Sonntag, Oktober 6

Europas grösster Autokonzern ist in der Krise, vor allem die Kernmarke VW. Das Management plant eine massive Kostenreduktion, um die Renditeziele zu erreichen – und denkt erstmals das Undenkbare.

In Wolfsburg pfeifen die Spatzen schon seit Wochen von den Dächern, dass die Lage bei VW immer prekärer wird. Jetzt wird die Krise bei der Kernmarke des Volkswagen-Konzerns, zu dem unter anderem auch Audi, Škoda, Seat, Cupra und Porsche gehören, offen sichtbar.

Bei der Sanierung scheint es plötzlich keine Tabus mehr zu geben. Konzernchef Oliver Blume und Markenchef Thomas Schäfer erwägen erstmals die Schliessung eines Werkes in Deutschland und sie wollen die Job-Garantie kündigen. Diese Massnahmen sind für die starken Gewerkschaftsvertreter im Konzern ein Affront und Schock zugleich.

Konzernchef Blume gibt Marken Renditeziele vor

Eine offizielle Mitteilung blieben Konzern und Marke bis Montagabend schuldig. Mehrere Medien berichteten jedoch über interne Ankündigungen und die Reaktionen der Gewerkschaftsvertreter. Auf einer Informationsveranstaltung für das Management im Messezentrallager der Gemeinde Isenbüttel, westlich von der Wolfsburger Zentrale, soll Konzernchef Blume die neuen Ansagen für einen noch härteren Sparkurs gemacht haben.

Die wirtschaftlichen Parameter hätten sich nochmals verschärft, neue Anbieter drängten nach Europa und der Standort Deutschland verliere an Wettbewerbskraft, soll Blume gesagt haben. In diesem Umfeld müsse das Unternehmen konsequenter agieren. Konkrete Zahlen wurden offenbar nicht genannt. Einige Medien berichteten darüber, dass die Marke VW 4 bis 5 Milliarden Euro mehr einsparen müsse als bisher geplant, um das angestrebte Kostenziel zu erreichen.

Blume hatte im letzten Jahr allen Konzernmarken Renditevorgaben gesetzt, die bis 2026 zu erreichen sind. Für die Kernmarke erschien das Ziel schon immer ambitioniert. Sie sollte durch Einsparungen über 10 Milliarden Euro eine operative Rendite von 6,5 Prozent erreichen. Im ersten Halbjahr 2024 kam sie nur auf magere 2,3 Prozent. Fast alle anderen Konzernmarken liegen derzeit über der Marge von VW.

Viele exogene und endogene Probleme

Die Gründe für die Krise sind vielfältig. In Europa liegen die Autoverkäufe deutlich unter dem Niveau, das vor Ausbruch der Corona-Pandemie erreicht worden war. Das trifft den grössten europäischen Autohersteller am stärksten. Zugleich hat sich das wirtschaftliche Umfeld in der deutschen Heimat in den vergangenen Quartalen immer stärker eingetrübt.

Volkswagen setzt seit Blumes Vorgänger Herbert Diess voll auf die E-Mobilität. Doch auch hier bleiben die Verkäufe seit einiger Zeit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dazu hat in Deutschland auch beigetragen, dass die Regierung kurz vor dem Jahreswechsel über Nacht alle Subventionen für Elektroautos gestrichen hat.

Zugleich gibt es viele hausgemachte Probleme. Der Umstieg auf die Elektromobilität gestaltet sich schwieriger als erhofft. Das gleiche gilt auch für die Digitalisierung und die Software-Entwicklung. In der Not musste VW in den vergangenen Monaten sowohl im wichtigsten Markt China als auch in den USA Kooperationen mit dort ansässigen heimischen Anbietern eingehen.

Im Leitmarkt China verkaufen sich Elektroautos zwar gut, doch dieser Trend geht an Volkswagen weitgehend vorbei, da der Konzern nicht genügend attraktive Modelle im Portfolio hat. Unter Konzernchef Blume wird dem Vernehmen nach schon lange von einem Sanierungsfall gesprochen, den Vorgänger Diess hinterlassen habe.

Bisher hat Volkswagen in Deutschland noch nie ein Werk geschlossen. Das könnte sich ändern. Finanzanalytiker hatten früher immer wieder kleinere Standorte wie Osnabrück und Dresden als mögliche Schliessungsziele genannt. Darüber hinaus will das Unternehmen die Job-Garantie kündigen, die eigentlich noch bis zum Jahr 2029 gilt. Die Situation sei äusserst angespannt und könne nicht durch einfache Kostensenkungsmassnahmen überwunden werden, soll VW-Markenchef Thomas Schäfer gesagt haben.

Gewerkschaft kündigte harte Gegenmassnahmen an

Die Betriebsratsvorsitzende Daniella Cavallo kündigte in einem Interview harten Widerstand der Gewerkschaft an. Mit ihr werde es keine Standortschliessungen geben. Das Management habe in den letzten Jahren viele falsche Entscheidungen getroffen. Es fehlten Hybrid-Modelle und günstige rein batterieelektrische Fahrzeuge.

Bisher hat bei VW die Leitlinie gegolten, den nötigen Stellenabbau entlang der demografischen Entwicklung mithilfe von Abfindungen sowie Frühpensionierungen abzufedern und dabei ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen. Diese mildere Form der Restrukturierung scheint nun vom Tisch zu sein. Volkswagen hat weltweit rund 680 000 Mitarbeiter, davon etwa 120 000 in Deutschland.

Am Mittwochmorgen will Finanzvorstand Arno Antlitz laut Berichten zusammen mit Markenchef Schäfer bei einer Betriebsratssitzung mit den Mitarbeitern sprechen. Diese erwarten laut Cavallo, dass auch Blume sich an den Verhandlungen beteiligt.

Sie können dem Frankfurter Wirtschaftskorrespondenten Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen.

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