken ist künftig obligatorisch versichert; neu sind es 80 Prozent des Gesamtlohns statt der Lohn minus einen Fixbetrag («Koordinationsabzug» von 25 725 Franken). Diese Ausweitung der versicherten Lohnteils überwiegt insgesamt die Reduktion der prozentualen Lohnabzüge ab Alter 35. Gemäss Bundesschätzung kosten die zusätzliche Lohnbeiträge etwa 1,2 bis 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Grob abgeschätzt, dürfte dies gemessen an Daten für 2022 etwa 4,5 bis 5 Prozent der jährlichen Lohnbeiträge im BVG entsprechen.

Daraus lässt sich grob ableiten, dass diese Zusatzkosten eine Erhöhung der Renten im Obligatorium von durchschnittlich etwa 4,5 bis 5 Prozent erkaufen. Wenn nun jemand behaupten sollte, dass die Renten im Mittel zum Beispiel nur um 3 Prozent steigen, würde dies im Gegenzug auch einen tieferen Kostenanstieg bedeuten. Die Tendenz ist jedenfalls klar: Je tiefer das Jahreseinkommen liegt, desto eher gibt es eine Rentenerhöhung. Das hat das Parlament so gewünscht.

Im theoretischen Modell ohne Lohnsprünge führt die genannte Ausweitung der Lohnbeiträge zu höheren Renten bei Jahreslöhnen bis rund 73 000 Franken, wie der Pensionskassenexperte Stephan Wyss von der Beratungsfirma Prevanto errechnet hat. Bei höheren Löhnen bis zum BVG-Maximum von knapp 90 000 Franken wäre mit sinkenden Renten zu rechnen, aber auch mit entsprechend sinkenden Lohnabzügen.

Nullsummenspiele

Diese Milchbüchleinrechnung berücksichtigt noch nicht, dass die Reform auch eine Senkung der gesetzlichen Mindestrente enthält: Reduktion des Mindestumwandlungssatzes von jährlich 6,8 auf 6,0 Prozent des angesparten Vorsorgekapitals. Was die Gewerkschaften aber bewusst verschweigen: Diese Senkung führt per saldo nicht zu einer Rentenreduktion; sie reduziert nur die bisherige Quersubventionierung der Rentner, während die Jüngeren profitieren. Dieser Gewinn der Jüngeren ist auch in den Bundestabellen nicht berücksichtigt.

Die Subventionierung ging zulasten der Erwerbstätigen. Oft war die Verzinsung ihres Alterskapitals deswegen zu tief – was ihre künftigen Renten drückte. Ein anderer Subventionskanal waren überhöhte Risikobeiträge der Erwerbstätigen etwa zur Deckung von Invaliditätsrisiken. Durch die Reduktion des Mindestumwandlungssatzes und damit der Quersubventionierung sinken die Renten der Älteren, aber dafür steigen die Renten der Jüngeren (oder ihre Beiträge sinken). Der Saldo ist wiederum etwa Null.

Das Gleiche gilt mit umgekehrten Vorzeichen für die Rentenzuschläge, die 15 Übergangsjahrgänge für den Abbau ihrer Subvention «kompensieren» sollen. Etwa die Hälfte der versicherten 50- bis 64-Jährigen soll einen Zuschlag erhalten. Wegen dieser Zuschläge dürften die versteckten Quersubventionierungen von Jung zu Alt per saldo mit der Reform erst langfristig (nach deutlich mehr als einem Jahrzehnt) sinken. Auch bei Zuschlägen gilt somit: Der Saldo ist etwa null. Doch insgesamt gehören die tieferen Jahreslöhne bei den Zuschlägen zu den Gewinnern und die höheren Löhne zu den Verlierern.

Die Gewerkschaften behaupten im übrigen, dass der Bund die Kosten des von allen Pensionskassen via zentralen Sicherheitsfonds finanzierten Teils der Rentenzuschläge deutlich unterschätze. Diese Kritik ist Realsatire: Die Gewerkschaften hatten eine noch weit teurere Reform gefordert.

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