Dienstag, November 4

Im Jubiläumsfall «Kammerflimmern» gerät die Schweiz ins Visier von Cybererpressern – und Dutzende Menschen sterben an manipulierten Defibrillatoren. Spannende Idee, doch alte Schwächen bleiben.

Das Zürcher «Tatort»-Team feiert Folge Nummer zehn, herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle! Dieses kleine Jubiläum ist keine Selbstverständlichkeit, es gab schon Kommissare, die weniger Fälle lösen durften. Til Schweiger als Rambo-hafter Nick Tschiller in Hamburg etwa oder der Mainzer «Tatort» mit Heike Makatsch. Noch sieben weitere Folgen und die Zürcher ziehen mit den Luzernern gleich.

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In der Schweiz beginnt ab dem zehnten Lebensjahr die Strafmündigkeit, dann ist die Zeit der Unschuld vorbei. Der Züri-«Tatort» mit seinen beiden Ermittlerinnen Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) hatte es allerdings von Geburt an nicht nur einfach. Die Quoten der ersten Folge «Züri brännt» im Oktober 2020 waren zwar gut, die Kritik jedoch gespalten. Wie so oft zeigte sich der grosse Kanton gnädiger. «Der Spiegel» befand damals: «starker Einstand». NZZ und «Blick» waren skeptischer.

«Welches Drehbuch kann so etwas zusammenhalten?»

Werfen wir einen Blick ins hauseigene Archiv: Über die zweite Folge «Schoggiläbe» war zu lesen: «So sind viele Figuren schemenhaft wie die Stadt als Schauplatz.» Regelmässig werden Ungereimtheiten und Logiklöcher konstatiert wie in «Seilschaft»: «Alles sehr verrätselt, welches Drehbuch kann so etwas zusammenhalten?»

Visuell hängt bis heute zu viel am Einsatz von Drohnen, über den es beim sechsten Fall hiess: «Nun ist es bei der Drohnen-Ästhetik wie mit allen Moden: Sieht schnell läppisch aus.» Besser fiel – allgemein – das Urteil über die gruslige Folge «Schattenkinder» aus, die in der Körperkunstszene spielt, wo selbst die Hornhaut tätowiert wird.

Wie steht es also zum Zehnten? Die Prämisse geht ans Herz – aber nicht wie in mancher gefühlsduseligen deutschen Milieustudie. An einem friedlichen Tag kippen die Leute auf der Strasse plötzlich um wie vom Blitz getroffen. Die schnelle Diagnose: Herzstillstand. Verursacht von implantierten Defibrillatoren, die gehackt wurden.

Cybererpresser verlangen vom Hersteller ein absurd hohes Lösegeld, das Leben Tausender Menschen in der Schweiz ist gefährdet. Am Ende sterben 56 von ihnen. Mit dieser Schreckensbilanz löst der Züri-«Tatort» wohl die Tarantino-Hommage «Im Schmerz geboren» mit Felix Murot als Fall mit dem höchsten Leichenberg ab. Dieser allerdings bleibt in der Limmatstadt abstrakt. Von den Opfern hört man nur in der Statistik, es geht um die Perspektive der Polizei. Und um die brisante Frage, wie verwundbar der von Maschinen am Leben gehaltene Mensch ist.

Das Katastrophenszenario wird zwar spannend erzählt, manches ist jedoch nicht schlüssig. Ständig jaulen Krankenwagen durchs Bild, aber bis auf ein kleines, reisserisches Newsportal bekommt niemand in der Öffentlichkeit etwas von der ungewöhnlichen Häufung an Todesfällen mit? Und um doch noch einen emotionalen Drive aufzufahren, muss die Mutter von Tessa Ott gerettet werden. Schade, dass Zürich nach wie vor so viele narrative Klischees erfüllt.

Thema prima, Ausführung mässig

Es scheint eine Konstante zu sein: Thema prima, Ausführung okay bis mässig. Viele Ideen, die umherschwirren und sich nicht zu einem runden Ganzen fügen. Grundsätzlicher Mut, der auf halber Strecke verlorengeht, lieber manövriert man in sicheren Gewässern. Derzeit finden die Dreharbeiten zur elften Folge statt, in Oerlikon, auf dem Maag-Areal, beim Lettensteg. Die Ermittlungen sollen «quer durch die vielfältigen sozialen Milieus Zürichs» führen. Ob sich dabei etwas mehr Stadtidentität findet und formt?

Immerhin tut sich in «Kammerflimmern» wieder etwas beim schwierigen Verhältnis zwischen Grandjean und Ott: eine zaghafte Umarmung am Ende. Der nächste Schritt einer Annäherung zweier Figuren, die hoffentlich irgendwann miteinander (oder für die Spannung wenigstens gegeneinander) ermitteln könnten – statt nebeneinander. Die Kinderschuhe passen den Zürchern nicht mehr. Vielleicht folgt nun in der Teenager-Phase die nötige Rebellion.

«Tatort» aus Zürich: «Kammerflimmern», am Sonntag, 28. September, um 20.15 Uhr in der ARD und um 20.05 im SRF.

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