Montag, November 25

Zwei Ikonen des Wintertourismus messen sich in einer jahrhundertealten Rivalität: Zermatt mit seinem sportlichen Charme und St. Moritz mit dem Luxus und Glamour seiner Gäste. Wer ist exklusiver?

Anfangs sah es nicht gut aus für den Fremdenverkehr zuhinterst im Mattertal. Den ersten Touristen begegneten die Einheimischen skeptisch – und die Logiermöglichkeiten in Zermatt waren spärlich. Dies änderte sich, als im Jahr 1853 Alexander Seiler ins abgeschiedene 400-Seelen-Dorf kam. Mit reichlich Erfahrung aus dem deutschen und französischen Gastgewerbe mietete der ambitionierte, aus einer gutbürgerlichen Familie im Goms stammende Neuankömmling das Chalet des Dorfarztes. Er führte es so erfolgreich als Herberge, dass er es nach zwei Jahren erwerben und zum Hotel Monte Rosa ausbauen konnte. Es legte den Grundstein für sein späteres Hotelimperium, zu dem bald auch das «Mont Cervin» und das Hotel Riffelalp gehörten.

Alexander Seiler war einer der Ersten, die das touristische Potenzial der Alpen erkannten, doch war er auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort: in den Jahren zwischen 1854 und 1865, als die 38 Viertausender um Zermatt unter grossem öffentlichen Interesse erstmals bestiegen wurden und immer mehr Menschen – allen voran abenteuerlustige Lords und Gentlemen aus England – die noch unbekannte Bergwelt entdecken wollten. Diese Zeit ging als «goldene Ära des Alpinismus» in die Geschichte ein.

Der legendäre Gipfelsturm des Matterhorns, der dem Engländer Edward Whymper nach sieben vergeblichen Versuchen im Juli 1865 gelang und mit dem tragischen Absturz von vier seiner Gefährten endete, trug den Namen Zermatt – und auch denjenigen des Gastwirts Seiler – in die Welt hinaus. Der Mythos des Matterhorndorfs als alpines Eldorado war in Stein gemeisselt und der Nachschub an Alpinisten für die folgenden Jahrzehnte gesichert. Erst die Nachfolgegenerationen brauchten sich zu überlegen, wie Zermatt in ein neues Licht gerückt werden könnte, um auch für «Nichtbergsteiger» anziehend zu sein und sich für den aufkommenden Wintersport zu öffnen.

1928 war es so weit: Die Eisenbahn Visp–Zermatt fuhr erstmals den ganzen Winter hindurch, und auch die dreissig Jahre zuvor in Betrieb genommene Gornergratbahn setzte endlich Züge durch den Schnee ein. Die Kundschaft wurde internationaler, anspruchsvoller, und ab 1945 kam mit dem ersten Bügellift am Riffelberg das Skifahren in Mode.

Wegbereiter des alpinen Wintertourismus

Im Gegensatz zu Zermatt, das aus der Bergsteigertradition gewachsen ist und bis heute ein sportliches Flair verströmt, beginnt in St. Moritz alles mit der Quelle. Das Wasser galt seit einem Besuch von Paracelsus im Jahr 1538 als heilend für Körper und Geist, und Mitte des 19. Jahrhunderts blühte hier die Kultur eines Kurbads mit mondänem Gesellschaftsleben und allerlei Lustbarkeiten auf. Die Gäste tauchten in die Bäder ein, gaben sich dem Freizeittrend der Landschaftsmalerei hin und erkundeten die alpine Seenlandschaft auf langen Spaziergängen.

Johannes Badrutt revolutionierte das Übernachtungsgewerbe – zeitgleich wie sein Walliser Pendant Alexander Seiler. Badrutt kam 1853 von Samedan nach St. Moritz, wo er zunächst die Pension Faller mit 16 Zimmern pachtete. Drei Jahre später übernahm er das Haus, taufte es in «Engadiner Kulm» um und erweiterte es Schritt für Schritt in teilweise spektakulärer Weise – so leuchtete im «Kulm» 1879 das erste elektrische Licht in einem Schweizer Hotel.

Der Geniestreich von Johannes Badrutt bestand jedoch darin, den Wintersport in den Alpen einzuführen, als die Bergorte noch reine Sommerziele waren. Der Durchbruch erfolgte 1864, als Badrutt eine Gruppe britischer Sommergäste zu einem kostenlosen Winteraufenthalt im «Kulm» einlud. Hierzu schlug er ihnen eine Wette vor: Gefielen ihnen die Ferien im verschneiten Engadin nicht, würde er auch die Reise bezahlen. Badrutt wusste, dass St. Moritz im Winter viele sonnige Tage bot und das Prickeln frischer Bergluft eine besondere Erfahrung versprach. Das Wagnis zahlte sich aus – auch weil Badrutt die «Spleens» der englischen Oberschicht verstand und nervenkitzelnde Vergnügungen auf dem Eis bereitstellte – von der damals neuartigen Schlittschuhbahn bis zum Schlittenrennen.

Es war die Geburtsstunde dessen, was man heute «Wintersaison» nennt, und ehe jene kleine, ausgesuchte Gesellschaft grösser wurde, richtete Johannes Badrutt eine tückische, kopfüber zu befahrende Rodel- und Bobbahn auf dem Gelände des «Kulm» ein und nannte sie «Cresta Run». Schottische Gäste brachten Curlingsteine mit, und St. Moritz errichtete die erste Skisprungschanze. Wer im Tiefschnee die Hänge hinunterbrettern wollte, musste den Berg noch durch eigene Muskelkraft erklimmen.

Bequemer wurde es ab Dezember 1935, als am Suvretta-Hügel der zweite Skilift der Welt eröffnet wurde (Davos war einen Winter schneller) und damit das Skifahren für breite Gästeschichten erleichterte. Indessen trugen weitere Hotelpaläste zur weltweiten Bekanntheit des Ortes bei, allen voran das «Badrutt’s Palace», das 1896 – vierzig Jahre nach dem «Kulm» – von Caspar Badrutt, dem Sohn von Johannes, gegründet wurde. Ausserdem war St. Moritz Schauplatz von zwei Olympischen Winterspielen (1928 und 1948), später folgten ungezählte prestigeträchtige Sportveranstaltungen und Events, die bis heute jährlich ausgetragen werden, darunter das White-Turf-Pferderennen oder das Poloturnier auf dem gefrorenen St.-Moritzer-See.

WARUM ZERMATT?

Was spricht im Vergleich der beiden Wintersportorte für Zermatt?

Grenzenloses Skivergnügen inmitten von 38 Viertausendern

Zermatt ist mehr als ein weltbekannter Wintersportort. Es ist ein Versprechen. Ein Versprechen des puren Skierlebnisses inmitten atemberaubender Gipfel. Dazu gehören 360 Kilometer makellos präparierte Pisten, konstant erneuerte Bergbahnen auf zwischen 1620 und 3883 Metern Höhe und die Möglichkeit ständiger Perspektivenwechsel dank talübergreifender Verbindung zu den italienischen Nachbarn. Hier steht das Skifahren im Mittelpunkt – die Zahl der Wintergäste, die weder Ski noch Snowboard fahren, liegt im einstelligen Prozentbereich. Entsprechend dominiert ein aktives Publikum, das eine lässige und sportliche Stimmung vermittelt.

Ein Skitag kann hier so aussehen: erste Schwünge auf der italienischen Südseite des Klein Matterhorns, im verträumten und morgens meist menschenleeren Valtournenche. Die Abfahrtshänge liegen wie ein glitzernder Teppich in der Sonne – genau das Richtige, um sich einzufahren. Dann wedelt man zu den inzwischen griffig gewordenen Cervinia-Pisten oberhalb der Mittelstation Plan Maison hinüber und wärmt sich bei einem kräftigen Cappuccino im Chalet Etoile. Gegen Mittag geht es über den Theodulpass zurück auf Schweizer Boden und dort via Furi und Riffelberg zu den Hängen am Fusse des Gornergrats – am schönsten auf den Pisten des Sessellifts Riffelberg–Gifthittli. Anschliessend traversiert man nach Norden aufs Rothorn und kurvt von dort in ein paar Schwüngen zur Fluhalp-Hütte oder etwas weiter hinunter durchs Skigebiet Sunegga zum Weiler Findeln, wo gleich vier sublime Pistenbeizen zur Rast einladen.

St. Moritz hat nicht ein zusammenhängendes Skigebiet wie Zermatt, sondern im Wesentlichen drei. Der Hausberg ist Corviglia / Piz Nair (3057 m ü. M.) mit 155 Kilometern nicht allzu schwierigen Pisten. Wer hingegen anspruchsvolle, lange Abfahrten mag, den ruft der Corvatsch (3303 m ü. M.). Die Verbindung der beiden einander gegenüberliegenden Hauptskigebiete ist seit vielen Jahren ein Politikum unter den Talbewohnern. Für erfahrene Skifahrer und Freerider eignet sich das Skigebiet Diavolezza/Lagalb, dessen Seilbahn-Talstationen am Berninapass liegen.

Für die Hüttenkultur

Klick, klack! Raus aus der Bindung, rein in die Skihütte. Allein auf der Schweizer Seite des Matterhorns liefern rund 20 reizvolle Lokale am Pistenrand gute Gründe, es mit dem Skifahren nicht zu übertreiben und dem Savoir-vivre in gemütlichen Stuben oder auf sonnigen Terrassen zu frönen. Genussmenschen bekommen Sterne in den Augen, wenn sie an Hütten wie «Zum See», «Chez Vrony» oder «Stafelalp» denken. Entsprechend sind diese meist bis auf den letzten Platz besetzt, oft sogar zu zwei Tischzeiten um 12 und 14 Uhr, um der grossen Nachfrage gerecht zu werden und den Umsatz hochzuhalten.

Auch St. Moritz trumpft mit einer hohen Dichte an Skihütten auf, die atmosphärisch wie kulinarisch überzeugen, etwa das «Paradiso» und das «Trutz» im Corviglia-Gebiet oder die «Alpetta» auf Corvatsch.

Für die entspannte Atmosphäre

Zermatt strahlt trotz der starken Kommerzialisierung in den letzten Jahren noch immer eine Walliser Authentizität und unerschütterliche Friedfertigkeit aus. Das autofreie 6000-Seelen-Dorf vermittelt so etwas wie heile Bergwelt, und die Einheimischen geben sich alle Mühe, den Glauben daran lebendig zu halten. «Die Bergbahnen und viele touristische Betriebe befinden sich nach wie vor mehrheitlich in einheimischen Händen», sagt der Kurdirektor Daniel Luggen. In den Hotels und Restaurants wird man oft von den Inhabern persönlich begrüsst und umsorgt, und die Menschen nehmen sich grundsätzlich Zeit für ein Schwätzchen.

Die Atmosphäre ist «laid back», also um einiges gelassener als in St. Moritz, und selbst in den Fünfsternehotels braucht man sich abends nicht aufzubrezeln. Mehr «quiet luxury» als Gucci-Logopulli eben. Für unverbesserlich gehaltene Hektiker oder schmuckbehangene Newcomer passen sich spätestens am zweiten Tag dem legeren Stil des Alpendorfs an und verhalten sich wieder wie normale Menschen. Statt verwöhnte Reisende in ihrem Geld zu spiegeln, bietet ihnen Zermatt etwas, was sie das Geld vergessen lässt: Man kann hier einfach sich selbst sein – jeder auf seine Weise.

Während Zermatt bauliche Wildwüchse weitgehend vermeiden konnte, stören diese das Ortsbild von St. Moritz empfindlich. Vieles ist nicht im Sinne der Bündner Destination gedacht und von Partikularinteressen beziehungsweise dem Immobilien-Business getrieben. Markantester Flop ist die fehlende Talabfahrt vom Hausberg Corviglia bis ins Dorf. Am Ende eines Skitags an der Chantarella-Bergstation anzustehen, um zurück ins Dorfzentrum zu gelangen, ist eindeutig nicht cool.

Für den (etwas) preisgünstigeren Aufenthalt

Preisgünstig ist keiner der beiden Wintersportorte, schon gar nicht über Weihnachten/Neujahr oder im Februar. Doch sind bei einem direkten Vergleich der jeweils fünf Luxusherbergen die Übernachtungspreise in Zermatt etwas moderater, zudem bietet Zermatt eine deutlich grössere und smartere Auswahl an Unterkünften im Drei- und Viersternebereich, beispielsweise das «Bella Vista» oder das «Cœur des Alpes».

Hingegen belastet das Skifahren am Matterhorn die Ferienkasse stark. Aufgrund der dynamischen Preisgestaltung fällt ein Vergleich nicht leicht, doch kostet eine Tageskarte im Skigebiet Engadin St. Moritz für Erwachsene typischerweise zwischen 70 und 90 Franken (mit Frühbucherrabatt ab 47 Franken), in Zermatt geht es nicht unter 88 Franken (nur Schweizer Seite) beziehungsweise 103 Franken einschliesslich italienischen Terrains. Dafür gehen Kinder unter neun Jahren gratis auf die Pisten, im Engadin gilt dies für die unter Sechsjährigen.

Ein Pluspunkt in St. Moritz: Zahlreiche Beherberger bieten ab der ersten Übernachtung den Skipass zum reduzierten Festpreis von 47 Franken pro Tag an – dieser ist jedoch nur für die gesamte Aufenthaltsdauer, nicht für einzelne Tage buchbar.

WARUM ST. MORITZ?

Was spricht im Vergleich der beiden Wintersportorte für St. Moritz?

Für das facettenreiche Freizeitangebot

Während es in Zermatt an Freizeitalternativen für Nichtskifahrer und Schlechtwettertage mangelt, punktet St. Moritz mit Vielseitigkeit. Ob Bobbahn oder Avantgarde-Galerie, ob Klavierkonzert oder Oxygen-Glow-Gesichtsbehandlung, ob Weindegustation oder Fotografie-Workshop – wünsch es dir, und du bekommst es.

St. Moritz ist prima zum Skifahren, doch locken allerlei Outdoor-Alternativen und Naturerlebnisse – von der temporeichen Schlittelbahn Muottas Muragl über beschauliche Schneeschuhpfade bis zur Natureisbahn auf dem gefrorenen Bergsee Lej da Staz. Auch zur Wahl: eine Husky-Schlittenfahrt, ein Kurs im Snowkiten oder im Eisskulpturenschnitzen oder – für gute Nerven – Eisbaden im St.-Moritzer-See. Langläufer schweben rund um St. Moritz ohnehin im siebten Himmel – mit direktem Anschluss an 220 Loipenkilometer in alle Richtungen.

Für Multigenerationenferien oder Freundesgruppen mit unterschiedlichen Interessen, Erwartungen und Ski-Fähigkeiten eignet sich das Winterwunderland Engadin St. Moritz besonders, weil in den gemeinsam verbrachten Ferien gleichzeitig alle zufriedengestellt werden können. Der eine genehmigt sich ein Tiefschnee-Erlebnis mit dem Heli, der andere geniesst den Tag beim Nichtstun auf der Sonnenterrasse des «Suvretta House», und abends treffen sich alle beim Znacht im Wohlfühlrestaurant «La Scarpetta» mitten im Dorf.

Für den Glanz und Glamour

Das einseitige Image als Tummelplatz und Rückzugsraum der Schönen, Reichen und Mächtigen konnte St. Moritz ein Stück weit ablegen, doch steht das betriebsame Weltdorf unverändert für Luxus und Extravaganz, Stars und Sternchen, Sehen und Gesehenwerden – was stark mit der Entstehungsgeschichte des ersten Wintersportorts für die internationale High Society verbunden ist. Zwar versucht der Nobelort, sich auch als Ferienziel für eine breitere Klientel attraktiv und zugänglich zu machen, das Sport- und Kulturangebot zu betonen, doch ist St. Moritz unverkennbar sich selbst. Es ist immer noch die Diva unter den Alpendestinationen, eine Fluchtburg für La Dolce Vita im Schnee, und an manchen Winterwochenenden prickelt es mondäner, als man es in der Schweiz je erwarten würde.

Man braucht nur einen Blick in die palastartigen Hallen im «Badrutt’s Palace», im Carlton Hotel oder im Grand Hotel des Bains Kempinski zu werfen: Sie sind von Leben und Optimismus erfüllt, viele Sprachen schwirren durch die Luft, es sind Hotelszenen wie aus einem Film. Bis heute ist St. Moritz ein Denkmal für den Einfallsreichtum und die Dynamik von Johannes Badrutt, der es verstand, den betuchten Erholungsuchenden zu geben, was sie wollten, und der auch wusste, dass die Gäste lächelnd die Rechnung bezahlen, wenn sie nur genug hoch ist.

Christian Jott Jenny, der vor sechs Jahren das Amt des Gemeindepräsidenten übernahm, sagt: «Wenn die Menschen an St. Moritz denken, sollen sie an einen Ort denken, an dem ein bisschen mehr möglich ist als anderswo.»

Für die belebende Seenlandschaft

Ein Attribut des Engadins ist seine Energie. Woher kommt sie? Da sind zunächst das besondere Licht und die trockene, klare Luft. Da sind die Nähe zu Italien und die rätoromanische Kultur in den Dörfern rund um das deutschsprachige St. Moritz. Und vor allem ist da diese offene Landschaft, bei der vielen Menschen das Herz aufgeht.

Die vier im Winter regelmässig zufrierenden Seen reihen sich zwischen St. Moritz und Maloja aneinander, «6000 Fuss über dem Meere und viel höher über allen menschlichen Dingen» (so Nietzsche), und das Hochtal zählt zum Eindrücklichsten, was die Alpen zu bieten haben. «Hier lächelt die Schönheit der Welt», so die Autorin Zora del Buono. Es reicht, wenige Schritte aus St. Moritz hinauszugehen, sich auf eine Bank zu setzen und die Sonne zu bestaunen, wenn sie hinter dem Piz Margna untergeht – schon ist man so gut wie im Paradies, himmelweit vom flirrenden Luxus-Lifestyle entfernt.

Die Entscheidung zwischen St. Moritz und Zermatt hängt von persönlichen Vorlieben ab. Doch muss man sich nicht auf eines der beiden Bergdörfer beschränken – sie sind ja mit dem Glacier Express direkt verbunden. Für die kurvenreiche Strecke von 290 Kilometern braucht der Bahnklassiker knapp acht Stunden.

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