Sonntag, September 29

Gold wird immer begehrter und teurer. Auch das Interesse am Goldvreneli ist so gross wie lange nicht mehr. Wie aber wurde die kleine Münze zum Schweizer Kulturgut?

Das 20-Franken-Goldvreneli ist sowohl die bekannteste als auch die geheimnisvollste Münze der Schweiz. Jeder Schweizer, ob jung oder alt, ist oder war schon im Besitz eines Goldvreneli. In fast jedem Schweizer Haushalt findet sich mindestens eine dieser Goldmünzen. Dennoch wissen die meisten nur wenig über ihre Herkunft und Geschichte.

Derzeit befindet sich die Schweizer Bevölkerung wegen des rekordhohen Goldpreises in einem regelrechten Goldrausch. Das hat dazu geführt, dass viele ihren Schmuck oder ihre Vreneli verkaufen. Gelegentlich übersteigt das Angebot sogar die Nachfrage. Das sei eine ungewöhnliche Situation, sagte der Edelmetallexperte Christian Brenner kürzlich der NZZ. Dennoch ist die Nachfrage nach physischem Gold weiterhin enorm hoch.

Wenn die Schweizerinnen und Schweizer Gold kaufen, dann sind es Goldbarren oder Goldvreneli. Sie verschenken es, legen es in den Banktresor oder verstecken es in einer Kiste unter dem Bett. In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Preis eines einzelnen Goldvreneli verfünffacht. Heute kostet ein 20er-Vreneli etwa 400 Franken. 2004 waren es noch 90 Franken.

Das Mädchen auf der Münze

Das erste 20er-Goldvreneli wurde 1897 geprägt, das letzte 1949. Auf allen prangt dasselbe Gesicht. Es gehört einer Frau aus Oberhasli, genauer aus Gadmen. Das Dorf am Sustenpass ist die Heimat von Rosa Tännler, deren Gesicht den Medailleur Fritz Ulysse Landry zu seinem Entwurf inspirierte.

1895 suchte der Bundesrat nach einem Motiv für eine neue Münze. Schweizerisch, national sollte es sein. Der Medailleur Landry reichte das Sujet mit Rosa Tännler ein. Doch die Jury lehnte seinen Entwurf ab. Sie fand, die porträtierte Helvetia wirke zu jung, zu schwärmerisch. Landry überarbeitete seinen Entwurf. Rosa Tännler bekam auf dem neuen Entwurf geflochtenes Haar und ein reiferes Gesicht, über den Schultern trug sie neu einen Kranz von Edelweissen.

Damit überzeugte er die Jury beinahe. Wäre da nicht ein besorgter Magistrat gewesen, der im Jahr 1897 die ersten Probeprägungen bemängelte. Die Stirnlocke verleihe «dem Frauenzimmer ein frivoles Aussehen», was der Würde einer Personifikation der Schweiz widerspreche. Bei der definitiven Prägung liess man deshalb die Stirnlocke weg.

Bis zur Einführung der ersten 20-Franken-Noten im Jahr 1911 und der 5-Franken-Noten im Jahr 1913 dienten die Vreneli als gängiges Zahlungsmittel mit einem Wert von 20 Franken. Die Eidgenössische Münzstätte in Bern prägte die Goldmünzen. Ab 1936 verschwand das Vreneli aber aus dem Zahlungsverkehr. Es wurde nur noch gehandelt und vornehmlich gehortet.

Gondo- und KZ-Gold

Insgesamt entstanden in 53 Jahren 58,6 Millionen Exemplare des Vreneli. Darunter auch zahlreiche begehrte Sammlerstücke. Besonders selten und wertvoll sind die Prägungen aus Gondo-Gold.

1897 wurden 29 Vreneli aus dem Gold des einstigen Walliser Bergwerks am Simplonpass geprägt. Die Gondo-Prägungen sind an ihrer helleren Farbe und an einer kreuzförmigen Marke zu erkennen. Im heutigen Markt könnte ein Exemplar bei Auktionen zwischen 100 000 und 150 000 Franken erzielen. Noch wertvoller sind nur die Prägungen mit der Stirnlocke von 1897. Im Jahr 2016 wechselte eine solche für 172 500 Franken den Besitzer.

Allerdings haben nicht alle Vreneli eine glanzvolle Vergangenheit. Eine Enthüllung der «Sonntags-Zeitung» vom 7. Juni 1998 offenbarte ein dunkles Kapitel: Schweizer Münzen wurden aus KZ-Gold hergestellt. Mindestens 200 Barren mit sogenanntem Opfergold gelangten 1944 in den Besitz der Schweizerischen Nationalbank und wurden 1947 und 1949 für die Prägung von Goldvreneli verwendet.

Das Gold stammte aus dem Schmuck und den herausgebrochenen Zähnen von Opfern in Konzentrationslagern. Der SS-Hauptsturmführer Bruno Melmer lieferte ab August 1942 insgesamt 76 Sendungen aus Konzentrations- und Vernichtungslagern in Osteuropa an die Reichsbank. Laut einer unabhängigen Expertenkommission, die Schweizer Goldtransaktionen im Zweiten Weltkrieg untersucht hat, flossen 119,5 Kilogramm dieses sogenannten Melmer-Goldes in das Depot der Deutschen Reichsbank bei der Schweizerischen Nationalbank in Bern.

Abrechnungen der Schweizerischen Nationalbank mit der Eidgenössischen Münzstätte belegen, dass solche Barren für die Vreneli der Jahre 1947 und 1949 verwendet wurden. Die Nationalbank stellte der Münzstätte seit Kriegsende kontinuierlich Gold für die Münzprägung zur Verfügung, wobei mindestens 34 Barren zu Vreneli verarbeitet wurden. Es bleibt unklar, wie viel Holocaust-Gold letztlich in die Münzen floss. Aber die Möglichkeit, dass solche Barren für Goldvreneli verwendet wurden, ist nicht auszuschliessen.

S Vreneli ab em Guggisberg

Heute ist das Vreneli mehr als nur eine Münze. Es symbolisiert Schweizer Tradition und Handwerkskunst. Sammler und Anleger schätzen das Vreneli gleichermassen als Investition. Doch warum wird es überhaupt Vreneli genannt?

Die numismatische Fachliteratur weist darauf hin, dass «Vreneli» eine Verkleinerungsform des weiblichen Vornamens Verena ist. Aufgrund des jugendlichen Aussehens der dargestellten Helvetia handelt es sich eher um ein Vreneli als um eine Frau namens Verena.

Das Solothurner Auktionshaus Lugdunum verknüpft den Namen mit dem bekannten Schweizer Volkslied «S Vreneli ab em Guggisberg», das im 19. Jahrhundert sehr populär war und auf jedem Dorf- oder Volksfest erklang.

Weltweit bleibt das Goldvreneli eine der wenigen alten Münzen, die in der modernen Gesellschaft beliebt sind. Dies mag daran liegen, dass das Goldvreneli in der Schweiz über Generationen hinweg als Götti-Geschenk oder als Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk für Kinder überreicht wurde. In anderen Ländern dienten Goldmünzen oft als Rücklage in Kriegs- und Krisenzeiten.

Unabhängig davon, ob viele oder wenige Münzen verkauft werden, bleibt das Gesicht auf der beliebtesten Schweizer Goldmünze unverändert. Doch ihr Wert verändert sich. Seit dem Beben an den Börsen vergangenen August greifen Investoren verstärkt nach Gold, das als sicherer Hafen gilt. Mit über 2500 Dollar pro Feinunze erreichte das Edelmetall kürzlich eine beispiellose Kostbarkeit.

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