Mittwoch, November 6

Der Modeversender aus Berlin hat viel Potenzial und an der Börse starkes Kursmomentum. Sorgen um neue Rivalen aus Fernost halten die Bewertung moderat. Das bietet eine Chance zum Einstieg in einen profitablen Internetwert.

Ein Traum für viele Menschen: kein leidiges Trotten mehr durch überfüllte Einkaufszentren, keine vergeblichen und zunehmend gequälten Anproben, kein Ringen mit den je nach Hersteller unterschiedlichen Grössenangaben. Stattdessen ein schneller Selbst-Scan per Handy daheim, der Computer wirft die richtige Grösse für Jeans oder Jacke aus: Einkauf beendet. Zalando und die Konkurrenz arbeiten auf diese Vision des Einkaufens hin. Eine Entwicklung, die auch Anleger im Blick behalten sollten.

Auf den ersten Blick verfolgt Zalando ein ganz einfaches Geschäft: Das Berliner Unternehmen verkauft Mode unterschiedlicher Hersteller online, als sogenannter Multi Brand Store. Das ist nicht einfach, denn damit steht es auf der Schnittstelle von klassischen Einzelhändlern und umtriebigen Onlineunternehmen, zwischen konservativer Kalkulation und Tech-typisch breitbeinigem Auftritt. Der Übersichtlichkeit hilft es auch nicht, dass das Unternehmen einen doppelten Ansatz fährt.

Doppelstrategie: Händler und Logistikdienstleister

Da ist das herkömmliche Geschäft mit den Endkonsumenten. Wenn man so will, der Betrieb des digitalen Einkaufszentrums. Spätestens die Coronapandemie mit den in Konsequenz verwaisten Innenstädten unterstrich die Bedeutung dieser Absatzform. Allein für Deutschland gehen zum Beispiel die Experten von KPMG davon aus, dass bereits 2030 Mode zu gleichen Teilen online wie offline verkauft wird. Ein Wachstumsmarkt also. Aber auch ein hart umkämpfter Markt mit fernöstlichen Wettbewerbern wie Temu oder Shein.

Zalando hat sich inzwischen als Anbieter höherwertiger Kleidung mit bekannten Marken etabliert. Das kann gegen die Billigkonkurrenz aus China helfen. Denn auf der Preisschiene könne Zalando nicht gewinnen, sagt Volker Bosse, Analyst der Baader Bank.

Neben dem Geschäft mit den Endkunden gibt es das zweite Standbein: Zalando tummelt sich seit mehr als zehn Jahren auch auf dem B2B-Markt. Sie macht also Geschäft mit Unternehmen, die ihre Produkte auf der Zalando-Plattform verkaufen oder auch nur die Logistik und die Expertise der Berliner nutzen wollen.

Tech als Turbo

Beiden Bereichen soll der Einsatz von moderner Technologie weiter Schwung verleihen.

Beim herkömmlichen Geschäft des Onlineeinkaufs zum Beispiel treibt Zalando all das voran, was dem Kunden die Entscheidung für das passende Kleidungsstück vereinfacht. Zwei Beispiele: Auf Basis der Angaben zu Körpermassen bietet das Unternehmen Grössenempfehlungen an. Und es fährt einen vierwöchigen Test in vierzehn Ländern Europas mit einer Art digitaler Umkleidekabine für Oberbekleidung von Leviʼs. Das kann helfen, die Zahl der Retouren zu senken.

Retouren sind die Achillesferse des Onlinehandels. Branchenweit schicken Kunden zwischen 20 und 40% der Bestellungen zurück. Und weil diese Retouren in aller Regel kostenlos sind, gehen sie zulasten des Gewinns, von der Umweltbelastung durch das Hin und Her der Pakete gar nicht zu sprechen. Bemühungen von Zalando wie die genannten zwei Beispiele «tragen dazu bei, die Retourenquote zu senken», sagt Anne Boss, Strategieberaterin von der BBE Handelsberatung. Dennoch sollte man keine Wunder erwarten, mahnt sie. Unter anderem, weil es noch andere Aspekte gibt, die zu Retouren führen, wie zum Beispiel die Haptik. Immerhin, Zalando gibt an, die grössenbedingte Rückgabequote bei Artikeln, für die eine entsprechende Hilfestellung in Sachen Passform existiert, um 10% gesenkt zu haben.

Die relativen Kosten der Retouren senken könnte auch die Preispolitik. «Da ist es natürlich besser, wenn Zalando drei Daunenparka zu je 300 € versendet und zwei als Retoure erhält, als wenn das Gleiche bei drei T-Shirts zu je 10 € passiert», sagt Analyst Bosse von der Baader Bank.

Im Geschäft mit den Unternehmenskunden wiederum könnte die Plattform Zeos die Dinge beschleunigen (das Kürzel steht für Zalando E-Commerce Operating System). «Zeos ist der Drehpunkt für das B2B-Geschäft», sagt Bosse. Verkürzt gesagt bietet Zeos die Möglichkeit für Unternehmenskunden, von der Logistikexpertise des Unternehmens zu profitieren. Zuletzt konnte Zalando den britischen Modeversender Asos auf der Plattform begrüssen.

Die Zalando-Logistik sollen künftig immer häufiger auch Gesellschaften nutzen, die gar nicht über die Internetseite von Zalando verkaufen. Diese Unternehmenskunden erhalten Zugriff auf ein Ökosystem von zwölf Logistikzentren, rund zwanzig Retourenzentren und mehr als vierzig lokalen Transportdienstleistern. Zalando erschliesst so nicht nur eine zweiten Einkommensstrom, sondern kann auch für eine bessere Auslastung der Lager sorgen, wie Warburg Research schreibt. Das Unternehmen ist damit nicht nur Modeversender, sondern Logistikdienstleister. Ein Geschäft, das es weiter ausbauen will.

2023 hat Zalando erstmals separate Geschäftszahlen für das Grosskundengeschäft veröffentlicht. Es erzielte 855 Mio. € Umsatz. Die Verkäufe an Endkunden brachten dagegen das Gros von 9,3 Mrd. € Umsatz ein.

Zurück zum Wachstumstrend

Den Gesamtumsatz hat Zalando in der Dekade bis 2023 mehr als verfünffacht auf 10,1 Mrd. €. Das Umsatzwachstum lag zwischen 2013 und 2021 durchgehend oberhalb von 20%. Im Lockdown lag die Kenngrösse sogar über 30%.

Auf den Boom folgte eine Flaute: 2022 und 2023 schrumpfte der Umsatz leicht. Für das Gesamtjahr 2024 rechnet Zalando jedoch wieder mit einem Plus zwischen 2 und 5%. Und bis 2028 wolle man den Umsatz pro Jahr zwischen 5 und 10% steigern, verspricht das Unternehmen in einer Präsentation vom August. Die Analystenschätzungen weisen in die gleiche Richtung.

Die Zalando-Gründer Robert Gentz und David Schneider hatten in der Vergangenheit gelegentlich mehr versprochen, als sie dann halten konnten. Zuletzt gaben sie sich jedoch entschlossen, von allzu grossen Investitionen zur Wachstumssteigerung abzusehen und die den Anlegern so wichtige Gewinnmarge nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Profitabilität, gemessen an der Marge auf den Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda), schwankte in der Dekade bis 2023 zwischen 3,6 und 6,2%, soll aber in den Jahren 2024, 2025 und 2026 nach Analystenschätzungen deutlich über 7% bis hin zu fast 9% im Jahr 2026 steigen. Die Analysten trauen dem Management also zu, die Balance zwischen Wachstum und Profitabilität zu schaffen. Anlässlich der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen im November beurteilte Citi-Analystin Monique Pollard die Ergebnisse als «robust».

Kann es so weitergehen? Zalando ist dafür in einer gute Position, findet Tom Noyens, Konsumgüteranalyst bei KBC Securities. Immerhin sei das Unternehmen europaweiter Marktführer in Sachen Kleidung. Dank der Grössenvorteile im Vergleich zur Konkurrenz könne es die Digitalisierung gut vorantreiben. Genau das mache Zalando, indem sie ihre Plattform mit besserer KI-Technologie ausstatte, um zum Beispiel die Suche zu präzisieren. «Alles, um mehr und mehr Kunden auf ihre Plattform zu locken und in den Herzen und den Köpfen der Kunden wirklich die Nummer eins unter den Onlineshops zu werden», sagt Noyens. Dabei hilft, dass das Unternehmen inzwischen eine negative Nettoverschuldung aufweist, also Geld in der Kasse hat, um diese Ziele zu verfolgen.

Börse schaut erst seit 2024 hin

An der Börse gehörte Zalando in Coronazeiten zu den logischen Profiteuren des Lockdowns: Im ersten Pandemiejahr 2020 verdoppelten die Aktien ihren Kurs, während der Dax (als Kursindex ohne Dividenden) seitwärts trudelte. Danach zählte Zalando zu den Verlierern des Endes der Ausgangsbeschränkungen, der Kurs fiel. In Vergessenheit geriet dabei, dass der Trend zum Onlineeinkauf auch ohne Pandemie seine Wirkmacht entfaltet.

Zalando und der Rivale About You

Seit Beginn des Jahres geht es tatsächlich mit Macht wieder aufwärts, und das um fast 27%. Der Dax lieferte im selben Zeitraum ein Plus von nur rund 14%, Konkurrent About You hat sogar an Börsenwert verloren. Zalando gehören zu den Aktien mit dem höchsten Momentum, weshalb sie sich auch im aktuellen Momentum Screen von The Market finden.

Als grösste Gefahr für Zalando gelten Branchenkennern wie dem Venture-Investor Florian Heinemann, der einst für Rocket Internet bei Zalandos Aufbau half, die asiatischen Rivalen Shein und Temu. Letztere gehört zum chinesischen Tech-Konzern Pinduoduo und hat daher sowohl das nötige Kapital als auch das IT-Know-how, um in Digitalisierung und KI zu investieren und die sozialen Medien als Expansionsbasis zu nutzen. Anleger müssen das Risiko im Auge behalten, dass die profitorientierte Strategie von Zalando angesichts der stark investierenden neuen Wettbewerber zu einem Bedeutungsverlust führen könnte.

Für dieses Risiko werden Anleger jedoch angemessen kompensiert durch die attraktive Bewertung. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) sind die Zalando-Aktien deutlich günstiger zu haben als im Zehnjahresschnitt.

Die Preiswürdigkeit lässt sich aber auch anhand des Unternehmenswerts in Relation zum Ebitda (geschätzt für die nächsten zwölf Monate) bewerten. Bei Zalando liegt der Multiplikator zuletzt nahe 7, deutlich günstiger etwa als bei Konkurrent About You. Mit Blick auf die geschickte Unternehmenspositionierung inmitten des Grosstrends hin zu Onlinebestellungen dürfte noch Luft nach oben sein. Finanzinstitute wie Oddo BHF oder Warburg Research nennen daher ein Kursziel von 37 beziehungsweise 47 €. Das entspricht einem Aufwärtspotenzial von mehr als 50%.

Zalando ist also keine brandheisse Wette, sondern eine kühle Kalkulation für Anleger, die sich darüber klar sind, dass das Unternehmen auch an den Launen der Konsumenten hängt. Allerdings macht Zalando vieles, um genau diese Konsumenten bei Stimmung zu halten. Inzwischen hat sie mehr als 50 Mio. aktive Kunden, Tendenz steigend. Aktive Kunden sind solche, die in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine Bestellung aufgegeben haben. Für sie sind die steten technologischen Verbesserungen ein Mehrwert, aber auch für mögliche Neukunden.

Das Unternehmen ist gleichermassen Trendprofiteur wie -setzer. Auch wenn es weniger aggressiv investiert als manch chinesischer Rivale. Für den weiteren Börsenerfolg kommt es für das Management darauf an, die Balance zwischen Wachstum und Profitabilität zu halten und gegen alte und neue Konkurrenten zu bestehen. Einfacher gesagt: Zalando muss liefern wie bestellt.

Die Basis für das Wachstum liefert der intakte Grosstrend hin zum Einkaufsbummel vom heimischen Sofa aus. Zalando strebt langfristig europaweit einen Marktanteil von 15% an. Momentan sind es erst 3%. Mit den Aktien können Anleger zu attraktiven Konditionen in dieses langfristige Wachstumspotenzial investieren.

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